Der Augenblick der Wahrheit

Auf dem indischen Medienmarkt sieht Rupert Murdoch großes Wachstums­potenzial für seinen Konzern „News Corporation“. Doch im Wettlauf um die Einnahmen aus dem Privatfernsehen ist er hinter ein indisches Unternehmen zurückgefallen. Mit Hilfe der Reality-Show „Augenblick der Wahrheit“ will Murdoch wieder Marktführer werden, aber die Sendung sorgt für Kontroversen.

News Corporation mit Hauptsitz in New York City ist das viertgrößte Medienunternehmen der Welt. Der Konzern von Rupert Murdoch ist weltweit gut im Geschäft. Er hat Standbeine in Australien, dem Ursprung der Verlegerdynastie, in Großbritannien, in den USA und in Asien. Dabei ist er mit Zeitungen, Fernsehen, Radio, Film und Internet im Vergleich zur Konkurrenz breit aufgestellt. Die altehrwürdige Londoner „Times“, das „Wall Street Journal“ und die skandalträchtige „Sun“ gehören genauso den Murdochs wie das 20th Century Fox Studio in Hollywood, der britische Pay-TV-Sender BSkyB sowie Fox Broadcasting, eines der vier großen US-Fernsehnetzwerke. In Deutschland konzentriert sich das Interesse der Murdochs bisher auf den Pay-TV-Sender Premiere, der seit Juli 2009 als Sky Deutschland einen Neustart erlebt.

Beim Geschäft mit Asien stehen Fernsehen und Film im Vordergrund. Und für diese Region hegt Murdoch die größten Wachstumspläne. Sein 36-jähriger Sohn und mutmaßlicher Erbe James, der von London aus das Europa- und Asiengeschäft des Weltkonzerns steuert, soll das übernehmen. Für James Murdoch ist Asien untrennbar mit „Star TV“ verbunden. Von 2000 bis 2003 war er selbst Geschäftsführer und legte die Grundlage für den heutigen Geschäftserfolg. Der Fernsehdienst „Star TV“ bietet heute seinen Kunden in 53 asiatischen Ländern 63 verschiedene Fernsehkanäle in zehn Sprachen an. Dazu gehören Unterhaltung, Nachrichten, Sport und Musik.

Autor

Mathias Ebert

ist Medienjournalist in Plauen und schreibt für eine Reihe von Fachdiensten, unter anderem für „epd Medien“.

Asien wird in der Bilanz der globalen News Corporation immer wichtiger. Und in der Region spielt Indien die dominierende Rolle. Der indische Markt erwirtschaftet für das Unternehmen etwa 400 Millionen US-Dollar im Jahr, das sind 75 Prozent des Umsatzes des Asiengeschäftes. Das ist zwar nur ein Bruchteil bei einem Konzernumsatz von 33 Milliarden Dollar. Aber er nimmt zu. Indien mit seiner Milliardenbevölkerung, und nicht China, wird, wenn die Entwicklung politisch und wirtschaftlich stabil bleibt und jährlich weiter Wachstumsraten von mindestens vier Prozent erreicht werden, für die Murdochs der Markt der Zukunft. Deshalb will James Murdoch Indien jetzt aus dem Asiengeschäft herauslösen und sich als unabhängige Unternehmenseinheit direkt unterstellen.

Der Subkontinent ist eine alte Liebe der Familie. Rupert Murdoch war Anfang der 1990er Jahre der erste westliche Unternehmer, der den Sprung auf den schwierigen indischen Medienmarkt wagte. Vor 1991 gab es in Indien nur zwei Fernsehprogramme, die vom staatlichen Fernsehsender Doordarshan ausgestrahlt wurden. Gegenwärtig sind es etwa 450, zumeist private Kanäle, und weitere 180 warten auf eine Zulassung durch die indische Regierung.

