Opern aus den Townships

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Leben und Vermächtnis von Nelson Mandela sind Thema der „Mandela Trilogy“ mit der die Cape Town Opera Company um die Welt getourt ist.“
Südafrika
Seit dem Ende der Apartheid rücken einige Opernensembles Sängerinnen und Sänger aus den Townships in den Mittelpunkt. Doch finanziert wird der Betrieb immer noch vor allem von der Weißen Elite.

Beispiele wie das von Mark Dornford-May und Paulina Malefane gegründete Isango Ensemble (Isango bedeutet „Portal“ in der einheimischen Sprache isiXhosa) zeigen: Die Oper Südafrikas verliert nach und nach ihre Weißen Züge. Sämtliche angestellten Sängerinnen und Sänger des Opernkollektivs aus Kapstadt sind Schwarz, viele stammen aus Townships. Das Ensemble spielt vor allem kanonische europäische Opern in einheimischen Sprachen, mit lokalen Bühnenbildern und manchmal mit afrikanischen Instrumenten anstelle eines traditionellen Orchesters. Zu diesen Werken gehören auch Adaptionen von Georges Bizets (1838-1875) „Carmen“ (1875), Wolfgang Amadeus Mozarts (1756-1791) „Zauberflöte“ (1791) und Puccinis „La Boheme“ (1896). 

Die Adaption „U-Carmen eKhayelitsha“ (oder „Carmen in Khayelitsha“, einem Township am Stadtrand Kapstadts) war 2005 aus mehreren Gründen bemerkenswert. Zum einen wurde die Kulisse von Bizets Oper von Spanien nach Khayelitsha verlegt und die Bewohner von dort spielten darin mit. Zudem hatte die Oper im Oliver Tambo Community Center in Khayelitsha Premiere, die Aufführung wurde dort auch gefilmt. Die Einwohner konnten die Oper für einen Bruchteil der Kosten eines Opernbesuches in Kapstadt sehen, und etliche Berichte deuten darauf hin, dass viele das auch taten. Im Anschluss tourte das Isango Ensemble mit „U-Carmen eKhayelithsa“ durch Europa und die Vereinigten Staaten. 

Die Veränderungen im Opernwesen sind eng mit dem gesellschaftlichen Wandel seit dem Ende der Apartheid verbunden. 1994 wurde Nelson Mandela der erste demokratisch gewählte Präsident Südafrikas. Diese Wahl markierte den Beginn des Übergangs von der rassistischen Herrschaft der Weißen Nationalpartei zu einer von der Mehrheit der Bevölkerung gewählten Regierung. Die sich überschneidenden und oft einander widersprechenden Lösungsansätze, wie ein solcher Übergang gemeistert werden sollte, spiegelten sich auch in der Kunst wider. 

Das Isango Ensemble hat „Carmen“ ins Township Khayelitsha verlegt. Hauptdarstellerin Pauline Malefane und Regisseur Mark Dornford-May bekommen 2005 für den Film den Goldenen Bären.

Vor 1994 erhielt die südafrikanische Oper beachtliche Zuschüsse von der regierenden Nationalpartei. Während dieser Zeit befanden sich Opernhäuser in ausgesuchten Weißen Teilen des Landes, und es waren auch nur Weiße Besucher zugelassen. Die Oper wurde zudem fast ausschließlich von Weißen inszeniert. Einzige Ausnahme war die erste gemischte Operngesellschaft Südafrikas, die 1933 gegründete Eoan Group. Das Repertoire der Eoan Group umfasste europäische kanonische Werke von Komponisten wie Giuseppe Verdi und Giacomo Puccini. Britische Operetten oder Kurzopern mit einfachen, witzigen Handlungssträngen und kleinen Gruppen von Sängern und Instrumentalisten waren in dieser Zeit ebenfalls populär. Die Apartheid-Regierung investierte viel Geld, da sich die oft opulenten Aufführungen dieser Opern an der europäischen High Society orientierten und die realen oder eingebildeten Verbindungen der Weißen Elite zu holländischem und britischem Erbe und Temperament stärkten.

