Superreich und geizig

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Spendenbereitschaft in Indien
Inder spenden gern für wohltätige Zwecke – aber je mehr Geld sie haben, desto weniger geben sie. Auch die Kampagne der Regierung gegen die Zivilgesellschaft schreckt Spender ab.

Der indische Milliardär Azim Premji kündigte im März dieses Jahres an, er werde sein philanthropisches Engagement auf die schwindelerregende Summe von insgesamt 21 Milliarden US-Dollar erhöhen. Premji, der mitunter als Indiens großzügigster Bürger bezeichnet wird, ist Vorsitzender von einer der weltweit fünf größten privaten Stiftungen. Über viele Jahre hat er, ähnlich wie die US-Amerikaner Bill und Melinda Gates sowie Warren Buffett, regelmäßig riesige Summen gespendet. Er hat sich deren Aufruf angeschlossen, die reichsten Menschen der Welt sollten die Hälfte ihres Vermögens für wohltätige Zwecke abtreten.

So lobenswert der Einsatz von Azim Premji ist: Leider ist das unter Indiens Reichsten nicht die Regel. Es gibt mehr als hundert Milliardäre im Land, doch rechnet man Premjis ungewöhnlich hohe Spenden heraus, zeigt die Statistik, dass deren Spenden für wohltätige Zwecke seit 2014 zurückgegangen sind.

Insgesamt hingegen ist das Spendenaufkommen in Indien gewachsen. Einer Umfrage der Charities Aid Foundation (CAF) zufolge haben fast drei Viertel der Befragten im vergangenen Jahr für wohltätige Zwecke gespendet. Doch bei einer Bevölkerung von mehr als einer Milliarde Menschen reichen zehn Milliarden Dollar Spenden natürlich bei weitem nicht, um alle Gemeinden zu erreichen, die unterversorgt sind. Indiens Wirtschaft ist zwar in den vergangenen drei Jahrzehnten schnell gewachsen, und mehr als 200 Millionen Menschen sind allein in der Dekade 2006 bis 2016 der Armut entkommen. Doch die Ungleichheit steigt.

Und die Spendenanteile der wohlhabendsten Bürger gehen kontinuierlich zurück. Laut der weltweit tätigen Unternehmensberatung Bain and Company ist die Zahl der sehr reichen Inder, die netto über mehr als 250 Millionen Dollar verfügen, in den vergangenen fünf Jahren um 12 Prozent gestiegen. Die Spenden aus dieser Bevölkerungsgruppe sind allerdings nicht gestiegen. Das wäre aber wichtig, da Indien derzeit der Erreichung der UN-Nachhaltigkeitsziele deutlich hinterherhinkt. Um nur jedes dritte der 17 Ziele zu erreichen, wären Bain and Company zufolge pro Jahr 60 Milliarden Dollar mehr erforderlich. Die Vermögendsten könnten helfen, diese Lücke zu schließen.

Insgesamt sind die Inder spendabel

Während die Superreichen also auf ihrem Geld sitzen, zeigen sich die Inder insgesamt bemerkenswert spendabel – sogar im Vergleich mit anderen Entwicklungsländern. Der Charities Aid Foundation zufolge haben im Jahr 2018 in keinem anderen Land so viele Menschen Geld gespendet wie in Indien. Laut dem Beratungsunternehmen Sattva, das auf Social-Impact-Investitionen spezialisiert ist, spenden Indiens Normalverdiener mehr als doppelt so viel wie der Durchschnittsspender in China. Wobei beachtet werden muss, dass in Indien 90 Prozent informell gespendet werden, etwa an Basisorganisationen und religiöse Institutionen. Nur zehn Prozent der Spenden fließen über formelle Kanäle, die sich verfolgen lassen.

Aarti Mohan, Mitgründerin von Sattva, erklärt, es lasse sich nur schwer genau bestimmen, wohin informelle Spenden fließen. Etwa 12 Prozent davon dürften in die Katastrophenhilfe gehen, der Rest in laufende Kosten der Organisationen. Mohan sagt jedoch voraus, dass diese informellen Kanäle im Verlauf der kommenden Jahre weniger wichtig werden. Online-Plattformen werden es der Oberschicht und der höheren Mittelschicht – die sich Schätzungen zufolge bis 2030 verdoppeln wird – leichter machen, formal zu spenden. „Die Hürde, zu spenden, liegt heute aufgrund neuer Technologien niedriger.“

Doch Online-Plattformen allein reichen nicht, um Einzelpersonen für formale Spenden zu gewinnen. Seit Jahrzehnten gibt es eine Kampagne der Regierung, die Glaubwürdigkeit einheimischer und ausländischer nichtstaatlicher Organisationen (NGOs) in Indien zu unterminieren – mit Folgen: Ingrid Srinath, Direktorin des Centre for Social Impact and Philanthropy an der Ashoka University in Delhi, sagt: „Dem NGO-Sektor wird sehr wenig Vertrauen entgegengebracht, und das ist in vielerlei Hinsicht das größte Hindernis dafür, dass Menschen mehr spenden.“

