Gemischte Ehen am Rand der Gesellschaft

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Greg Baker/AFP via Getty images

Eine Vietnamesin spricht mit einem Chinesen, den sie über eine Freundin kennt. Frauen aus Vietnam hoffen auf ein besseres Leben, wenn sie einen Chinesen heiraten.
 

Chinesen und Vietnamesinnen
In chinesischen Dörfern im Grenzgebiet zu Vietnam leben manche Männer mit Frauen aus Vietnam zusammen. Die gelten oft als illegale Migrantinnen, doch mancher lokale Beamte drückt ein Auge zu.

Ehen zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft sind in den Städten Chinas inzwischen normal. Doch auf dem Land sind Chinesen, deren Partnerinnen aus bestimmten anderen Ländern kommen, leicht Anlass für Kontroversen und Kontrollen – selbst wenn sie diskret und unauffällig leben. Ein Beispiel sind Ehen von Chinesen mit Vietnamesinnen.

Das Phänomen muss im Zusammenhang mit der Geschichte der Migrationsbewegungen an der Grenze Chinas zu seinen südostasiatischen Anrainerstaaten verstanden werden. Die Menschen dieser ethnisch und kulturell sehr vielfältigen Region waren schon immer in regem Austausch. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden die durchlässigen Staatsgrenzen nach und nach genauer definiert, militärisch verteidigt und der Handelsaustausch wurde stärker kontrolliert. Zwischen China und Vietnam folgten auf den kurzen Krieg von 1979 jahrelange diplomatische Konflikte, so dass die Grenze erst 1991 wieder offiziell geöffnet wurde; seitdem hat der Austausch wieder stark zugenommen.

Eheschließungen über diese Grenze hinweg sind für die lokalen Gesellschaften nicht neu. Aber sie sind zunehmend in den Blick der Behörden gerückt, seit China internationale Regeln für die Grenzüberwachung übernehmen musste – insbesondere seit das Land 1995 dem Verband Südost­asiatischer Staaten (ASEAN) beigetreten ist, zu dessen Zielen der Kampf gegen illegale Migration gehört. Seitdem wird auch die Migration über die chinesisch-vietnamesische Grenze schärfer kontrolliert. Dass bei Mischehen ein Ungleichgewicht in Bezug auf Geschlecht und Nationalität herrscht – nur vietnamesische Frauen siedeln nach China um, chinesische Frauen gehen allenfalls nach Vietnam, um Handel zu treiben –, hat zusammen mit Grenzübertritten ohne Papiere und mit Berichten über Zwangsheiraten die Vorstellung genährt, es handele­ sich um „Menschenhandel“. Für die chinesischen und vietnamesischen Behörden und in den Augen der Staatengemeinschaft sind die meisten chinesisch-vietnamesischen Mischehen, soweit sie sichtbar werden, im besten Fall illegale Migration und schlimmstenfalls Menschenhandel.

Komplexe Gründe für die gemischten Ehen

Aber wie sehen das die Beteiligten selbst? Wie und warum finden diese Paare zusammen, wie sieht ihr Alltag aus, wie geht es ihren Kindern, welchen Status und welche Rechte haben sie?

Es ist praktisch unmöglich, verlässliche Daten über die Zahl der Ehen zwischen Chinesen und ­Vietnamesinnen zu erhalten. Viele sind nicht registriert. Sie sind daher oft illegal und sind teilweise auch durch Arrangements zustande gekommen. Allerdings sind die Gründe für solche Ehen oft deutlich komplexer als das verbreitete Bild von ihnen. Die übliche Lesart ist, dass die Bevorzugung männlicher Nachkommen in China zu einem zahlenmäßigen Übergewicht von Männern geführt hat, verschärft noch durch die lange Zeit strenge Ein-Kind-Politik. Der Mangel an Frauen im Heiratsalter veranlasse chinesische Männer, sich in anderen Ländern umzuschauen. Und die Armut in Vietnam bringe viele Frauen dazu, ein besseres Leben an der Seite eines chinesischen Ehemanns zu suchen.

Autorin

Caroline Grillot

ist Ethnologin und assoziierte Forscherin am Institut für Ostasienstudien in Lyon (Frankreich).
Das stimmt – aber weitere wichtige Faktoren kommen hinzu. Als 1992 die Wirtschaftsreformen beschleunigt wurden, durften sich Chinesen erstmals frei im Land bewegen, um Arbeit zu suchen oder Firmen zu gründen. Damit wuchsen die Bevölkerung der Städte und zugleich das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern auf dem Land. Denn nur Männer müssen wieder in die Dörfer zurückkehren, sofern sie da Landbesitz und sonstiges Eigentum haben. Viele Frauen ziehen es vor, im Sinne des sozialen Aufstiegs einen Partner in einer wohlhabenderen Region zu suchen, vorzugsweise in der Stadt. Das zahlenmäßige Übergewicht männlicher Nachkommen hat also erst in Verbindung mit der Wirtschaftsmigration zu wachsendem Frauenmangel auf dem Land geführt – mit starken Unterschieden je nach Region. Für Millionen Männer, die in ihr Heimatdorf zurückgehen, ist es immer schwieriger geworden, dort eine Ehefrau zu finden.

