„Eine moralische Verantwortung“

Geldwäsche-Liste
Vergangenen Monat hat die EU-Kommission eine neue Liste mit Staaten vorgelegt, die ihrer Einschätzung nach zu wenig gegen Geldwäsche tun. Voraussichtlich heute oder morgen wollen alle EU-Mitglieder diese Liste offiziell ablehnen. Sven Giegold erläutert die Hintergründe.

Herr Giegold, was ist neu an der Liste?
Die bisherige EU-Liste war praktisch eine Kopie der Liste der internationalen Financial Action Task Force. Die enthält im Grunde nur Staaten, die wirklich gravierende Governance-Probleme haben. Da steht zum Beispiel Afghanistan drauf, nicht weil es ein sonderliches internationales Problem für Geldwäsche ist, sondern weil es da generell schwierig ist mit guter Regierungsführung. Die Länder, über die am meisten kriminelle und korrupte Gelder geschleust werden, stehen nicht drauf – und standen bisher auch nicht auf der EU-Liste. Das Europaparlament hat in der Vergangenheit zweimal Änderungen der EU-Liste blockiert mit dem Ziel, dass Europa die Staaten selbstständig überprüft und eine eigene Liste erstellt. Die hat die Kommission jetzt vorgelegt. Es war mir eine große Freude, daran mitzuwirken.

Welche Länder stehen neu drauf und sind besonders heikel?
Saudi-Arabien zum Beispiel, als Platzhalter für das viele korrupte Geld, das aus arabischen Ländern nach Europa strömt. Platzhalter in Lateinamerika ist Panama, das auch auf der Liste gelandet ist. Und nicht zu vergessen sind vier US-amerikanische Jurisdiktionen, ebenfalls neu auf der Liste, darunter Puerto Rico. Man muss außerdem bedenken, dass diese Liste nur ein Zwischenstand ist: Mehr als 30 weitere Staaten werden derzeit noch verschärft geprüft, darunter etwa Russland, Aserbaidschan, die USA und die Vereinigten Arabischen Emirate mit dem Finanzplatz Dubai.

Alle 28 EU-Mitglieder lehnen die Liste ab. Wie erklären Sie sich diese für die EU seltene Einigkeit?
Naja, die Großen sind sich einig, und wenn die Großen sich einig sind, halten die Kleinen nichts auf. Es gibt sehr viele EU-Mitglieder, die wollen offensichtlich nicht, dass die Bekämpfung illegitimer Kapitalflüsse wirtschaftliche und politische Probleme für sie bringt. Es gab enormen Druck aus Washington und aus Saudi-Arabien. Besonders Frankreich und Großbritannien haben sich vor Saudi-Arabien gestellt. Spanien wiederum hält seine schützende Hand über Panama. Das alles hat dazu geführt, dass die Liste keine Freunde mehr hat.

Welche praktische Bedeutung hat die Liste?
Die Länder geraten im EU-Finanzsystem unter eine Art Prüfvorbehalt. Sobald ein Kunde oder eine Firma aus einem dieser Länder kommt, müssen Banken und andere Finanzinstitutionen in der EU verschärft prüfen, etwa wenn eine reiche Privatperson aus Saudi-Arabien in Europa Geschäfte machen oder Immobilien kaufen will. Das behindert natürlich den Wirtschaftsverkehr. Eine zweite Folge wäre, dass nach den Finanzstatuten der EU, Akteure aus diesen Ländern nur noch sehr eingeschränkt mit Geldern der EU gefördert werden können. Die Liste hätte also ganz praktische Auswirkungen, insbesondere für die wirtschaftlichen und politischen Eliten in diesen Ländern.

Die Regierung in London weist den Vorwurf zurück, sie stelle sich schützend vor Saudi-Arabien ...
Das widerspricht allen meinen Quellen, und es widerspricht den Informationen der „Financial Times“, die ausführlich darüber berichtet hat; da ist alles genau dokumentiert. Es gab einen Brief aus Saudi-Arabien an alle EU-Botschaften, und Großbritannien war beim Widerstand gegen die Liste besonders aktiv. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt: Sobald Großbritannien aus der EU ausgetreten ist, ist es selbst ein Kandidat für die Liste und wird mitsamt seiner Überseeterritorien unter besonderer Beobachtung stehen. Der Finanzplatz London hat bei vielen der letzten großen Geldwäsche-Skandale eine wichtige Rolle gespielt.

Die EU-Mitglieder sagen, die Erstellung der Liste sei intransparent gewesen, die EU-Kommission habe sie nicht konsultiert. Was sagen Sie zu diesem Vorwurf?
Das ist falsch. Es gibt eine Expertengruppe, in der Vertreter aller Mitgliedstaaten und immer auch ein Vertreter des Europaparlaments sitzt. Dort sind alle vorläufigen Länderprüfungen eingereicht worden; die liegen mir ebenso vor wie den Mitgliedstaaten. Die Methodik zur Prüfung der Länder ist in dieser Gruppe besprochen und für gut geheißen worden. Die Aufregung hat erst dann eingesetzt, als die Liste mit den Namen der Staaten offiziell wurde; in dem Moment hat der heftige Gegendruck eingesetzt. Sich jetzt hinter Methodenkritik zu verstecken, ist unglaubwürdig.

Welche Rolle spielt die Bundesregierung?
Deutschland trägt die Ablehnung mit, auch wenn Frankreich und Großbritannien lauter waren. Deutschland versteckt sich hinter der formalistischen Methodenkritik. Das ist halt typisch deutsch: Der deutsche Idealismus führt dazu, dass man eine ideale, in sich kohärente Methode fordert, anstatt offen zu sagen, dass man bestimmte wirtschaftliche und politische Interessen hat, die einem wichtiger sind als der Kampf gegen Geldwäsche. Das ist schädlich, denn wir wissen ja, dass etwa zehnmal mehr Geld als die gesamte Entwicklungshilfe aus den ärmsten Ländern der Welt als illegitime Kapitalflüsse durch die Steueroasen fließt. Das Rückgrat dieses Systems sind die Finanzplätze der reichen Staaten, über die das Geld reingewaschen wird. Auch Deutschland ist ein begehrtes Ziel für Geldwäscher, weil das Risiko, entdeckt zu werden, gering ist. Insofern haben wir eine enorme moralische Verantwortung, die schwerer wiegt als mögliche wirtschaftliche und politische Kosten, die eine Geldwäsche-Liste verursacht. Denn die Kosten in den Entwicklungsländern sind um ein vielfaches höher.

Welche Position vertritt das Parlament in dem Konflikt?
Es gibt unseren Brief von 29 Abgeordneten an die Kommission mit der Aufforderung, dem Druck der Regierungen nicht nachzugeben. Die Unterzeichner und Unterzeichnerinnen sind mitte-rechts und mitte-links. Es fehlen die Christdemokraten, aber es gab Einvernehmen unter den Fraktionsobleuten des Wirtschafts- und Währungsausschusses, dass man die Liste, so wie sie jetzt ist, passieren lassen will. Und weil der Europäische Rat dagegen ist, war gestern in Brüssel eine Sondertagung der zuständigen Parlamentsausschüsse anberaumt, zu der die Kommission und der Rat vorgeladen waren, um die Probleme zu erklären. Daran können Sie sehen, dass im Parlament die Liste fraktionsübergreifend verteidigt wird. Der genannte Brief steht für eine Mehrheit der Abgeordneten.

Das Gespräch führte Tillmann Elliesen.

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