Nicht solidarisch mit den Bauern im globalen Süden

Simon Maina, AFP, Getty Images
Samuel Mwangi füttert 2019 auf seinem kleinen Hof in Kenia die Kühe. Von Subventionen für Kleinbauern wie in der Schweiz kann er nur träumen.
Schweiz
Ende August hat die Wirtschaftskommission der kleinen Parlamentskammer eine geplante Agrarreform der Regierung gestoppt. Dahinter steht ein fragwürdiger Deal mit dem Schweizerischen Bauernverband.

Bis vor kurzem hat die Schweizer Regierung über die neue Agrarpolitik verhandelt, die die zukünftige Ausrichtung der nationalen Landwirtschaft regeln soll. Die sogenannte AP 22+ soll im Jahr 2022 in Kraft treten. Sie sieht unter anderem vor, dass Bauern weniger Pauschalbeiträge vom Bund erhalten, dafür mehr Subventionen für besondere ökologische Leistungen. Auch weniger Tiere pro Fläche und mehr ausgewiesenes Land für den Schutz der Biodiversität sind Teil davon. Der Selbstversorgungsgrad der Schweiz würde damit leicht sinken.

Dagegen wehrt sich der Schweizerische Bauernverband (SBV), der als Folge der Reform die Ernährungssicherheit der Schweiz gefährdet sieht und dem die geplante Strategie zu bürokratisch ist. Um sie zu stoppen, ging der Präsident des SBV, Markus Ritter, der für die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) im Nationalrat sitzt, einen Deal ein: Er hat dem FDP-Mitglied der Wirtschaftskommission des Ständerats Ruedi Noser sowie anderen liberalen Mitgliedern zugesichert, aktiv gegen die Konzernverantwortungsinitiative (Kovi) anzutreten, über die am 29. November abgestimmt wird. 

Sie verlangt, dass Konzerne mit Sitz in der Schweiz, die im Ausland Menschenrechtsverletzungen begehen, zur Rechenschaft gezogen werden können. Die Initiative erfährt in der Bevölkerung aktuell große Zustimmung. Die Gegner, vor allem Vertreter der Wirtschaft, sind daher dringend auf Unterstützung angewiesen. Dem FDP-Ständerat Ruedi Noser, der gleichzeitig Präsident der Wettbewerbskommission des größten Wirtschaftsverbandes Economiesuisse ist, kam der Handel mit dem Bauernverband deshalb gerade recht. Im Gegenzug stimmte die Wirtschaftskommission dafür, die AP 22+ zu stoppen. Die offizielle Begründung: Die Vorlage der Regierung in ihrer jetzigen Form bringe der Landwirtschaft nur Nachteile und müsse überarbeitet werden. Stimmt die kleine Kammer dem Antrag ihrer Kommission zu, verzögert sich die geplante Reform um Jahre.

Der Bauernverband empfiehlt, gegen die Initiative zu stimmen

Bauernpräsident Markus Ritter bestätigte gegenüber der „Sonntags-Zeitung“, dass er der Bauernschaft empfehle, gegen die Konzernverantwortungsinitiative zu stimmen: „Es braucht eine gute Zusammenarbeit unter den Wirtschaftsverbänden.“ Tina Goethe, Fachperson für Recht auf Nahrung bei der Hilfsorganisation Brot für alle, übt scharfe Kritik: „Ich finde diesen Deal unverständlich, empörend und gefährlich“, schreibt sie in einer Stellungnahme: „Unverständlich, weil die Schweizer Landwirte von der Konzernverantwortungsinitiative nicht betroffen sind. Es gibt also keinen Grund, warum der SBV überhaupt eine Parole dazu verfassen sollte. Empörend, weil im Gegensatz zu den Schweizer Bauern die Landwirte in den Entwicklungsländern sehr wohl von der Initiative betroffen sind beziehungsweise von deren Umsetzung profitieren würden.“ 

Als Beispiel nennt Goethe Bauernfamilien, die ihr Land an große Palmölfirmen verloren haben, weil diese darauf Plantagen errichtet haben. Ein anderes Beispiel ist ein Pestizid des Schweizer Chemiekonzerns Syngenta, das in der Schweiz verboten, aber in Indien noch eingesetzt wird. Gemäß Recherchen der Organisation Public Eye soll es dort für die Erkrankung von 800 Bauernfamilien verantwortlich sein. Goethe fordert daher: „Aus Solidarität mit ihren Berufskolleginnen und -kollegen in diesen Ländern sollten die Schweizer Bäuerinnen und Bauern daher für die Konzernverantwortungsinitiative stimmen.“ Die Stiftung Swissaid sieht nach dieser Aktion gar die Zusammenarbeit des Bauernverbands mit Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisationen in Freihandelsfragen gefährdet, in denen sie sonst kooperiert haben.

Auch Umweltverbände, Grüne und Bauernorganisationen kritisieren die Entscheidung der Wirtschaftskommission. Die Grünen werfen ihr „Arbeitsverweigerung“ vor: Die Schweizer Bauern drohten im Vergleich zur EU in Rückstand zu geraten, nachdem diese mit dem Green Deal eine ökologische Strategie unter anderem für die Landwirtschaft beschlossen habe. Die Naturschutzorganisation Pro Natura schreibt, die Kommission trete „sämtliche Umweltanliegen mit Füßen“.

Der Verband der Biobauern Bio-Suisse kritisierte den Deal ebenfalls. In ihren Augen würden die Bauern sehr wohl von einer Annahme der Konzernverantwortungsinitiative profitieren, weil sie voraussichtlich auch Billig-Landwirtschaftsimporte erschweren würde. Bio-Suisse hatte sich daher dafür eingesetzt, dass der SBV seinen Mitgliedern keine Abstimmungsempfehlung gibt, jedoch erfolglos: Die Landwirtschaftskammer des Schweizer Bauernverbands hat Ende September mit klarer Mehrheit ein Nein empfohlen.

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erschienen in Ausgabe 11 / 2020: Erbe des Kolonialismus
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