„Man kann Vermögen wirksam besteuern“

Pascal Lauener/Reuters

Schweizer Jusos demonstrieren 2011 vor dem Parlament in Bern für die 1:12-Initiative, um Gehaltsunterschiede in einer Firma zu begrenzen.
 

Reichtum
Wer reich ist, konsumiert mehr und trägt damit mehr zur Umweltbelastung bei. Soll man deshalb eine Obergrenze für Reichtum einführen – und geht das überhaupt? Isabel Z. Martinez erklärt, was man hier sinnvoll tun kann.

Der britische Journalist George Monbiot hat gefordert, Reichtum zu begrenzen, um das Klima zu schützen. Denn der Konsum wächst mit dem Reichtum, Superreiche fliegen sogar mit Privatjets um die Welt. Was halten Sie von der Idee?
Zunächst einmal finde ich sie provozierend. Eine Obergrenze für Reichtum erscheint auf den ersten Blick extrem, aber genau deshalb ist die Idee sehr anregend. Sie führt im Grunde zu der Frage: Wie viel ist genug? Ob es ein gutes Mittel für den Klimaschutz ist, weiß ich aber nicht. Nicht nur die Superreichen verursachen pro Kopf zu viele Treibhausgase – auch der Konsum der Mittelschicht in Industrie- und Schwellenländern ist nicht nachhaltig. Wo soll man die Grenze ziehen?

Deshalb schließt George Monbiot, dass auch sein eigener Reichtum begrenzt werden muss.
Das ist konsequent. Aber für den Klimaschutz ist es besser, man verbietet klimaschädliche Tätigkeiten, die kaum einen sozialen Nutzen haben, wie zum Beispiel Autorennen. Andere wie das Fliegen sollte man so teuer machen, dass die schädlichen Folgen sich im Preis widerspiegeln. Es gibt aber andere gute Gründe, Reichtum zu begrenzen, nämlich den sozialen Frieden und die Demokratie zu erhalten. Zum Beispiel muss man in den USA sehr hohe Summen im Wahlkampf ausgeben. Das gibt den Reichsten sehr großen Einfluss auf die Zusammensetzung der Volksvertretung und auf die Politikentscheide.

Welcher Anteil des Reichtums entfällt auf die Reichsten?
Da muss man als Erstes klären, ob man unter Reichtum hohe Vermögen verstehen will oder hohe Einkommen. In den USA besitzt das reichste Prozent der Bevölkerung ungefähr 40 Prozent des gesamten Vermögens. In der Schweiz sind es 28 Prozent, wenn man die steuerlich nicht erfassten, aber gleichmäßiger verteilten Rentenvermögen der Pensionskassen einrechnet; in Frankreich und Großbritannien sind es ungefähr 20 Prozent. Global entfallen etwa 45 Prozent des Weltvermögens auf das reichste Prozent der Weltbevölkerung. Einkommen sind weniger ungleich verteilt: Das eine Prozent der Spitzenverdiener vereinnahmt in der Schweiz und in Deutschland 11 Prozent der Einkommen, in den USA 20 Prozent. Am niedrigsten ist der Anteil in Schweden und Dänemark mit etwa acht Prozent.

Mit welchen Instrumenten könnte man dem Reichtum Grenzen setzen?
Wenn man darunter Vermögen versteht, dann muss man Vermögen besteuern. So kann man in gewissem Maße umverteilen und Ungleichheit verringern. Eine absolute Obergrenze für Reichtum zu setzen hieße aber, eine Steuer von 100 Prozent jenseits dieser Obergrenze zu erheben. Das heißt, das über die Grenze hinausgehende Vermögen wird sozusagen konfisziert.

Ist so etwas schon einmal gemacht worden?
Soweit ich weiß, noch nie. Bei Enteignungen und Bodenreformen in realsozialistischen Staaten ging es um eine einmalige Umstrukturierung der Eigentums- und Machtverhältnisse, nicht um Besteuerung. In einer Demokratie scheint mir das politisch kaum möglich. Ökonomisch kann es ebenfalls problematisch sein: Je nach Reichtumsgrenze würden Sparanreize wegfallen, die Leute würden mehr konsumieren und Geld für Investitionen würde fehlen. Einkommen allerdings wurden früher sehr viel progressiver besteuert als heute: Es gab höhere Spitzensteuersätze für große Einkommen – besonders in den USA.