Unter Mandela änderte sich die Politik der Kulturförderung

Bis 1994 kontrollierten die weiße Regierung und Opernförderer aus der Weißen Elite alle Aspekte der Oper, von der Planung bis zur Aufführung. Erst mit der ANC-Regierung unter Präsident Mandela änderte sich die Politik der staatlichen Kulturförderung. Ihr Programm des Black Economic Empowerment, also der wirtschaftlichen Ermächtigung der Schwarzen Bevölkerung (später Broad-Based Black Economic Empowerment, kurz BBBEE), sollte die sozioökonomische Ungleichheit zwischen Schwarz und Weiß beseitigen. Dieses Programm ist im Wesentlichen ein punktebasiertes System, das Kulturinstitutionen dazu auffordert, einen bestimmten Prozentsatz von Schwarzen  Menschen zu beschäftigen, um sich für staatliche Subventionen zu qualifizieren.

Die Umsetzung von BBBEE hatte sowohl vorteilhafte als auch nachteilige Folgen für die Oper im heutigen Südafrika. Während die Zahl der Schwarzen Opernsänger, -tänzer und -choreografen durch das BBBEE-Programm und der zusätzlichen Möglichkeiten für Schwarze, Opern zu studieren, deutlich gestiegen ist, hat sich in Bezug auf Besitz, Management, Publikum und Komponisten von Opern nur wenig geändert. Vorstände, Regisseure und Verantwortliche für Opernaufführungen sind nach wie vor überwiegend Weiße. Dazu kommt, dass die Regierung nach der Apartheid die Finanzierung der bildenden Künste zurückgeschraubt hat, um traditionelle und einheimische Künste stärker zu finanzieren. Folglich erhalten Opernhäuser heute viel weniger staatliche Mittel als zu Zeiten der Apartheid. Opernhäuser müssen sich also vor allem privat finanzieren.

Trotz der guten Absicht des BBBEE wird die Oper also noch immer weitgehend von Weißen, die auch das Hauptpublikum sind, finanziert und kontrolliert. Dennoch haben neue Opernhäuser und Bildungsangebote, die seit dem Ende der Apartheid entstanden sind, zur Diversifizierung beigetragen. Die Cape Town Opera School an der Universität von Kapstadt bildet die meisten Studierenden aus, indem sie westliche Notenschrift, Dirigieren, Repertoire, Sprachen wie Italienisch, Französisch und Deutsch und Gesangsstile lehrt. Die Studierenden müssen keine formelle Musikausbildung vorweisen, um in das Programm aufgenommen zu werden, es gibt aber ein Auswahlverfahren. In dem Programm studieren sowohl klassisch ausgebildete Sängerinnen und Sänger als auch solche, die sich im Selbststudium fortgebildet haben.

Die Chorkultur in den Townships und Kirchen

Autorin

Allison Smith

ist Doktorandin in Historischer Musikwissenschaft an der Boston University. Derzeit arbeitet sie an ihrer Dissertation über Oper in Südafrika.
Viele von ihnen lesen keine westliche Notenschrift. Dies ist auf die reiche Chorkultur in den südafrikanischen Townships und Kirchen zurückzuführen. Diese Chöre bilden sich oft außerhalb des Schulsystems, und ihr Repertoire besteht aus traditionellen südafrikanischen Liedern und Opernarien aus dem europäischen Kanon. Die Sängerinnen und Sänger können sich diese Arien auf Youtube oder CDs anhören, dann imitieren sie Stil und Sprache. Diese Chöre konkurrieren in Wettbewerben und unterhalten ihre Heimatstädte. Da sie oft von Amateursängerinnen geleitet werden, wird den Chormitgliedern die Notenlehre oft über Gehörbildung und mit Hilfe von Gesangsübungen beigebracht. Auch der in Berlin lebende südafrikanische Opernsänger July Zuma, der sein Studium begann, ohne klassische Musik lesen zu können, lernte so in seinem Laienchor in Durban.

