Verlorene Heimat

Dürren, Überflutungen, Wirbelstürme und der Anstieg des Meeresspiegels bedrohen die Existenz hunderttausender Menschen in Entwicklungsländern. Viele von ihnen könnten gezwungen sein, ihre Heimat endgültig zu verlassen. Wie viele, ist zwar schwer vorherzusagen. Doch die Industrieländer sollten Migration als Anpassungsstrategie anerkennen und den internationalen Schutz von Migranten und Vertriebenen verbessern.

Der Klimawandel erhöht die Gefahr von Dürren, Überflutungen und Hitzewellen. Höhere Durchschnittstemperaturen und unregelmäßige Niederschläge können zu Ernteverlusten und Wasserknappheit führen. Mit dem Anstieg des Meeresspiegels versalzt das Grundwasser und der Boden in Küstennähe. Von solchen Folgen der Erderwärmung sind vor allem in den Ländern des Südens die Lebensbedingungen Hunderttausender ernsthaft bedroht. Kaum jemand bezweifelt, dass Migration eine direkte Folge sein wird.

Allerdings ist es nicht leicht, den Umfang kurzfristiger oder langfristiger Migrationsbewegungen vorherzusagen. Die Geschichte lehrt, dass nach Naturkatastrophen die Migration meistens lokal begrenzt und zeitlich befristet ist. Der Verlust des gesamten Hausstands spricht oft gegen die langfristige Abwanderung. Im Fall von Überflutungen kehren die Menschen nach dem Rückgang des Wassers im Allgemeinen wieder zurück und bauen ihre Häuser wieder auf. Oft errichten Regierungen als vorbeugende Maßnahme Dämme. In Dürregebieten wird die betroffene Bevölkerung meist vorübergehend in Lagern untergebracht. So ist in Regionen wie der Sahelzone die zirkuläre Migration eine Anpassungsstrategie: Während der periodischen Dürrezeiten ziehen einzelne Männer oder Frauen in die feuchteren Gebiete oder Städte im Süden des Landes und versorgen ihre Familien mit Rücküberweisungen. Gewöhnlich entsteht daraus keine Migration über große Entfernungen.

Autor

Alex de Sherbinin

ist Forscher am Center for International Earth Science Information Network (CIESIN) des Earth Institute der Universität Columbia und Mitautor des Berichts „In Search of Shelter. Mapping the Effects of Climate Change on Human Migration and Displacement“.

Laut einer unlängst erschienenen Studie des Büros für humanitäre Hilfe der Vereinten Nationen (UN-OCHA) wurden im vergangenen Jahr 36 Millionen Menschen im Zuge von Naturkatastrophen und etwa 20 Millionen von klimabedingten Katastrophen vertrieben – vier Mal mehr als in Gewaltkonflikten. Dem Bericht zufolge hat sich die Zahl der Naturkatastrophen seit 1990 von rund 200 auf 400 pro Jahr verdoppelt. Wenn sie immer häufiger werden, bleibt abzuwarten, wie viele Menschen den Beschluss fassen werden, ihre Heimat endgültig zu verlassen. In manchen Ländern wie Mosambik und Viet­nam hat die Regierung diese Entscheidung schon für die Bevölkerung getroffen: Nach den verheerenden Fluten im Jahr 2000  wurden die am ärgsten betroffenen Bewohner der Überflutungsgebiete des Limpopo und des Mekong in neu gebaute, höher gelegene „Dörfer“ umgesiedelt.  

In Zeiten, in denen immer mehr Menschen wegen klimabedingter Risiken fliehen müssen, setzen sich Wissenschaftler und Anwälte für das Konzept der „Klimaflüchtlinge“ ein. Im Völkerrecht gibt es die Kategorie der Klimaflüchtlinge nicht, da sich die Genfer Flüchtlingskonvention der Vereinten Nationen von 1951 nur auf Personen bezieht, die sich „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung außer Landes befinden“. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Industrieländer die Definition erweitern, ist indes gering. Ein Jurist hat das so ausgedrückt: „Wenn sie sich jetzt schon nicht an die Konvention halten, warum sollten sie die Zahl der potentiell darunter fallenden Personen noch erhöhen wollen?“  