Das erklärt aber nicht, was Vietnamesinnen nach China lockt. Bei Öffnung der chinesisch-vietnamesischen Grenze 1991 war der Lebensstandard in den ländlichen Gebieten beider Staaten ungefähr gleich hoch. In den folgenden zwei Jahrzehnten wuchs Chinas Wirtschaft rasant und dominierte bald ganz Ost- und Südostasien. So wurde China für die Bewohner der Nachbarländer immer attraktiver. Aber die Entscheidung, alles stehen und liegen zu lassen und ein neues Leben in einer unbekannten, zwar reicheren, aber auch ungeliebten Gesellschaft zu beginnen, lässt sich nicht allein mit wirtschaftlichen Motiven erklären. Trotz reger Handelsbeziehungen ist ja die Animosität zwischen Vietnamesen und Chinesen eine feste historische Größe. Man darf die vielen persönlichen Gründe nicht außer Acht lassen, die jeden Weg in die andere Gesellschaft einzigartig machen.

Schmerzliche persönliche Erfahrungen

Interviews mit Paaren, die etwa zwischen 2000 und 2015 zusammengefunden haben, zeigen, dass oft schmerzliche persönliche Erfahrungen hinter dem Entschluss zu migrieren stehen. Frauen sagten etwa: „Ich wurde in Vietnam von meinem Mann geschlagen, ich habe ihn verlassen.“ „Der Vater meines Sohnes hat mich sitzenlassen.“ „Ich war Dolmetscherin für einen chinesischen Geschäftsmann, wir haben uns ineinander verliebt.“ „Ich war 26, zu alt, um in Vietnam einen Mann zu finden.“ „Ich war Prostituierte.“ „Meine beste Freundin hat mich verkauft.“

Der Schlüssel zum Verständnis dieser Mischehen liegt in den unterschiedlichen mit Ehe verbundenen Wertvorstellungen. In Vietnam, wo Paare jung heiraten, ist die Frau in der Familie dem Mann untergeordnet; er überlässt ihr gern die gesamte Hausarbeit und Kindererziehung und oft auch noch die Sorge um das Einkommen. Ehebruch und häusliche Gewalt sind keine Seltenheit, viele Männer verlassen ihre Familien.

Vietnamesinnen versuchen da zunehmend, sich zu emanzipieren und diesen Verhältnissen zu entkommen. Wenn sich die Gelegenheit bietet – sei es in sozialen oder in beruflichen Kontakten, sei es mit Hilfe von Heiratsvermittlung –, dann sind sie gern bereit zu glauben, dass anderswo das Eheleben erfreulicher ist. Umso mehr, wenn ihnen andere, die bereits nach China gegangen sind, die Lage der Ehefrauen und Mütter dort als beneidenswert schildern: Die Männer arbeiten, kümmern sich um ihre Kinder, helfen im Haushalt und übernehmen Verantwortung für ihre Familien. In den Augen vieler Vietnamesinnen garantiert ein chinesischer Mann mehr Sicherheit im Leben und erst in zweiter Linie mehr Wohlstand. Ein Beispiel dafür ist Thuy (siehe Kasten).

Thuy findet ein besseres Leben


Thuy erzählt: „Ich kam 2003 nach China, damals war ich 42 Jahre alt und hatte bereits zwei Ehen in Vietnam hinter mir. Ich hatte zwei Kinder: eine ältere Tochter, die jetzt verheiratet ist ...

Das Idealbild des hingebungsvollen Ehemanns wird auch von vielen chinesischen Männern gepflegt. Es ist sozusagen die letzte Bastion eines Ideals von Männlichkeit, das kaum noch Rückhalt in der Gesellschaft hat. Die Frauen haben sich in China schneller emanzipieren können als in Vietnam und eine gewisse wirtschaftliche Selbstständigkeit erlangt, so dass sie nun auch im Eheleben Forderungen stellen. Chinesische Bräute und ihre Familien stellen nicht nur vor, sondern auch nach der Eheschließung Ansprüche an die Männer, die mit so großen Veränderungen Schwierigkeiten haben.

So sagen einige von ihnen über ihre Ehe mit einer Vietnamesin: „Die Familie meiner chinesischen Braut hat zu viel verlangt, ich konnte es mir nicht leisten, sie zu heiraten.“ „Meine Frau hat mir drei Töchter geschenkt, ich wollte aber einen Jungen.“ „Ohne Beziehungen vor Ort kann man in Vietnam keine Geschäfte machen.“ „Ich habe keine Wohnung und kein Auto, keine Frau will mich hier haben.“ „Ich bin arm, die ersten beiden Vietnamesinnen, die ich gekauft habe, sind weggelaufen, diese war so lieb, zu bleiben.“

Eheliche Zweckbündnisse?