Die Cape Town Opera (kurz CTO genannt), das größte und aktivste Opernensemble Südafrikas, bietet vielen Studierenden der Universität Kapstadt Opernschulprogramme für junge Künstler an. Diese Programme ermöglichen es Studierenden oder Absolventen, an den Produktionen der CTO teilzunehmen, um ihren Lebenslauf zu verbessern. Während der größte Teil des Repertoires aus kanonischen europäischen Opern besteht, vergibt die CTO gelegentlich auch neue Opern südafrikanischer Komponisten. 

Eine solche Oper ist die „Mandela Trilogy“ (2010), eine Gemeinschaftsarbeit der südafrikanischen Komponisten Michael Williams, Mike Campbell und Peter Louis van Dijk, die das Leben und Vermächtnis von Nelson Mandela dokumentiert. Sipumzo Lucwabas „Imivumba Yamaqhawe“ („Die Narben unserer Helden“ von 2019), gesungen auf isiXhosa und für ein Schwarzes Publikum, ist eine Operndarstellung des Soweto-Massakers von 1976 im Township Soweto. Damals protestierten Tausende Schulkinder gegen die Apartheid-Regierung, Hunderte wurden von der Apartheid-Polizei getötet. Der Schüleraufstand in Soweto rückte die düstere Realität der südafrikanischen Apartheid in den Blick der internationalen Öffentlichkeit. 

Neo Muyangas „Heart of Redness“ (2015) basiert auf dem gleichnamigen Roman von Zake Mda (2000) und erzählt die Geschichte der Prophetin Nonqawuse aus dem 19. Jahrhundert. Die forderte das Volk der Xhosa auf, ihr Vieh zu töten und ihre Ernte als Opfergabe an ihre Vorfahren zu verbrennen, dann würden diese zurückkehren und die Streitkräfte der britischen Kolonialmacht ins Meer treiben. Dieser Vorfall verursachte einen großen Riss innerhalb der Xhosa zwischen denen, die der Prophezeiung folgten, und denen, die ihr nicht glaubten; die Nachwirkungen sind noch heute spürbar.

Die Probleme der Opernindustrie Südafrikas

Obwohl die CTO wichtige Chancen bietet, spiegeln sich in ihr wie in einem Mikrokosmos auch die Probleme der gesamten heutigen Opernindustrie Südafrikas. So bietet die CTO ihren Mitwirkenden zwar die Gelegenheit zu reisen, indem sie Tourneeopern wie die „Mandela Trilogy“ und George Gershwins (1898-1937) „Porgy und Bess“ (1935) in Europa und Asien aufführt. Das Angebot ist aber zugleich ein Symptom für fehlende Arbeitsmöglichkeiten in Südafrika. Dass diese fehlen, hat vor allem zwei Gründe: Zum einen befindet sich der Standort des CTO im Artscape Theatre Centre, einem belebten Tourismus- und Kulturgebiet am Hafen von Kapstadt. Diese Gegend liegt weit entfernt von den meisten Townships. Wer also von dort zur CTO will, muss mehrfach in Taxis, Busse oder Züge umsteigen, mindestens eine Stunde Fahrzeit einkalkulieren und eine Menge Geld für die Fahrten bezahlen.

Townships wurden während der Apartheid am Rande der großen Städte gebaut, damit – nach damaliger Rassenklassifizierung – Schwarze, Farbige und Inder in den Städten niedrige, unterbezahlte Arbeit leisten konnten, obwohl sie dort nicht leben durften. Obwohl die rechtliche Segregation in Südafrika beendet ist, leben noch immer viele von ihnen in Townships.

