Die Kraft der Zivilgesellschaft

Herausgeberkolumne
Weltweit zwingen Krieg, Gewalt und Armut Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen. Beim G7-Gipfel in Elmau sollten die Regierungen die globale Zivilgesellschaft für den Umgang mit diesen Anforderungen stärken.

Seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine sind nach UN-Angaben mehrere Millionen Menschen aus dem osteuropäischen Land geflüchtet. Kinder, Jugendliche, Familien, alte und kranke Menschen suchen Schutz im Ausland. Viele konnten sich kaum auf ihre Flucht vorbereiten, oft haben sie nur ein paar wichtige Dokumente bei sich.

Die Einwohner von Anrainerstaaten wie Rumänien, Ungarn, Slowakei, Polen und Republik Moldau empfangen die Betroffenen und arbeiten bis zur Erschöpfung. Unzählige ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, privat oder von Hilfsorganisationen organisiert, verteilen Wasser, Lebensmittel, Decken, Medikamente und bieten Schutz in Notunterkünften für diejenigen, die alles verloren haben. Auch Ukrainerinnen und Ukrainer aus Regionen, die bislang nicht angegriffen wurden, leisten wichtige Soforthilfe. Das Engagement der Zivilgesellschaft ist enorm. Herzergreifende Szenen gehen um die Welt und zeigen eine solidarische Gesellschaft – ohne sie wäre Hilfe wie diese in Notsituationen nicht möglich.

Schrumpfende Handlungsräume für die Zivilgesellschaft

Die globale Zivilgesellschaft wächst immer weiter. Sie lebt von der Gemeinsamkeit, dem großen Engagement und starken Willen der Bürgerinnen und Bürger, die eigenständig tätig werden, sich vernetzen und mit ihren Bewegungen bedeutsame Veränderungen schaffen. Ein aktuelles Beispiel dafür sind die Aktiven von „Fridays for Future“, die ihre Stimmen erheben und mit ihren Demonstrationen weltweit die Politik unter Druck setzen. Ihre Aktionen sind mehr als nur ein Klimastreik. Sie sind Zeugnis einer aktiven Zivilgesellschaft, die durch ihre weltweite Vernetzung immer mehr Aufmerksamkeit erreicht. Und das erfolgreich: Das Bundesverfassungsgericht hat beispielsweise im April 2021 entschieden, dass das deutsche Klimapaket teilweise nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Ein großer Meilenstein für die junge Bewegung. 

Viele Aktive stellen die Interessen besonders verletzlicher Menschen wie etwa von Kindern und Jugendlichen in den Mittelpunkt. Globale Herausforderungen wie der Klimawandel, die Corona-Pandemie und ihre Folgen sowie die wachsende soziale Ungleichheit haben sich weltweit zu zentralen Themen der Zivilgesellschaft entwickelt.

Gleichzeitig schränken aber viele Regierungen ziviles Engagement ein. „Shrinking Spaces“, also schrumpfende Handlungsräume und Möglichkeiten, bedrohen die Zivilgesellschaft. So leben nach Angaben des Atlas der Zivilgesellschaft mittlerweile 88 Prozent aller Menschen in Staaten, in denen ihre gesellschaftlichen Handlungsräume beschränkt, unterdrückt oder geschlossen sind. Dort werden Menschenrechte verletzt, Advocacy-Arbeit wird behindert, die Meinungs- und Pressefreiheit eingeschränkt. 

Kinderrechte im Alltag schützen

So auch in Russland. Falschnachrichten sind Teil der russischen Kriegsführung, Zensur erschwert der Zivilgesellschaft den Zugang zu unabhängigen Informationen. In vielen Ländern, in denen die Kindernothilfe tätig ist, sehen wir, wie Menschenrechte verletzt werden. Trotzdem erleben wir engagierte Partnerorganisationen und starke Gemeinschaften, die sich bedingungslos für ihre Rechte einsetzen. Zum Beispiel für ein Leben ohne Gewalt. Zu den weltweiten Orange Days im vergangenen Jahr nutzten Partner die Öffentlichkeit, um über die grassierende Gewalt gegen Frauen und Mädchen aufzuklären. In Südafrika sind die Kinder selbst mit kreativen Ideen auf unsere Partner zugekommen und haben Aktionen geplant. „Ihr bringt uns um, auch durchs Wegsehen”, riefen sie beim organisierten Event für Erwachsene der Townships, auf dem die üben konnten, wie sie als Familie Kinderrechte im Alltag schützen. In Ecuador produzierten Kinder und Jugendliche Videos für die sozialen Medien, in denen sie mit Statements ein Zeichen gegen Gewalt setzten. Und Mitarbeitende unserer Partnerorganisation in Simbabwe waren mit einer mobilen Bühne zu Fuß und per Rad unterwegs, um in Dörfern über die Gewaltproblematik aufmerksam zu machen. 

Das vielfältige zivilgesellschaftliche Engagement kann sich nur entfalten und Großes bewirken, wenn die Staaten für die nötigen Rahmenbedingungen sorgen. Beim anstehenden G7-Treffen in Elmau könnten die Staats- und Regierungschefinnen und -chefs wichtige Maßnahmen auf den Weg bringen und besonders die Perspektiven der Länder vertreten, die von Krieg oder Krisen betroffen sind und nicht offiziell in der G7 vertreten sind. Sie könnten zudem Schutzmechanismen für sichere Handlungsräume der Zivilgesellschaft sichern. Hoffentlich nutzen sie diese Chance und lassen ihren Worten dann auch Taten folgen. 

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erschienen in Ausgabe 6 / 2022: Afrika schaut auf Europa
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