Murdoch beteiligte sich bereits 1993 am Fernsehangebot „Star TV“ der Hongkonger Medien- und Telekomdynastie Li und übernahm 1995 das Angebot ganz. Nach dem Golfkrieg 1991 und der Live-Berichterstattung von CNN darüber wollten auch die Zuschauer im wenigen Hunderte Kilometer entfernten Indien den Krieg und andere Weltereignisse live miterleben und nicht mehr nur indische Fernsehprogramme, Spielfilme und Sport sehen. Gleichzeitig wurde mit dem Liberalisierungskurs der indischen Regierung unter dem damaligen Finanzminister und heutigen Premier Manmohan Singh Anfang der 1990er Jahre die strikte Mediengesetzgebung gelockert, die eine Beteiligung ausländischer Firmen untersagte. Auch für indische Unternehmer wurde der Medienmarkt nun zu einem attraktiven Investitionsgebiet. Das Fernsehen war in Indien erst Anfang der 1980er Jahre im Zusammenhang mit den Asienspielen zu einem Massenmedium geworden.

Im Gegensatz zu China ist Indien aufgrund seiner unterschiedlichen Sprachen und Kulturen kein einheitlicher Fernsehmarkt. Zwar dominiert im Norden Indiens die Sprache Hindi mit über 420 Millionen Menschen in neun der 28 indischen Bundesstaaten und im Unionsterritorium Delhi. Aber das sind nur etwa 41 Prozent der mehr als eine Milliarde Inder. Andere wichtige nordindische Sprachen, die mit Hindi verwandt sind, sind Bengali in der Metropole Kolkata, das als Staatssprache auch in Bangladesch gesprochen wird, Marathi in dem indischen Finanz- und Wirtschaftszentrum Mumbai, Urdu in Jammu und Kaschmir, das auch Staatssprache in Pakistan ist, und Gujarati mit dem Zentrum Ahmadabad. Eine ganz andere Kultur vertreten die vier südindischen Bundesstaaten Andhra Pradesh, Tamil Nadu, Karnataka und Kerala mit vier weiteren verschiedenen Sprachen. Die ehemalige Kolonialsprache Englisch ist immer noch eine der offiziellen Sprachen Indiens, die von mehr als 90 Millionen Indern als „zweite Sprache“ angegeben und von vielen als Kommunikationsmittel mit anderssprachigen indischen Völkern genutzt wird.

„Es ist ein wundervoller Markt. Wir haben gute Erfahrungen gesammelt. Aber wir glauben, dass wir erst am Anfang stehen und noch eine Menge zu tun haben. Medien ändern sich überall auf der Welt, und in einem Land wie Indien gibt es gewaltige Möglichkeiten“, erklärte Murdoch in einem seiner seltenen Interviews im Jahr 2005. Besonders im Fernsehbereich wittert Murdoch große Chancen. In Indien verfügen nach Angaben von Anfang 2009 erst 127 der insgesamt 224 Millionen Haushalte über einen Fernsehempfänger. Innerhalb der nächsten drei Jahre rechnet man damit, dass weitere 35 Millionen sich ein Fernsehgerät zulegen werden.

Doch dieser Markt ist heiß umkämpft. Mehr als 83 Millionen Hauhalte empfangen heute ihre Fernsehprogramme bereits über Kabel oder Satellit. Davon nutzen sieben Millionen das kostenlose Satellitenfernsehangebot des öffentlich-rechtlichen indischen Fernsehens Doordarshan. 76 Millionen Inder schauen Pay-TV-Programme, darunter 13 Millionen die fünf kommerziellen, teureren Satelliten-Direktfernsehangebote von Murdoch (Tata Sky), Chandra (Dish TV), Maran (Sun Direct), Reliance und Airtel.

