Tödlicher als Corona

Femke van Zeijl
Im Krankenhaus von Owo im Südwesten von Nigeria holen die Haus­angestellten dreimal täglich alle kontaminierten Materialien aus der Lassa-Abteilung und bringen sie zur Verbrennungsanlage.
Lassafieber
Im nigerianischen Bundesstaat Ondo sterben doppelt so viele Menschen an Lassafieber wie am Coronavirus. Dennoch sind Gesundheitsprojekte dazu selten und unterfinanziert.

Josephine Funmilola Alabi trägt einen grünen Medizinerkittel, ihre Füße stecken in desinfizierten weißen Clogs. Die Oberschwester hilft zwei Kollegen dabei, ihre Kapuzenoveralls zu schließen, die sie zum Schutz tragen. Die beiden haben bereits ihre medizinischen Handschuhe an, so dass es ihnen schwerfällt, an den Reißverschlüssen zu ziehen. Schließlich tauscht auch Alabi ihre Clogs gegen Gummistiefel und zieht den weißen Overall an. Zwei Paar Handschuhe, eine OP-Haube, eine Mund-Nasen-Maske und ein Antibeschlag-Visier vervollständigen ihr Outfit: Kein Millimeter Haut bleibt unbedeckt. Erst dann tritt sie durch die Tür in die „rote Zone“, in der die Patienten liegen. „Wir nehmen dieses Virus sehr ernst. Es ist so ansteckend, dass man die Krankenstation nur komplett eingepackt betreten darf“, sagt sie.

Die Krankenschwester arbeitet in einer Spezialstation des Bundeskrankenhauses in Owo im Südwesten Nigerias. Dort werden Patienten behandelt, die sich mit dem Lassavirus angesteckt haben. Es ist hier deutlich tödlicher als das Coronavirus. Anfang des Jahres kam es in diesem Teil Nigerias zu einem schweren Ausbruch dieser Infektionskrankheit mit mindestens 160 Todesfällen, wie das Nigeria Center for Disease Control (NCDC) im Juli berichtete. Vier der Verstorbenen waren medizinisches Personal, und es herrschte akuter Mangel an Betten und Arbeitskräften.

Das Virus verursacht Lassafieber, eine akute hämorrhagische Krankheit, die Ebola ähnelt. Diese Erkrankungen gehen mit Fieber und starken inneren Blutungen einher und können lebensbedrohlich werden. Zwar werden 80 Prozent der vom Lassavirus Infizierten kaum krank und die meisten Fälle daher überhaupt nicht erkannt. Aber von denen, die in einem Krankenhaus diagnostiziert werden, sterben laut Weltgesundheitsorganisation WHO 15 Prozent.

Owo ist das Epizentrum des Lassafieber-Ausbruchs

Die Stadt Owo ist nicht nur ein Zentrum der Landwirtschaft im Bundesstaat Ondo, sondern auch das Epizentrum des Lassafieber-Ausbruchs. Auf dem Höhepunkt im März reichten die 38 Betten auf der Isolierstation nicht aus und das medizinische Personal machte Überstunden. Die Menschen in der Region fürchten das Lassavirus weitaus mehr als das Coronavirus. Aus gutem Grund: Ondo, der Bundesstaat, in dem Owo liegt, verzeichnet seit 2020 doppelt so viele Todesfälle durch das Lassavirus als durch das Coronavirus: 171 gegenüber 85.

In den vergangenen Monaten machten Oberschwester Alabi und ihre Kollegen wegen des Lassavirus viele Überstunden. Denn ihr Behandlungszentrum ist das einzige für Lassafieber in Ondo, einem Staat, der halb so groß wie Belgien ist und in dem 3,5 Millionen Menschen leben.

Autorin

Femke van Zeijl

ist niederländische Journalistin und Autorin und lebt in Lagos.
Jetzt macht Alabi ihre Visite, geht zu den Patienten, fragt, wie es ihnen geht, und kontrolliert hier und da eine Infusion. Sie überprüft auch den Infusionsbeutel des Patienten Victory Ovuoreoyen. „Als sie mir sagten, es sei Lassafieber, dachte ich: ‚End of story‘“, sagt Ovuoreoyen mit leiser Stimme. Als der 48-jährige Geschäftsmann vor vier Tagen in die Isolationsabteilung in Owo gebracht wurde, konnte er kaum laufen und fürchtete um sein Leben. Jetzt kann er wieder aufrecht auf seinem Bett sitzen. Es ist April, das Ende der Trockenzeit in Nigeria naht und die immer noch heiße Luft verspricht kommenden Regen. Ovuoreoyen ist einer der wenigen Patienten auf der Krankenstation, der stark genug ist, um zu sprechen. „Bevor ich krank wurde, konnte ich meine Knochen nicht so zählen“, sagt er und zeigt auf sein Schlüsselbein, das deutlich unter seinem locker sitzenden, senffarbenen T-Shirt zu sehen ist. Der Arzt habe ihm aber versichert, dass er sich vollständig von der Krankheit erholen werde.

