„Das Christentum ist kein westliches Konzept“

Zum Thema
Südafrikas Kirchen
Südafrikas Kirchen plädieren für einen eigenen afrikanischen Entwicklungsweg, meint Ndangwa Noyoo.

Herr Noyoo, die Kirchen waren wichtige Stimmen im Kampf gegen die Apartheid. Wie sieht das heute aus?
Die Kirchen sind ein wichtiger Partner für Graswurzelorganisationen, für die Bewusstseinsbildung und die Verbesserung der Lebensqualität von Benachteiligten in Südafrika. Das gilt aber nicht nur für die christlichen Konfessionen. Wir haben in Südafrika auch eine sehr engagierte liberale muslimische Community. Andere Religionsgemeinschaften wie zum Beispiel Hindus setzen sich ebenfalls für ein besseres Leben der Armen ein. Alle diese Glaubensgemeinschaften erfüllen ihre traditionelle Funktion als spiritueller Anker für viele Menschen und spielen zudem eine wichtige Rolle für die Entwicklung Südafrikas.

Welche Themen treiben die Kirchen vor allem um?
Sie halten der südafrikanischen Gesellschaft einen Spiegel vor, wenn das Land droht, auf Abwege zu geraten. Das war etwa unter Staatspräsident Jacob Zuma von 2009 bis 2018 der Fall, als Korruption und Selbstbereicherung der politischen Klasse überhandnahmen. Zu den besonders wichtigen Stimmen gehört Thabo Makgoba, der anglikanische Erzbischof von Kapstadt. Er hat im Jahr 2017 öffentlich kritisiert, führende Politiker des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) seien korrupt, und forderte in seiner Weihnachtspredigt, Zuma als Staatspräsidenten abzulösen. Ähnlich wie Makgoba hat auch Desmond Tutu, der ehemalige anglikanische Erzbischof von Kapstadt, die Regierenden des ANC mehrfach scharf kritisiert.

Warum ist es wichtig, dass sich gerade die Kirchen einmischen?
Zunächst einmal sind rund vier von fünf Südafrikanern zumindest auf dem Papier Christen. Daher hat es großes Gewicht, wenn die Kirchen Missstände in der Regierung anprangern. Außerdem gehören sie zu den wenigen, die unsere eigenen Leute kritisieren.  Heute sind es nicht mehr Weiße, die die Bevölkerungsmehrheit unterdrücken, sondern wir haben es mit dem Fehlverhalten der schwarzen Regierung zu tun. Vertreter des ANC, die eigenen Kameraden aus dem Befreiungskampf, missbrauchen ihre Macht.

Und außer den Kirchen kritisiert das niemand?
Für viele Menschen war das lange ein Dilemma. Es gab den Reflex, trotz kritikwürdiger Politik die Reihen zu schließen. Je mehr Zuma sein Amt missbraucht hat, desto mehr wurde er vom ANC geschützt. Es waren Kirchenleute, die gesagt haben, das kann so nicht weitergehen. Aufgabe der Kirche ist nicht nur, zur Entwicklung des Landes beizutragen, sondern öffentlich politische Fragen nach Rechenschaftspflicht, guter Regierungsführung und Rechtsstaatlichkeit zu stellen.

Sicher sind nicht alle Kirchenleute so konsequent wie Makgoba oder Tutu, oder?
Die Kirchen bilden natürlich keine homogene Gruppe. Aber große Teile der katholischen, anglikanischen und protestantischen Kirchen drängen auf eine eigene, genuin südafrikanische Entwicklung. Das ist nicht nur eine Frage politischer Prioritäten, sondern es betrifft das grundlegende Konzept von Gott und Christentum in einem afrikanischen Kontext. Solche Kirchenleute wollen eine afrikanische Perspektive auf Religion und ein Christentum voranbringen, das weniger westlich dominiert ist.

Was heißt das?
Wir haben das Christentum als ein westliches Konstrukt kennengelernt. Die europäischen Missionare, die uns den Glauben brachten, haben uns immer eingetrichtert, die westliche Sichtweise des Christentums sei die einzig richtige. Dabei haben auch Afrikaner ihren Anteil an der Kirchengeschichte, denken Sie etwa an das christliche Reich Aksum ab dem 4. Jahrhundert in Äthiopien. Der Ursprung des christlichen Glaubens liegt außerdem nicht in Europa, sondern im Nahen Osten. Kirchenleute wie Thabo Makgoba betonen heute besonders, dass Jesus ein Palästinenser war, kein Europäer. Und dass er arm war wie viele in Afrika.

Trifft dieses Thema heute einen Nerv bei den Kirchen?
Ja, solche Fragen treiben viele Menschen in den Kirchen Südafrikas heute um. Das Verständnis dafür wächst, dass wir einen eigenen Weg für unsere Entwicklung finden müssen. Wie ein genuin afrikanischer Weg aussehen kann, dazu gibt es sehr unterschiedliche Vorstellungen. So gibt es zum Beispiel eine Vielzahl kleiner indigener Kirchen, charismatische afrikanische Dorfkirchen. Sie mischen christliche Vorstellungen mit afrikanischen Symbolen und sind letztlich mehr afrikanisch als christlich. Die Kirchengründer werden als Propheten verehrt. Diese Kirchen sind in der Regel völlig unpolitisch. Da gibt es eine große Bandbreite.

Im Westen haben die Geldgeber in der Entwicklungszusammenarbeit seit einigen Jahren das Thema Religion entdeckt. Was halten Sie davon?
Hier bin ich vorsichtig, was das bedeutet. Denn die Agenda der Entwicklungspolitik hat großen Einfluss auf unser Land. Nach wie vor dominiert der Norden den globalen Süden auf einseitige Weise und zumindest einige der westlichen Partner verfolgen ihre eigenen Interessen in der Entwicklungszusammenarbeit. Wir müssen immer schauen, welche versteckten Interessen sich hinter solchen Trends verbergen. Ich sehe auch eine Aufgabe der Kirchen darin, ungleiche Machtverhältnisse zu entlarven. Hier müssen sie noch konsequenter werden.

Das Gespräch führte Claudia Mende.

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erschienen in Ausgabe 4 / 2019: Erde aus dem Gleichgewicht
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