Im Jahr 2000 beantragte eine Gruppe aus Tuvalu in Neuseeland den Flüchtlingsstatus, da ihr Land aufgrund des Meeresspiegelanstiegs bald versinken werde. Die neuseeländische Berufungsinstanz für Verfahren zur Anerkennung von Flüchtlingen befand: „Es handelt sich hier nicht um einen Fall, in dem die Berufungskläger aus einem der fünf Gründe einem besonderen, als Verfolgung einzustufenden Risiko ausgesetzt sind. Alle Bürger Tuvalus sind bei ihrem Leben auf Tuvalu denselben Umweltproblemen und ökonomischen Schwierigkeiten ausgesetzt.“ Tatsächlich vermeiden viele Bewohner kleiner Inselstaaten den Begriff „Flüchtling“, weil darin mitklingt, dass sie ihre Heimatländer freiwillig verlassen, was völlig an der Sache vorbeigeht. Viele ärgern sich auch darüber, dass sie in den Industrieländern Zuflucht suchen müssen, obwohl diese aus ihrer Sicht die Wurzel allen Übels sind.  

Die Möglichkeiten zur Vorhersage künftiger klimabedingter Migration, verstanden als langfristige freiwillige Wanderungsbewegungen, sind auch deshalb begrenzt, weil es kaum frühere Forschung zum Thema Umweltfaktoren und Migration gibt. Außerdem herrscht im Falle internationaler Migration Unklarheit über die Migrationspolitik der Aufnahmeländer. Nach der Migrationstheorie gibt es Faktoren, die Menschen zum Fortzug bewegen (so genannte Push-Faktoren) – wie etwa eine Verschlechterung der Wirtschaftslage oder politische Instabilität – und Faktoren, die sie zur Niederlassung in bestimmten Gebieten bewegen (so genannte Pull-Faktoren) – wie etwa die Lebensbedingungen dort. Daneben wirken die politische Haltung der aufnehmenden Länder, günstige Transportmöglichkeiten sowie familiäre, ökonomische und soziokulturelle Bindungen.

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Die Untersuchungen des britischen Migrationsforschers Richard Black legen nahe, dass der Klimawandel von den drei Faktoren am ehesten die Bedingungen im Herkunftsgebiet, also die Push-Faktoren beeinflusst. In Einzelfällen können sich auch Auswirkungen auf Pull-Faktoren ergeben. Man stelle sich zum Beispiel vor, was es für die Nachfrage der Farmen im amerikanischen Südwesten nach Wanderarbeitern bedeutet, wenn das Gebiet langsam austrocknet.

Unsicherheit ergibt sich auch daraus, dass Klimaveränderungen nicht die einzige Ursache für Wanderungsbewegungen sind. Unvorhersehbare Ereignisse wie Finanzkrisen, Epidemien, Lebensmittelknappheiten und Kriege betreffen arme Länder unverhältnismäßig stark. Selbst Projekte zum Klimaschutz und zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels vertreiben Tausende – beispielsweise Windparks und Jatropha-Plantagen anstelle kleinbäuerlicher Betriebe oder riesige Stauseen zur Sicherung der Wasserversorgung. Und Konflikte scheinen sich in manchen Regionen infolge ausbleibenden oder übermäßigen Regens zu verschärfen. Aus all diesen Gründen ist die Vorhersage von Zahlen heikel. Forschungen eines Projektes der EU-Kommission namens EACH-FOR (Environmental Change and Forced Scenarios) haben gezeigt, dass viele Migranten schon heute veränderte klimatische Umstände zu den Faktoren zählen, die sie zum Wegzug bewegt haben.

Die Folgen des Klimawandels werden sich aber nicht gleichmäßig über die Erdoberfläche verteilen. Manche Regionen werden stärker als andere in Mitleidenschaft gezogen werden. In den asiatischen Megadeltas etwa werden der Anstieg des Meeresspiegels und Sturmfluten  zusammentreffen. Das betrifft das dicht besiedelte Gangesdelta mit 144 Millionen Einwohnern – so viele wie in Frankreich und Deutschland zusammen – sowie das Mekongdelta, dessen drei Millionen Hektar fruchtbares Ackerland die „Reisschüssel“ Asiens bilden. Dort würde ein Wasseranstieg um einen Meter bis zum Ende dieses Jahrhunderts – das liegt im Rahmen der gegenwärtigen Projektionen – ein Viertel der Häuser und Ackerflächen unter Wasser setzen und über acht Millionen Menschen vertreiben.