Argwohn gegenüber Spenden aus dem Ausland

Eine breite Öffentlichkeit in Indien zweifle an der Integrität und der Wirksamkeit der NGOs – trotz der Erfolge der indischen Zivilgesellschaft seit Jahrzehnten, Dinge zum Guten zu verändern. Die rechtsgerichtete Regierung von Premierminister Narendra Modi betrachtet Spenden aus dem Ausland mit Argwohn, vor allem von christlichen Organisationen. Srinath betont aber, dass dieses Misstrauen bereits unter der Regierung der Congress Party gewachsen ist, des wichtigsten Rivalen von Modis Partei BJP.

Autorin

Namrata Kolachalam

ist Autorin und lebt in Mumbai, Indien.
Die BJP hat diese Stimmung verstärkt und den Fokus auf Spenden aus dem Ausland gelenkt. 2017 zum Beispiel blockierte die Regierung die jährliche Zuwendung der US-amerikanischen christlichen NGO Compassion International in Höhe von 50 Millionen Dollar für indische Kinder. Geld aus dem Ausland anzunehmen mache den Empfänger anti-national, lautet das Argument der Regierung. Doch das ist heuchlerisch: Die radikal-hinduistische Bewegung Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS), die mit der BJP eng verbunden ist, nimmt selbst Gelder aus dem Ausland an.
 
Doch die dauernde Stimmungsmache gegen NGOs bestärkt viele darin, lieber über informelle Kanäle zu spenden. Dabei könnten Regierungen und NGOs ohne weiteres zusammenarbeiten, um das Vertrauen in die Zivilgesellschaft zu stärken, etwa indem die Organisationen auf Transparenz und klare Regeln für das Tagesgeschäft verpflichtet werden. Ingrid Srinath von der Ashoka University nennt es paradox, dass die Inder sich zwar gern philanthropisch engagieren, die Infrastruktur dafür aber, dies effektiv zu tun, unterentwickelt ist. In Indien gibt es keine Ethik-Regelungen für das Fundraising, Transparenzgebote oder Standards etwa für die Gehälter von Vorsitzenden gemeinnütziger Organisationen. Außerdem fehlen Mechanismen für die Berichterstattung der NGOs, wohin die Gelder fließen oder was sie bewirken.

Anders als in den USA, wo eine gemeinnützige Organisation in eine bestimmte und eng gefasste Steuerkategorie fällt, können NGOs in Indien als Stiftung, gemeinnützige Organisation oder als Verein eingestuft werden. Diese Kategorien sind höchst unklar und mitunter unpassend. Nur wenige kämen etwa auf die Idee, die Indian Cricketers‘ Association genauso wie ein Krankenhaus auf dem Land als gemeinnützige Organisation zu bezeichnen. Derzeit definieren sich beide aber selbst so. In einem Land mit Hunderttausenden, wenn nicht Millionen NGOs, von denen manche wichtige Wohltätigkeitsarbeit leisten und andere nicht, ist es schwierig, zwischen seriösen und unseriösen Organisationen klar zu unterscheiden.

Wohltätiges Engagement von Unternehmen

Indien hat aber andere Reformen vorangetrieben, um philanthropische Spenden anzuregen. Das Land liegt mit an der Spitze bei der sogenannten Corporate Social Responsibility (CSR), also dem wohltätigen Engagement von Unternehmen. Vor sechs Jahren erließ die Regierung den Indian Companies Act, nach dem Unternehmen, deren Wert oberhalb einer bestimmten Schwelle liegt, zwei Prozent ihres durchschnittlichen Nettogewinns aus den vorhergehenden drei Jahren für CSR-Aktivitäten ausgeben müssen. Das Gesetz ist nicht perfekt, und laut einer Prüfung umgeht die Hälfte der infrage kommenden Unternehmen diese Pflicht. Zudem gibt es Schlupflöcher, die es Unternehmen etwa ermöglichen, Brandschutzübungen für die Beschäftigten als CSR-Aktivität zu verkaufen.

Doch viele NGOs sind mittlerweile auf diese Geldquelle angewiesen. Krishnakuntala Banerji, Öffentlichkeitsarbeiterin der NGO Rural Health Care Foundation (RHCF), erklärt, ihre Organisation stütze sich mehr auf CSR-Beiträge von Unternehmen als auf einzelne Spender. Das Jahresbudget beträgt etwa 710.000 US-Dollar; die NGO hat den Auftrag, hochwertige Gesundheitseinrichtungen auf dem Land im indischen Bundesstaat Westbengalen zu betreiben.