Patientinnen in ihrem Bereich des Familienbesucherzimmers – einem Unterstand, unter dem ein Graben die Kranken von den Gesunden trennt.

Obwohl es in Westafrika weit verbreitet ist, ist das Lassafieber in weiten Teilen der Welt noch wenig bekannt. Das Virus wurde 1969 in der nordnigerianischen Stadt Lassa entdeckt, etwa tausend Kilometer von Owo entfernt. Seitdem ist es in mindestens fünf Ländern Westafrikas als endemisch bekannt. Lassafieber ist laut der Afrikanischen Zentren für Krankheitsbekämpfung und Schutzmaßnahmen (Africa Centers for Disease Control and Prevention, NCDC) ein ernstes Problem der öffentlichen Gesundheit in Westafrika, das jedes Jahr schätzungsweise 100.000 bis 3000.000 Afrikaner infiziert und Tausende tötet.

Das Lassavirus wird nicht über die Luft übertragen, aber infizierte Menschen können andere über Körperflüssigkeiten anstecken. Hauptüberträger sind Ratten – genauer: Kot und Urin der Vielzitzenratte. Dieses Nagetier lebt normalerweise in der Savanne und im Wald, dringt jedoch auf der Suche nach Futter in die Häuser der Menschen ein, wenn der Regen aufhört, und verunreinigt unsicher gelagerte Lebensmittel. Deshalb erreicht das Lassafieber normalerweise in der Trockenzeit Nigerias von November bis April seinen Höhepunkt, auch wenn es das ganze Jahr über Fälle gibt.

Immer noch keine Schnelltests

Lassa wird sich nicht so schnell über die Welt ausbreiten wie Covid-19, sagt die Mikrobiologin Adebola Olayinka. Aber die Expertin für das Management gefährlicher Infektionskrankheiten, die die Lassafieber-Forschung für das NCDC koordiniert, warnt: „Schauen Sie sich die Geschichte von Ebola an. Diese Epidemie existierte jahrzehntelang in der Demokratischen Republik Kongo, erreichte aber 2014 sehr schnell Westafrika und dann England und die USA.“

Mehr als 50 Jahre nach der Entdeckung des Lassavirus gibt es immer noch keine Schnelltests. Der einzige Bluttest, um festzustellen, ob jemand das Virus in sich trägt, braucht 48 Stunden, bis das Ergebnis vorliegt. Bewährte Medikamente oder Impfstoffe gibt es nicht, sagt Olayinka. Das hat ihrer Ansicht nach damit zu tun, dass das Virus im Westen selten auftaucht. „Das war zum Beispiel bei HIV/AIDS anders. Und schauen Sie sich an, mit welcher Geschwindigkeit der Covid-Impfstoff entwickelt wurde! Aber wenn eine Infektionskrankheit die Reichen nicht betrifft, erhält sie weniger Aufmerksamkeit. Ganz zu schweigen von Investitionen in die Forschung“, sagt sie. 

Ein Jahr nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie im Jahr 2020 hat der Access to Medicine Index eine Bestandsaufnahme der Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen der 20 größten Pharmaunternehmen weltweit vorgelegt. Die Access to Medicine Foundation ist eine in den Niederlanden registrierte unabhängige gemeinnützige Organisation, die analysiert, wie 20 der weltweit größten Pharmaunternehmen den Zugang zu Arzneimitteln in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen angehen. Sie zählte 63 Projekte zu Covid-19-Viren, 5 zu Ebola und kein einziges zu von Nagetieren verbreiteten Viren wie Lassa.

Der globale Norden ist nicht vor dem Virus gefeit

Auch wenn das Lassafieber hauptsächlich in Westafrika auftritt, ist der globale Norden laut dem nigerianischen Mikrobiologen nicht vor dem Virus gefeit. Anfang dieses Jahres wurde beispielsweise bei einem Paar in England die Krankheit diagnostiziert. Der Mann war in den Ferien in Mali gewesen und infiziert zurückgekehrt, zeigte aber noch keine Symptome. Zu Hause infizierte er seine schwangere Frau, ihr frühgeborenes Kind starb in einem Krankenhaus in Bedfordshire an dem Virus. „Lassa scheint jetzt auf eine kleine Ecke der Welt beschränkt zu sein. Aber Krankheiten kennen keine Grenzen“, sagt Olayinka.

Die Symptome des Lassafiebers reichen von Kopf- und Muskelschmerzen bis hin zu Halsschmerzen, Übelkeit und Fieber. Sie sind zunächst nicht von den vielfältigen Malaria-Symptomen zu unterscheiden, einer ebenfalls häufigen Krankheit in der Region. Deshalb wird Lassafieber oft erst spät entdeckt, was die Behandlung erschwert.

