Härtetest für den Diktator

Omar al-Baschir
Die Protestbewegung gegen Sudans Staatspräsidenten Omar al-Baschir wächst. Frühere Volksaufstände zeigen: Sie könnten die Regierungen bedrohen.

Seit mehreren Wochen protestieren Bürger und Bürgerinnen des Sudans gegen die Herrschaft ihres Präsidenten Omar al-Baschir. Überall im Land gehen sie auf die Straßen und fordern ihn auf, nach 30 Jahren an der Macht zurückzutreten. Die jüngsten Proteste wurden durch eine starke Erhöhung der Brot- und Benzinpreise ausgelöst. Doch die Unzufriedenheit mit der Regierung brodelt seit Jahren. Noch weigert sich al-Baschir, sein Amt aufzugeben.

Das Ausmaß des gegenwärtigen Aufstandes erinnert an zwei vorangegangene Revolten, die am Ende zu Machtwechseln führten. Die erste im Jahr 1964 war getragen von Kämpfen zwischen Studierenden und der Polizei an der Universität von Khartum. Sie wuchsen zu einer breiten Protestbewegung, die schließlich die Militärherrschaft von Staatspräsident Ibrahim Abboud beendete. Die zweite Revolte brach nach Jahren wirtschaftlicher Unruhen 1985 aus. Der Frust der Bevölkerung über gestiegene Lebenshaltungskosten befeuerte eine Bewegung, die das Regime von Dschafar Muhammad an-Numairi in die Knie zwang.

Das wirft die Frage auf, ob sich die heutigen Proteste mit den damaligen Ereignissen vergleichen lassen. Ist zu erwarten, dass der Sudan einen „Hattrick“ erzielt und  zum dritten Mal ein Volksaufstand ein autoritäres Regime aus dem Amt treibt? Das hängt von vier Faktoren ab: dem Durchhaltevermögen des Staatspräsidenten, den verschiedenen bewaffneten Rebellengruppen im Land, der Loyalität des Militärs und der Sicherheitsdienste sowie den Islamisten.

1964 war wenig Überzeugungskraft nötig, um Ibrahim Abboud zum Rückzug zu bewegen: Fünf Tage Protest reichten. Und 1985 kränkelte an-Numairi, körperlich und seelisch. Er machte außerdem den Fehler, in die USA zu reisen, als der Aufstand begann. So verlor er seine Macht nach elf Tagen Demonstrationen. Im Vergleich zu ihnen ist al-Baschir im Sudan sehr präsent und erweist sich als harte Nuss. Bislang hat er wenig Zeichen gezeigt, dass er leicht aufgeben wird – denn er weiß, dass er sich dem Internationalen Strafgerichtshof stellen muss, wenn er sein Amt verliert.

1964 und 1985 standen Koalitionen von politischen Parteien und Gewerkschaften aus Städten im Norden des Sudans an der Spitze der Protestbewegung. Die bewaffneten Rebellengruppen, die ausschließlich im heutigen Südsudan ihren Rückhalt hatten, waren weder mit der Opposition verbunden noch mit der Regierung, die gestürzt werden sollte. Tatsächlich setzten nach beiden Umstürzen die neuen Regierungen in Khartum stets die Bürgerkriege ihrer Vorgänger gegen die Rebellen im Süden fort.

Autorin

Willow Berridge

lehrt Geschichte an der Universität von Newcastle, Großbritannien.
Nach der Abspaltung des Südsudans 2011 sind die Umtriebe der Rebellen dort für den Sudan nicht länger wichtig. Seit 1985 sind allerdings in den Provinzen Darfur und Südkordofan neue Aufstände ausgebrochen. Und anders als bei den früheren Revolten beteiligen sich viele der bewaffneten Gruppen aus diesen Regionen an der heutigen Protestbewegung. Die einflussreiche Koalition Sudan Call etwa schließt eine wichtige Rebellengruppe sowie Splittergruppen von zwei weiteren ein.

Noch ist unklar, was das für die Erfolgsaussichten der Proteste bedeutet. Einerseits könnten solche Allianzen dazu beitragen, die übliche Kluft zwischen regionalen bewaffneten Bewegungen und der städtischen Zivilbevölkerung zu überwinden. Das wäre eine bemerkenswerte Entwicklung. Andererseits könnte die Beteiligung der Rebellengruppen die Bewegung untergraben, weil sie konservative Kräfte in der Armee und die Mittelklasse in Khartum erschreckt. Genau deshalb hat al-Baschirs Regime versucht, die Rolle der Rebellen in den gegenwärtigen Protesten zu übertreiben. Bislang scheint diese Propaganda die Protestierenden aus der Mittelklasse jedoch nicht abzuschrecken. An-Numairi scheiterte im Übrigen 1985 mit einer ähnlichen List.