Offenbar sind die, die Mischehen eingehen, häufig in ihrer jeweiligen Gemeinschaft bereits stigmatisiert und vom lokalen Heiratsmarkt ausgeschlossen – wegen ihres Alters, des Rufs ihrer Familie, ihres persönlichen Scheiterns, ihrer sozialen Lage oder aufgrund körperlicher oder charakterlicher Schwächen. Da andererseits Ehe- und Kinderlosigkeit in beiden Ländern als schweres soziales Versagen gelten, bringt die Suche nach einem Partner jenseits der Grenze nicht selten ein eheliches Zweckbündnis.

Familienmitglieder, mehr oder weniger ehrliche Heiratsvermittler sowie Paare, die den Schritt bereits gemacht haben, helfen Kontakte zu knüpfen und schließlich die Heirat zu besiegeln. Häufig stellt sich ein Vertrauensverhältnis erst mit der Zeit und nach beiderseitigen Anstrengungen ein: Man lebt zusammen, ein erstes Kind wird geboren, dann ein zweites; die vietnamesische Ehefrau findet ihren Platz in der Familie des Mannes, eine gewisse Selbstständigkeit und ihre Rolle in der Gesellschaft, in der sie nun lebt.

Doch in den Augen der chinesischen und vietnamesischen Behörden existiert eine solche De-facto-Ehe juristisch nicht, solange sie nicht amtlich besiegelt ist. Das zu erreichen ist aber ein so komplizierter und langwieriger Vorgang, dass er selbst die Bereitwilligsten abschreckt. Nicht nur ist den politischen Regimen in China und Vietnam eine komplexe Bürokratie gemeinsam, die das Privatleben zu kontrollieren sucht. Auch die grassierende Korruption kann es für Paare sehr teuer machen, Hindernisse auf dem Weg zur Registrierung der Ehe aus dem Weg zu räumen. Und nicht selten haben der chinesische Bräutigam oder die vietnamesische Braut Gründe, manche Teile ihres Vorlebens im Dunkeln zu lassen. Wie kann man dunkle Flecken verbergen wie eine Vergangenheit als Prostituierte, eine frühere Ehe, ein uneheliches Kind oder eine Vorstrafe?

Aus all diesen Gründen ist nur ein kleiner Teil der Ehen zwischen Chinesen und Vietnamesinnen offiziell registriert. Diese Paare führen ein unauffälliges Leben, um Kontrollen zu vermeiden, und arrangieren sich, so gut es geht, mit mal mehr, mal weniger toleranten lokalen Beamten. Die Frauen stehen als illegale Migrantinnen im Allgemeinen ohne alle Rechte da; die Männer müssen mit hohen Geldstrafen rechnen, wenn sie unehelich geborene Kinder ohne eine offizielle Mutter registrieren lassen.

In der Praxis neigen Verwaltungsbeamte in kleinen ländlichen Ortschaften jedoch seit langem dazu, bei solchen Ehearrangements ein Auge zuzudrücken. Denn die tragen bei aller Regelwidrigkeit dazu bei, das reale Problem zu lösen, dass Männer aus unterschiedlichen sozialen Schichten sehr ungleiche Chancen haben, eine Frau zu finden. Es ist ja die kulturelle und gesellschaftliche Pflicht der Männer, Nachkommen zu haben, um den Landbesitz und den Namen der Familie weiterzugeben.

Chinesisch-vietnamesiche Ehen offenbaren im Grunde vor allem, dass die Institution der Ehe sowohl in China als auch in Vietnam in der Krise steckt. Die oft nicht beim Standesamt eingetragenen Verbindungen bringen für die Paare Komplikationen und Belastungen mit sich und sind Gegenstand von Gerüchten und übler Nachrede. Das weist darauf hin, dass diese Paare nicht die erhoffte Anerkennung finden oder das normale Leben führen können, auf das sie gehofft hatten. Ihre Existenz wird nicht formal anerkannt und das Gleichgewicht in der Familie ist stets gefährdet; so bleiben sie am Rand der Gesellschaft gefangen.

Inzwischen ändern sich die Dinge jedoch ein wenig. Vietnamesische Frauen sind mittlerweile viel öfter freiwillige und gut informierte Migrantinnen als Opfer von Menschenhandel. Und die chinesischen Männer an ihrer Seite bemühen sich mehr als früher darum, die Ehe und ihre Kinder offiziell anerkennen zu lassen sowie die Frauen besser in ihre Familie zu integrieren.

Auch die chinesischen Behörden haben einen Schritt in Richtung offizieller Anerkennung für auf ihrem Gebiet lebende binationale Ehen getan, ohne aber im landesweiten Kampf gegen illegale Einwanderung nachzulassen. Allerdings ist den chinesischen Familien wie den chinesischen Behörden viel mehr an den Kindern der chinesischen Väter gelegen als an deren ausländischen Frauen. Als Arbeitsmigrantinnen ohne Papiere werden die in China oft als Quelle sozialer Instabilität betrachtet – und nichts fürchtet das derzeitige Regime mehr.

Aus dem Französischen von Thomas Wollermann.

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erschienen in Ausgabe 4 / 2020: Willkommen – oder nicht?
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