Bis 2007 dominierte die Star-Gruppe auf dem indischen Fernsehmarkt. Diese Vorherrschaft begründete James Murdoch im Jahr 2000 mit „Kaun Banega Crorepati“, der indischen Version der weltweit erfolgreichen Gameshow „Wer wird Millionär?“ Drei Staffeln liefen in den Jahren 2000, 2005 bis 2006 sowie 2007 mit prominenten indischen Film- und TV-Stars als Moderatoren der Ratesendung. Der Gewinner konnte beim ersten Mal bis zu 10 Millionen Rupien, danach sogar bis zu 20 Millionen Rupien (nach heutigem Kurs rund 290.000 Euro) gewinnen. Als überaus erfolgreiches Fernsehprogramm wurde es 2008 im britisch-indischen Spielfilm „Slumdog Millionaire“ auch verfilmt. Der Film erhielt 2009 acht Oscars beim  weltweiten Filmwettbewerb in Los Angeles. Natürlich war daran auch das Murdoch-Filmstudio Fox beteiligt. Bei Produktionskosten von 15 Millionen Dollar wurden trotz ursprünglich niedriger Erwartungen bisher schon über 360 Millionen Dollar eingespielt.

Auch sonst waren James Murdoch und seine indischen Mitarbeiter von „Star India“ jahrelang bei der Fernsehprogrammgestaltung sehr erfolgreich. Sie setzten bei Star Plus auf einen gelungenen Mix aus selbst produzierten indischen Fernsehserien und Spielfilmen. Relativ spät, erst vor zwei Jahren, starteten sie jedoch Angebote in den anderen indischen Regionalsprachen. Im April 2009 erreichte Star TV mit seinem neuen bengalisprachigen TV-Kanal Star Jalsha die Spitzenposition in Westbengalen. Im Süden Indiens hat man mit Jupiter Entertainment Ventures ein Gemeinschaftsunternehmen gegründet, um mit vereinten Kräften neue Fernsehkanäle in den vier südindischen Sprachen zu entwickeln.  

Die Murdochs sind auf Grund der indischen Mediengesetzgebung dazu gezwungen, Allianzen mit einheimischen Unternehmern einzugehen. So haben sie beim Film- und Nachrichtengeschäft und beim Kabelfernsehen Allianzen mit verschiedenen indischen Partnern geschlossen. Auf dem Gebiet des Satellitenfernsehens besteht ein Bündnis der Murdochs mit den Tatas, einer der angesehensten und reichsten indischen Unternehmerdynastien, für ihre gemeinsame TV-Satelliten-Plattform Tata Sky. Daran ist als dritter Partner auch noch die milliardenschwere singapurische Staatsholding Temasek beteiligt.

Dennoch ist der Marktführer heute mit mehr als fünf Millionen Abonnenten Dish TV, dessen Eigentümer Subhash Chandra zu den erbitterten Wettbewerbern der Murdochs zählt. Der 58-jährige Unternehmer hatte sein erstes Geld in den 1980er Jahren mit Reisexporten in die Sowjetunion verdient und in den 1990er Jahren mit Murdoch eine Allianz zur Einspeisung ihrer Satellitenfernsehkanäle ins indische Kabelfernsehen gebildet. Inzwischen kontrolliert Chandra mit Zee Entertainment Enterprises und Zee News ein eigenes Medienimperium. Zee TV hat Anfang des Jahres mit seiner Tanzshow „Dance India Dance“, einer Unterhaltungsshow nach britischem Vorbild, „Star Plus“ vom ersten Platz bei den hindisprachigen Unterhaltungsprogrammen verdrängt.

Murdochs „Star TV“ hingegen setzt im Augenblick in Indien auf das neue umstrittene Reality-Programm „Sach Ka Samna“ („Augenblick der Wahrheit“), das seit dem 15. Juli auf seinem hindisprachigen TV-Hauptkanal Star Plus läuft. Dabei müssen die Kandidaten vor der Sendung etwa 50 persönliche und teilweise sehr indiskrete  Fragen beantworten, während sie an einen Lügendetektor angeschlossen sind und die Ergebnisse aufgezeichnet werden. Während der Sendung selbst müssen die Kandidaten noch einmal 21 dieser Fragen beantworten. Bei ehrlicher Beantwortung der Fragen kommt der Kandidat weiter, bei Lügen scheidet er aus. Hauptgewinn bei diesem Wettbewerb sind 10 Millionen Rupien (150.000 Euro). Vorbild des Programms ist die US-amerikanische Gameshow „Moment of Truth“, die 2008 auf Murdochs US-amerikanischem Fernsehsender Fox lief und bisher als Fernsehformat in 46 Länder exportiert wurde.