Neue Wege gegen Ungleichheit wollten in der Schweiz 2013 zwei Volksinitiativen weisen: Die Abzocker-Initiative und die 1:12-Initiative. Sind die zielführend?
Die Abzocker-Initiative richtete sich gegen exorbitante Gehälter für Manager und ist als Einzige angenommen worden. Aber da darf man sich nichts vormachen: Mit ihr wurden in erster Linie die Aktionäre und Kapitalgeber gegenüber den Unternehmensleitungen gestärkt. Das ist begrüßenswert, aber dass das Ungleichheit bei Einkommen oder Vermögen bekämpft, bezweifle ich. Dagegen wollte die 1:12-Initiative die Gehaltsunterschiede innerhalb eines Unternehmens auf 1:12 begrenzen. Das hätte die Verteilung der Einkommen innerhalb der Firmen verändert. Aber die Lohnunterschiede zwischen Firmen und Branchen, zum Beispiel zwischen dem schlecht zahlenden Einzelhandel und der Pharmaindustrie, hätten weiter bestanden. Außerdem ist das Ziel 1:12 kaum sachlich begründet. Es entstand aus der Überlegung: Mein Chef soll nicht in einem Monat mehr verdienen als ich in einem Jahr. Tatsächlich reichen aber die Lohnscheren jetzt bis zu 1:250, das heißt 1:12 wäre eine starke Beschränkung. Die Gefahr bestand, dass Firmen dann ihr niedrig bezahltes Personal auslagern und so die Vorschrift umgehen würden – zum Beispiel Reinigungskräfte nicht mehr anstellen, sondern die Dienstleistung bei anderen Firmen kaufen. Weil sie stark in die Wirtschaftsfreiheit eingegriffen hätte, ging die Initiative am Ende der Mehrheit der Stimmbürger zu weit. Und eine Obergrenze für hohe Einkommen hätte sie nur bedingt bewirkt. Denn die Reichen beziehen nicht bloß ein Gehalt, sondern haben in der Regel Einkommen aus mehreren Quellen – nicht zuletzt aus Vermögen, besonders Unternehmensanteilen.

Jetzt wird die 99-Prozent-Initiative für höhere Steuern auf Vermögens­einkünfte vorbereitet. Was halten Sie davon?
Auch die 99-Prozent-Initiative dürfte es an der Urne schwer haben. Und auch sie hat Schwächen. Angestrebt wird, dass private Kapitaleinkommen über einer noch nicht definierten Schwelle – vorgeschlagen werden 100.000 Franken im Jahr – anderthalb mal so stark besteuert werden wie Arbeitseinkommen. Aber Kapital ist mobil, es geht zum Beispiel dahin, wo die Steuern niedrig sind. Und es ist wandelbar, man kann es von einer Form in eine andere umwandeln. In diesem Fall heißt das: Wenn private Einkommen aus produktivem Kapital höher besteuert werden, zum Beispiel Dividenden aus Aktien, dann gründe ich eben eine Firma und schiebe mein Kapital dort hinein. Dann fällt das Kapitaleinkommen bei der Firma an, und das wird anders besteuert.

Heißt das, der Staat bekommt den Reichtum kaum zu fassen?
Nein. Problematisch ist es, wenn man bestimmte Sorten von Einkommen oder Kapital speziell besteuert. Das schafft einen Anreiz, die zu verlagern. Aber es funktioniert, wenn man alle Formen von Reichtum gleichermaßen der Steuer unterwirft: Wenn der Fiskus jedes Auto, jede Yacht, jedes Gemälde und alle Aktien zusammenzählt zum Vermögen einer Person und das dann besteuert, dann ist es egal, in welcher Form Reichtum gehalten wird. Und dann kann man ihn wirksam besteuern. Verbleibende Steuerschlupflöcher müssen dazu gestopft und die internationale Zusammenarbeit in Steuerfragen gestärkt werden.

Sie haben eingangs geraten, klimaschädliche Verwendungen von Reichtum zu verbieten. Wie steht es um andere schädliche Folgen?
Zum Beispiel sollte die private Finanzierung von Wahlkämpfen beschränkt und transparent gemacht werden. Die Verzerrung demokratischer Entscheide und ein Auseinanderdriften der Gesellschaft sehe ich als Gefahren für eine gesunde Demokratie. Oder nehmen Sie das Phänomen, dass Reiche sich stark in begehrten oder – im Fall der Schweiz – steuerlich günstigen Wohngebieten konzentrieren und einfache Leute verdrängen. Einer extremen räumlichen Segregation sollte man entgegenwirken, etwa durch eine Politik der sozialen Durchmischung.

Das Gespräch führte Bernd Ludermann.

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erschienen in Ausgabe 12 / 2019: Armut: Es fehlt nicht nur am Geld
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