Kein Zurück in die fossile Vergangenheit

Wolfgang Ammer
Energieversorgung
Absurde Welt: Bundeskanzler Olaf Scholz reist in den Senegal und fragt dort nach Erdgas, das russische Lieferungen ersetzen soll. Zugleich argumentieren manche, Afrika solle seine fossilen Rohstoffe nutzen, um die Energiearmut auf dem Kontinent zu überwinden. Dabei gilt dort ebenso wie bei uns: Die Zukunft der Energieversorgung liegt in Sonne, Wind und Wasser.

2015 war ein hoffnungsvolles Jahr für Klimaschutz und Entwicklung. Im Pariser Abkommen einigten sich damals die Staaten darauf, die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Industriestaaten sollten ihre Emissionen schneller senken und Länder des Südens beim Übergang zu erneuerbaren Energien unterstützen. Dem globalen Süden sollten fossile Fehlentwicklungen erspart bleiben.

In den folgenden Jahren beendeten Entwicklungsbanken die Förderung fossiler Projekte, und auf der Klimakonferenz 2021 in Glasgow verkündeten rund 40 Staaten, darunter Deutschland, dass sie die Finanzierung von Energie aus Kohle, Öl und Gas im Ausland stoppen. Erst im Februar hat Ursula von der Leyen auf dem Gipfel von Europäischer und Afrikanischer Union die Absicht der EU bekräftigt, nicht mehr in fossile Energien zu investieren. Die Richtung war klar: Entwicklung und Klimaschutz sollen und können Hand in Hand gehen.

Jetzt erleben wir eine neue Situation. Die Verknappung des weltweiten Erdgasangebots in Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine hat zu einem Run auf bisher unerschlossene Vorkommen fossiler Rohstoffe geführt. Die Lobby der Öl-, Kohle- und Gasindustrie sieht die Chance, die fossile Vergangenheit noch einige Jahrzehnte zu verlängern. Die EU deklariert Erdgas und Atomkraft für Investoren als nachhaltig; Gas aus Afrika soll uns retten, wenn Wladimir Putin den Hahn zudreht. Entsprechend hat Bundeskanzler Olaf Scholz auf seiner Afrikareise in diesem Jahr dem Senegal versprochen, Deutschland werde das Land bei der Erschließung seiner Gasvorkommen unterstützen. 

Niedrige Emissionen des globalen Südens

Gleichzeitig erlebt die Ansicht eine Renaissance, Afrika müsse seine fossilen Quellen nutzen, um sich entwickeln zu können. Argumentiert wird meist mit den niedrigen Emissionen des globalen Südens – Deutschland hat historisch etwa doppelt so viel Treibhausgas ausgestoßen wie der gesamte afrikanische Kontinent – und dem daraus folgenden Anspruch, sich mithilfe von Öl, Kohle und Gas entwickeln zu dürfen. So haben Vijaya Ramachandran und Arthur Baker im Juni in einem Beitrag für „welt-sichten“ argumentiert, Klimaschutz im globalen Süden könne zu einer „Energie-Apartheid“ führen. Doch würde es Afrika wirklich etwas bringen, wenn es seine fossilen Ressourcen aus der Erde holt?

Bis heute haben weltweit etwa 733 Millionen Menschen keinen Zugang zu Strom, davon knapp 600 Millionen allein in Afrika. 2,4 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu modernen Kochmöglichkeiten. Frauen leiden unter den Folgen von Energiearmut besonders, unter anderem weil sie direkt den Gesundheitsrisiken des Kochens auf offenem Feuer ausgesetzt sind. Nicht Klimaschutz, sondern fossile Energiesysteme haben zu diesen Ungleichheiten geführt. Auch in Staaten wie Nigeria, die viel Öl und Gas fördern, haben viele Menschen keinen Zugang zu Energie, denn fast alle bisherigen sowie geplanten fossilen Energieprojekte in Afrika sind in der Hand internationaler Konzerne und für den Export bestimmt.

Autor

Joachim Fünfgelt

hat in Volkswirtschaftslehre promoviert und ist Referent für Energiepolitik bei Brot für die Welt. Er ist Experte für erneuerbare Energien, kohlenstoffarme Entwicklungsstrategien, Energie­zugang und Klimaschutz.
Im Senegal betreibt der britische Konzern BP die Exploration von Gasvorkommen. Nigeria ist sogar abhängig von Benzinimporten, weil es nicht genug Raffinerien im Land hat, um sein Öl zu verarbeiten. Das Wirtschaftswachstum in Öl und Gas exportierenden Staaten in Afrika ist geringer als das vieler anderer Staaten auf dem Kontinent. Die UN-Initiative für nachhaltige Energie für alle (Sustainable Energy for All) empfiehlt daher dringend, dass zur Überwindung der Energiearmut nicht mehr in fossile Energien investiert werden sollte.