Direkt vor der Isolierstation desinfiziert das Haushaltspersonal in großen Bottichen mit Chlorwasser Stiefel und Gesichtsschutzschilde, die aus der roten Zone gekommen sind. Dann werden sie auf Holzständer gestellt, die aussehen wie Kleiderständer, um in der tropischen Sonne zu trocknen. Auf der Lassa-Station wird rund um die Uhr gereinigt und desinfiziert.

Olaide Akinyolas Behandlung verlief erfolgreich

Um die Ecke, unter der Markise, die den Weg zum Eingang der Klinik abdeckt, spricht Dr. Sampson Omagbemi Owhin mit seiner Patientin Olaide Akinyola. Die 38-jährige Grundschullehrerin wurde vor anderthalb Monaten hier behandelt und kommt heute zur Nachuntersuchung. Damals hatte sie sich schon einige Tage krank gefühlt, was mit einer sehr starken Menstruation zusammenfiel, erzählt sie. Die Malaria-Medikamente, mit denen sie sich selbst behandelte, halfen nicht, also ließ sie sich im örtlichen medizinischen Zentrum einchecken. Ihre Blutprobe wurde ins Labor des Bundeskrankenhauses in Owo geschickt, wo das Lassavirus nachgewiesen wurde. Innerhalb weniger Stunden nach Bekanntgabe des Testergebnisses wurde sie auf der Lassa-Station aufgenommen.

Der Hämatologe Sampson Omagbemi Owhin (Mitte) und sein Team der Klinik in Owo bei der morgendlichen Besprechung. 

Akinyola hatte Glück, sagt ihr Arzt. Sie wurde frühzeitig diagnostiziert, erhielt eine Bluttransfusion und wurde mit Ribavirin behandelt. Obwohl die Wirksamkeit dieses Virenmedikaments, das häufig zur Behandlung von Hepatitis C eingesetzt wird, gegen das Lassavirus noch nicht gründlich erforscht ist, scheint es derzeit als einziges Mittel einen gewissen Erfolg gegen Lassafieber zu haben. Aber nur, wenn die Behandlung bald nach den ersten Symptomen beginnt.

Als Schullehrerin hat Akinyola einfachen Zugang zu Informationen über das Virus, sagt sie. „Deshalb hatte ich keine große Angst, als ich hier aufgenommen wurde.“ Informationen sind wichtig im Kampf gegen das Lassafieber, bekräftigt ihr Arzt. Nicht nur über die Behandlung, sondern vor allem darüber, wie man Lassafieber vorbeugt. Unachtsam gelagerte Lebensmittel, die mit Rattenkot oder Urin verunreinigt sind, sind oft die Infektionsquelle. Entsprechend ist Lebensmittelhygiene eine wirksame Vorbeugungsmaßnahme gegen Lassafieber.

Auch nach der Entlassung von Patienten aus der Lassa-Station können die noch lange unter Blutungen leiden. Der Hämatologe Owhin erklärt, dass nicht nur Blutgerinnungsstörungen anhalten; das Virus wurde auch schon zwei Jahre nach der Krankheit im Sperma gefunden – ein Grund, warum genesenen männlichen Patienten geraten wird, ein Kondom zu benutzen.

Dem medizinischen Zentrum könnte das Geld ausgehen

Auf der Lassa-Station tritt die 50-jährige Oberschwester Alabi gegen 14 Uhr aus der roten Zone in die Ausziehstation, wo sie die gesamte Schutzausrüstung wieder ablegt. Dort stehen auch Plastikfässer, um Schuhe und Gesichtsschutz zu desinfizieren, die wiederverwendet werden. Laut der Krankenschwester wird es für nichtstaatliche Organisationen, die den Kampf gegen Krankheiten wie das Lassafieber unterstützen, immer schwieriger, Spenden zu sammeln. Das bedeutet beispielsweise, dass das abgefüllte Wasser, das das Personal nach Stunden in verschwitzten Mondanzügen zur Rehydrierung trinken kann, nicht mehr bereitgestellt und persönliche Schutzausrüstung seltener geliefert wird. Sie fürchtet sogar, dass dem medizinischen Zentrum das Geld ausgehen könnte, um die zurzeit kostenlose Behandlung anzubieten, die von ALIMA unterstützt wird, einer internationalen NGO mit Sitz im Senegal. Eine Behandlungsgebühr von 1000 US-Dollar könnten sich die meisten Menschen in Nigeria aber nicht leisten.

In der Zwischenzeit bereitet sich das Personal auf die folgende Welle vor. „Der nächste tödliche Lassa-Ausbruch ist nur eine Frage der Zeit“, sagt Alabi.

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erschienen in Ausgabe 10 / 2022: Handgemacht und maßgeschneidert
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