1964 und 1985 griff die sudanesische Armee auf Druck von Offizieren der niederen und mittleren Ränge ein, um den Übergang zu einer Mehrparteiendemokratie zu unterstützen. Das erwies sich als wesentlich für den Erfolg beider Bewegungen. Auch 2019 spielen die Streitkräfte eine Schlüsselrolle, es könnte jedoch für die Protestierenden schwieriger sein, sie zu beeinflussen. Al-Baschirs Regime hat von seinen Vorgängern gelernt. Es hat einen weitaus stärkeren Geheimdienst (NISS) geschaffen sowie weitere Sicherheitsorganisationen und Milizen, die es anstelle der regulären Armee nutzt, um Khartum zu kontrollieren.

Diese Umstände, verbunden mit den Befürchtungen verschiedener Kommandeure, sich für Kriegsverbrechen verantworten zu müssen, wenn die Regierung fällt, führen dazu, dass sich die Armee nicht so schnell einmischen wird wie 1964 und 1985. Und das ist einer der Gründe, warum die gegenwärtige Protestwelle schon länger dauert als die vorangegangenen. Dennoch steht die Armee nicht völlig vereint an der Seite al-Baschirs und könnte sich noch als sehr wichtig erweisen. So könnte Streit innerhalb der mit dem Regime verbundenen Sicherheitskräfte ausbrechen; es gibt Spekulationen, dass sich einflussreiche Vertreter des Geheimdienstes und der RSF gegen al-Baschir stellen könnten. Das könnte eine Rivalität zwischen diesen Kräften anfachen und der regulären Armee mehr Freiraum schaffen, um zu intervenieren.

Die Islamisten sind eine weitere wichtige Größe im Sudan. Sie beherrschten zwar nicht die vorangegangenen Aufstände, aber ihre Haltung gegenüber dem Regime und der Opposition beeinflussten das Ergebnis. 1964 gehörten sie – unter ihnen Hasan al-Turabi, der „Architekt“ des derzeitigen Regimes – zu der Bewegung, die Präsident Abboud aus dem Amt trieb. Sie kooperierten mit leichtem Unbehagen mit einer breiten Koalition, die unter anderem die Kommunisten und die Umma-Partei einschloss. Nach dem erfolgreichen Ende der Revolte vertieften sich jedoch die Risse zwischen den Islamisten und den anderen Gruppen. 1977 standen sie auf der Seite der neuen Militärregierung.

Zwei Wochen, bevor der Aufstand 1985 begann, wandten sich die Islamisten jedoch gegen diese Regierung und beraubten sie damit ihrer größten politischen Unterstützung. Gleichzeitig lehnten sie es ab, sich den Kräften der Opposition anzuschließen. Sie wurden stärker, verbanden sich mit Teilen der Sicherheitskräfte und bauten ihre Macht mit Hilfe ihres wachsenden Finanz- und Medienimperiums aus. Und schließlich zettelte die National Islamic Front (NIF) 1989 einen Militärputsch an, der den damaligen Offizier al-Baschir an die Macht brachte.

Wenn die Islamisten mit al-Baschir brechen und sich der Opposition anschließen – und diese bereit ist, die Islamisten aufzunehmen –, könnte das den Verlauf der gegenwärtigen Revolte entscheidend bestimmen. Die Gruppe ist jedoch viel gespaltener als 1964 und 1985. Nachdem al-Baschir al-Turabi 1999 aus der Regierung geworfen hatte, haben sich die Islamisten in al-Turabis Popular Congress Party (PCP) und die regierende National Congress Party (NCP) gespalten. Im Zuge der diesjährigen Proteste hat die PCP einige Maßnahmen der Regierung  kritisiert und damit gedroht, sich aus dem Parlament zurückzuziehen. Bislang hat sie das jedoch nicht getan.

Andere islamistische Parteien wie Reform Now haben ihre Beteiligung an der Regierung bereits aufgekündigt. Sie hat die Oppositionsbewegung National Forces for Change mitgegründet, die einige nichtislamistische Parteien einschließt, die bis vor kurzem ebenfalls die Regierung unterstützt haben. Diese Koalition scheint nicht völlig auf einer Linie zu sein mit dem Rest der Opposition, hat sich aber mit ihrem gesamten Gewicht hinter die Proteste gestellt. Die Kluft zwischen der islamistischen und der nichtislamistischen Opposition ist noch vorhanden – doch es ist nicht auszuschließen, dass islamistische Gruppen in der Revolte 2019 eine große Rolle spielen werden.

Der Text ist im Original bei „African Arguments“ erschienen. Aus dem Englischen von Gesine Kauffmann.

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erschienen in Ausgabe 3 / 2019: Rassismus
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