Banerji sagt, ebenso wichtig wie ausreichend Geld zu bekommen sei es, die richtigen Geldgeber zu finden. Man müsse Spender finden, die sich mit den Kernaufgaben der Organisation verbunden fühlen und nicht versuchen, ihre eigenen Vorstellungen aufzudrängen. In dieser Hinsicht seien Unternehmen die ideale Finanzierungsquelle: Sie sind gesetzlich verpflichtet, jedes Jahr zu spenden, und sie können normalerweise mehr Geld geben als Einzelspender. Krishnakuntala Banerji weist aber auch darauf hin, dass die Spenden zurückgehen, wenn der Gewinn eines Unternehmens einmal deutlich schrumpft. Hinzu kommt eine ungleiche Verteilung: Zum Beispiel erhält der indische Bundesstaat Maharashtra einen unverhältnismäßig hohen Anteil der Firmenspenden, da die Hauptstadt Mumbai auch das Finanzzentrum des ganzen Landes und Sitz vieler vermögender Unternehmen ist.

Vielleicht eine der wichtigsten Auswirkungen der CSR-Regeln besteht jedoch darin, wie sie den politischen Diskurs in Indien geprägt haben. Ingrid Srinath zufolge lassen große Unternehmen pflichtbewusst Geld in sichere, nicht umstrittene Bereiche wie technokratische Bildungsinitiativen und Gesundheits- und Ernährungsprogramme fließen. Doch die vielen Massenbewegungen im Land, die von marginalisierten Gemeinschaften, Bauern und Studenten angeführt werden, bleiben unterversorgt.

Kein Geld für Menschenrechtsarbeit

Für Menschenrechtsarbeit sei es nahezu ausgeschlossen, Geld zu bekommen, sagt Ingrid Srinath. „Es gibt Geld, um Mädchen an Schulen zu bringen, aber nicht, um der Gewalt gegen Frauen ein Ende zu setzen.“ Daher erscheinen die CSR-Gesetze wie ein zweischneidiges Schwert: Einerseits treiben sie die Finanzierung guter Zwecke voran, andererseits werden jene philanthropischen Anstrengungen, denen viel Aufmerksamkeit zukommt, keimfrei gemacht und entpolitisiert.
Die Indo-Global Social Service Society (IGSSS) und die Caritas India erhalten einen erheblichen Teil ihrer Unterstützung von Deutschlands Regierung sowie anderen EU-Ländern. Spender aus Indien hingegen tragen nur wenig bei. Anthony Chettri, Programmleiter bei IGSSS, sagt, man bemühe sich permanent um Spenden, doch die Zuschüsse aus der indischen Mittelschicht seien relativ klein. Anjan Bag, Manager für humanitäre Hilfe bei der Caritas, sagt, seine Organisation sei in Krisenzeiten, etwa nach Katastrophen, stärker auf die Unterstützung von Gemeinden und Kirchen angewiesen als auf Einzelspender.

Bag sagt, seine Organisation habe vor anderthalb Jahren eine Studie zur humanitären Hilfe durchgeführt und festgestellt, dass das Image von Indien als aufstrebender Supermacht, aber auch die zunehmende Rolle als Spender für andere Entwicklungsländer, einige wichtige Spender bewogen habe, sich den Bedürfnissen anderer Länder im Süden zu widmen. Die Caritas-Studie weist darauf hin, dass das „schwerwiegende Auswirkungen“ auf die Fähigkeit von Hilfsorganisationen haben könnte, die Bedürfnisse der Verwundbaren in Indien zu befriedigen. Humanitäre Organisationen beobachten diesen Trend mit Sorge.

Sowohl IGSSS als auch die Caritas arbeiten mit zahlreichen NGOs eng zusammen und betonen, dass diese Organisationen unverzichtbare Arbeit leisten, um marginalisierte Gemeinschaften zu unterstützen. Anthony Chettri kennt NGOs, die nicht mehr als zwei oder drei Mitarbeiter haben, die nicht vertraut sind mit bestimmten Regeln oder Prozeduren. Diese Mitarbeiter seien vielleicht nicht gerade perfekt, räumt er ein, aber sie arbeiteten mit „großer Leidenschaft“. Vergleiche man ihre Arbeit in kleinen Gemeinschaften mit dem, was die wohlhabendsten Inder so tun, so komme er persönlich zu dem Schluss, dass „mehr Mitglieder wohlhabender Familien ehrenamtlich tätig sein, die kleinen NGOs unterstützen und spenden sollten.“

Aus dem Englischen von Bernd Stößel.

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erschienen in Ausgabe 12 / 2019: Armut: Es fehlt nicht nur am Geld
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