Der Regierung in Bangladesch ist es gelungen, die Zahl der Sturmopfer durch Frühwarnsysteme signifikant zu verringern, und die vietnamesische Regierung verfolgt eine Politik des „Lebens mit dem Hochwasser“, die eine Umstellung von Reisanbau auf Aquakulturen einschließt. Doch beide Regierungen werden Probleme haben, den Verlust so großer Gebiete aufgrund des steigenden Meeresspiegels zu verkraften. Das Versinken kleiner Inselstaaten stellt für die Betroffenen eine schlimme Tragödie dar. Die Zahlen, um die es hier geht, sind aber vergleichsweise gering: 10.400 Menschen leben auf Tuvalu und 330.000 auf den Malediven.

Mit dem Abschmelzen der Gletscher im Himalaja erhalten die Gemeinwesen flussabwärts einen einmaligen Wassersegen. Werden aber keine größeren Stauseen angelegt, dann bedeutet der langfristige Verlust der Gletscher potentiell ein beträchtliches Absinken der sommerlichen Wassermenge in Flüssen, die einige der weltweit größten Bewässerungssysteme speisen. Jeder vierte Erdbewohner lebt in diesen Flussgebieten. Die Gebiete südlich und östlich des Himalajas werden wahrscheinlich bei einem Anhalten der Monsunregenfälle keine Probleme bekommen. Die trockeneren Flussgebiete des Indus, Syrdarja, Jangtsekiang und Huanghe könnten deutlich schwerer betroffen sein.

Langfristig wird auch ein Austrocknen der Subtropen einschließlich Mexikos und Mittelamerikas, des Mittelmeerraumes und von Teilen Australiens vorhergesagt. Nach meinen Berechnungen leben derzeit 400 Millionen Menschen in Gebieten, in denen die Regenmengen um mehr als 20 Prozent sinken werden – genug, um die Landwirtschaft, die Wasserversorgung und die hydroelektrische Energieerzeugung unter starken Druck zu setzen.

Bei einer so großen Gefährdung so vieler dicht bevölkerter Gebiete werden sich die Entscheidungsträger des 21. Jahrhunderts mit der heiklen Frage beschäftigen müssen, wohin all die Vertriebenen umgesiedelt werden können. Denn der Platz wird knapp. Zwar erschließen sich infolge des Klimawandels in nördlichen Breitengraden neue Ackerbauflächen, aber die Landwirtschaft ist dort hochtechnisiert und diese Länder werden wohl kaum einer größeren Zahl armer Migranten die Tore öffnen.

Im besten Fall wendet die Welt gravierende Klimaveränderungen ab, indem die Treibhausgasemissionen rasch reduziert werden. Das ist offensichtlich die beste Option, da große Migrationsströme nicht nur eine „Bedrohung“ für die Industrieländer darstellen, die die notleidende Bevölkerung angesichts der eigenen Verantwortung für den Klimawandel kaum abweisen kann. Die Vertreibung bringt auch kulturelle Entwurzelung mit sich, den Verlust der Lebensgrundlagen und Schwierigkeiten bei der Suche nach einer Erwerbstätigkeit sowie eine Menge anderer sozialer Probleme.

In der Zwischenzeit müssen Schutzmaßnahmen für jene ergriffen werden, die von einer Vertreibung aufgrund geänderter Klimabedingungen bedroht sind. In einem neuen Bericht, den wir zusammen mit Kollegen von der Universität der Vereinten Nationen und der Hilfsorganisation CARE erstellt haben, schlagen wir eine Reihe von Schritten vor: in Anpassungsmaßnahmen zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit von Kleinbauern investieren; sicherstellen, dass die Finanzierung der Anpassungsmaßnahmen mit dem Bedarf Schritt hält; Migration als Anpassungsstrategie berücksichtigen; und die Lücken in internationalen Konzepten zum Schutz von Migranten und Vertriebenen schließen. Diese Maßnahmen sind aus der Erkenntnis geboren, dass wir im Norden eine kollektive Verantwortung für jene tragen, die am stärksten unter den Klimaveränderungen leiden, aber kaum etwas zu dem Problem beigetragen haben.

Aus dem Englischen von Barbara Kochhan.

 

erschienen in Ausgabe 12 / 2009: Klimawandel: Warten auf die Katastrophe
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