Im fossilen Rohstoffsektor ist laut einer Studie der Universität Birmingham weniger als ein Prozent der afrikanischen Bevölkerung beschäftigt; bis 2050 werden von diesen Jobs zudem mindestens drei Viertel wegfallen, heißt es in einer Studie des European Institute on Economics and the Environment. Auch indirekt führen fossile Projekte kaum zu mehr Beschäftigung. Stattdessen führen sie zu Umweltverschmutzung, Gesundheitsgefährdungen, teils zu Zwangsumsiedlungen und Menschenrechtsverletzungen sowie zum Verlust der Lebensgrundlagen, etwa wenn lokale Fischer aufgrund von küstennahen Gasbohrungen nicht mehr fischen dürfen. 

Ausbeutung eng verbunden mit gewaltsamen Konflikten

Zudem ist die Ausbeutung von Öl, Kohle und Gas oft mit Korruption verbunden und führt zu gewaltsamen Konflikten. Darüber hinaus drohen Investitionen in Gasprojekte zu „stranded assets“ zu werden: zu Geldanlagen, die irgendwann wertlos sind. Denn die globale Nachfrage nach Gas wird in Zukunft deutlich sinken.

Das Verbrennen fossiler Energieträger ist die Hauptursache für die Klimakrise. Es ist eine riesige Ungerechtigkeit, dass Menschen im globalen Süden am stärksten betroffen sind, aber am wenigsten dazu beigetragen haben. Deshalb stehen Industriestaaten in der Verantwortung, ihre Emissionen schneller zu senken. Doch auch ein Ausbau fossiler Kapazitäten in Afrika würde die Klimakrise verschärfen und kann somit nicht im Interesse der Menschen sein, die unter den Folgen leiden. 

Zum Glück gibt es entwicklungs- und klimapolitisch bessere Optionen. Afrika hat ein riesiges Potenzial für erneuerbare Energien. Im Vergleich zu den anderen Kontinenten hat Afrika das größte Potenzial für Solarenergie, verfügt bislang aber nur über weniger als ein Prozent der weltweit installierten Fotovoltaikleistung. In den vergangenen 20 Jahren sind nur zwei Prozent der weltweiten Investitionen in erneuerbare Energien nach Afrika geflossen. Dabei ist das Potenzial riesig und würde bei Weitem ausreichen, den Energiebedarf Afrikas zu decken.

Energien aus Erneuerbaren viel günstiger

Zudem ist Energie aus Sonne, Wind und Wasser laut der Internationalen Agentur für erneuerbare Energien IRENA heute schon günstiger als alle anderen Arten der Stromproduktion. Erneuerbare stabilisieren Energiemärkte, weil sie nicht von schwankenden Weltmarktpreisen betroffen sind. Zudem können nach mehreren Untersuchungen mit erneuerbaren Energien pro investiertem Dollar etwa zwei- bis fünfmal mehr Arbeitsplätze als mit Öl, Kohle und Gas geschaffen werden. Nicht zuletzt sind sie aufgrund ihres dezentralen Charakters am besten geeignet, um das Ende der Energiearmut zu erreichen. Erneuerbare Energien bieten also eine Fülle an Chancen, und der globale Süden darf nicht dabei behindert werden, sie zu nutzen. Deshalb ist es richtig, wenn internationale Finanzinstitutionen sich aus der Förderung fossiler Energieprojekte zurückziehen.

Die Ziele des Pariser Klimaabkommens können nicht erreicht werden, wenn neue Öl-, Kohle- und Gasvorkommen erschlossen werden. Insbesondere Staaten, in denen noch keine fossile Infrastruktur besteht, haben die Chance, direkt erneuerbare Energiesysteme aufzubauen und erst gar keine fossile Lobby entstehen zu lassen. Dafür brauchen sie mehr Unterstützung. Industriestaaten wie Deutschland müssen die Klimafinanzierung erhöhen und ihre Emissionen und den eigenen Energiebedarf rasch senken, statt dem globalen Süden eine fossile Zukunft aufzudrängen.

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erschienen in Ausgabe 9 / 2022: Fragen, messen, publizieren
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