Ausprobiert hatte der Erfinder der Show, der Amerikaner Howard Schultz, das Programm allerdings zuerst 2007 in Kolumbien unter dem Titel „Nada mas que la verdad“. Dort wurde es aber bald abgesetzt, nachdem eine Frau öffentlich zugegeben hatte, einen Killer angeheuert zu haben, um ihren Ehemann zu ermorden. Für Indien ist die öffentliche Erörterung intimer Details im Fernsehen bei Fragen wie „Haben Sie schon einmal eine Affäre mit einem verheirateten Mann gehabt?“ oder „Haben Sie die Chirurgie benutzt, um ihr Aussehen zu verschönern?“ ein Novum, das von einem Großteil der indischen Bevölkerung abgelehnt wird. Indiens Rundfunk- und Informationsministerin Ambika Soni zeigte sich daher vor Kurzem besorgt, dass die Werte, mit denen sie aufgewachsen sei, durch solche Themen untergraben würden.

Mit dem Programm „Sach Ka Samna“, das auch schon heftige Diskussionen im indischen Parlament ausgelöst hat, will „Star“ seine Marktführerschaft, die es in den vergangenen zwei Jahren in Indien eingebüßt hat, zurückgewinnen. Neben der Zee-Mediengruppe von Subhash Chandra gehören vor allem US-amerikanische Unternehmen zu den wichtigsten Kontrahenten der Murdochs in Indien. Dazu zählen die US-amerikanischen Medienunternehmen Viacom (CBS, MTV, Nickelodeon), Time Warner, Disney und NBC Universal mit ihren indischen Partnern, der japanische Sony-Unterhaltungskonzern, der über sein Hollywood-Studio Sony Pictures in Indien Fernsehen betreibt, und auch die südindische Sun-Gruppe der Familie Maran. Der heute 44-jährige Kalanidhi Maran legte bereits 1992 den Grundstein für das größte Medienunternehmen im indischen Süden in den vier Sprachen Tamil, Telugu, Kannada und Malayalam. Er ist ein Großneffe von M. Karunanidhi, dem 85-jährigen, seit 40 Jahren mit Unterbrechungen bis heute regierenden Premierminister des Bundesstaates Tamil Nadu.

Heiß umkämpft sind nicht nur die Fernsehzuschauer in Indien selbst, sondern auch die indische Diaspora. Schätzungen zufolge leben gut 35 Millionen Inder im Ausland. Und hier hat Murdochs Konkurrent Subhash Chandra eindeutig die Nase vorn: Bereits 1995 startete Zee TV ein erstes Angebot für indische Zuschauer in Großbritannien und Europa mit fünf Fernsehkanälen und ist bis heute Marktführer geblieben. Hauptmärkte sind Großbritannien und die USA, wo Zee TV seit 1998 aktiv ist und die wichtigsten indischen Fernsehkanäle anbietet. 2007 hatte Zee den ersten indischen Fernsehkanal in Russland gestartet, 2008 folgte der Einstieg auf dem englischen Radiomarkt. Im selben Jahr kam in den USA der erste indische Lifestyle-Kanal hinzu. Gegenwärtig setzt Zee International, das nach eigenen Angaben 500 Millionen Zuschauer in 167 Ländern erreicht, allerdings vor allem auf den Erhalt des Erreichten. Man wolle sich in Zeiten der Wirtschaftskrise nicht in Abenteuer verstricken lassen, heißt es in Mumbai.

 

erschienen in Ausgabe 9 / 2009: Medien: Die heiße Ware Information
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