Der zweite Grund für das Fehlen von Erwerbsmöglichkeiten für Opernsängerinnen und -sänger ist, dass sie, auch wenn sie im Ausland auftreten, in südafrikanischer Währung bezahlt werden und nicht in der Währung des Landes, in dem sie auftreten. Angesichts ihrer Reisekosten und des Fehlens eines beständigen, existenzsichernden Einkommens sind Sängerinnen und Sänger oft gezwungen, anderen Berufen, die nichts mit Oper zu tun haben, nachzugehen, etwa als Haushaltshilfe. Denn die CTO stellt, wie viele zeitgenössische Opernhäuser, keine Sängerinnen und Sänger fest an, weil jede neue Oper neue Engagements erfordert. Viele wandern darum nach Europa aus, um eine nachhaltige und profitable Opernkarriere zu starten. Opernsängerinnen wie Pretty Yende und July Zuma haben seit ihrem Abschluss an der Cape Town University Opera School und ihrer Tätigkeit beim CTO Karrieren in Paris und Berlin begonnen.

Lukhanyo Moyake und George Stevens von der Cape Town Opera bei der Aufführung von „Maria Stuart“ in Kapstadt.

Das oben erwähnte Projekt des Isango Ensembles in Khayelitsha hat die Oper tatsächlich aus dem für viele unerreichbaren Opernhaus herausgeholt und gezeigt, dass sich nicht nur die Weiße Elite für Opern interessiert. Aber eine solche Aktion wurde nie wiederholt. Es fehlte schlicht an öffentlichen Mitteln, um solche Opernproduktionen zu unterstützen, sowie an zuverlässigen Verkehrsmitteln für die Bewohner der Townships. 

Auftritte nicht nur im Ausland

Ähnlich wie die CTO tritt das Isango Ensemble vor allem, aber nicht nur im Ausland auf.  Obwohl es Alternativen zur CTO gibt, etwa das Opernkollektiv Umculo (auf isiXhosa bedeutet das „Musik“), welches sich auf Bildungsprogramme in den Townships konzentriert, haben viele Kollektive Probleme mit der Finanzierung und damit, einheimische Talente zu finden, die genug Zeit und Ressourcen für eine Teilnahme haben. Viele der Umculo-Produktionen zeigen junge Sängerinnen und Sänger mit wenig bis gar keiner formellen Ausbildung und werden in Schulen und Gemeinden mit einfacher Klavierbegleitung oder a cappella aufgeführt.

Die kürzlich gegründete Opernkooperative Township Opera Company verfolgt einen ähnlichen Ansatz: Sie stellt ebenfalls die Stimmen und Orte der Townships in den Vordergrund, um die Segregation in der Oper langsam aber sicher aufzuheben. Solche Alternativen zur CTO, einschließlich des Isango Ensembles, haben auch keine eigenen Theater. Und obwohl die CTO das aktivste Unternehmen in Südafrika ist, hat auch sie finanzielle Probleme, vor allem infolge der Corona-Pandemie.

In der Post-Apartheid-Ära sind südafrikanische Opernproduktionen ins Ausland gereist und haben sich im Inland weiterentwickelt. Viele Opernschaffende wollen der Welt zeigen, dass Südafrika nicht nur durch Apartheid definiert ist und dass Mandelas Ideal der Aussöhnung zwischen Schwarz und Weiß nicht in Südafrika nicht nur verwirklicht wird, sondern dass die Oper dabei eine Vorreiterrolle spielte. Die Oper für und von Südafrikanern entwickelt sich nach wie vor weiter, und den Prozess will man gerne miterleben.

Aus dem Englischen von Sophie Stange. 

„Schwarz“ und „Weiß“ sind in diesem Text großgeschrieben, um deutlich zu machen, dass keine biologischen Eigenschaften gemeint sind, sondern eine Klassifizierung, die auf die Herrschaft der „Weißen“ zurückgeht.

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erschienen in Ausgabe 11 / 2021: Leben im Dorf
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