„Ich sehe der Zukunft von Nepal sehr zuversichtlich entgegen“

picture alliance / Sergi Rebored/Sergi Reboredo
Hängebrücken wie diese gibt es überall in abgelegenen Gebieten in Nepal. Die Schweiz hat Tausende davon finanziert.
Schweizer Entwicklungspolitik
Seit 63 Jahren ist die Schweiz entwicklungspolitisch mit Nepal verbunden. Elisabeth von Capeller, die Schweizer Botschafterin in Nepal, erläutert das neue Kooperationsprogramm mit dem Land und bilanziert die bisherige Zusammenarbeit.

Elisabeth von Capeller war viele Jahre bei der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) tätig, unter anderem in Nepal und als Leiterin der Abteilung Südasien. Seit 2018 ist die Diplomatin Schweizer Botschafterin in Nepal.
Sie waren von 2007 bis 2011 Chefin Internationale Zusammenarbeit in Nepal und sind nun seit 2018 Botschafterin. Welche Veränderungen sind Ihnen bei Ihrer Rückkehr aufgefallen?
Politisch, wirtschaftlich und sozial hat sich viel verändert. Nepal hat sich von einer ländlichen hin zu einer mobileren, offeneren Gesellschaft entwickelt. Noch vor zehn Jahren war der Staat praktisch nicht präsent in den ländlichen Gebieten. Die lokalen Behörden stellen nun vermehrt Dienstleistungen wie Gesundheitsversorgung und Bildung zur Verfügung. Der Föderalismus hat diese Veränderungen bewirkt. Leider werden Dalits und andere ethnische Gruppen immer noch stark diskriminiert, obwohl das laut Verfassung verboten ist. Die Umweltverschmutzung und -zerstörung beunruhigt mich. Alles in allem ist die Entwicklung aber erfreulich und ich bin stolz, dass die Schweiz einen Teil dazu beitragen konnte. Nepal ist sicher ein gutes Beispiel der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit.

63 Jahre sind eine lange Zeit in der Entwicklungszusammenarbeit. Nun stellt die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA das Kooperationsprogramm 2023-2026 vor. Weshalb arbeitet die Schweiz weiter in Nepal?
Aufgrund ihres langjährigen Engagements in Nepal hat die Schweiz eine privilegierte Rolle. Wir genießen großes Ansehen und Vertrauen seitens der nepalesischen Regierung und der Bevölkerung. Die Schweiz war beispielsweise in den Friedensgesprächen nach dem bewaffneten Konflikt von 1996 bis 2006 involviert und hat Nepal bei der Ausarbeitung der neuen Verfassung von 2015 unterstützt. Nepal ist noch nicht über dem Berg; die Verfassung und das Friedensabkommen sind noch nicht umgesetzt. Die Schweiz will ihr Engagement für einen nachhaltigen Frieden und die Entwicklung des Landes fortsetzen, weil es trotz der Erfolge noch einiges zu tun gibt.

Worum geht es konkret?
Aktuell geht es darum, Nepal bei der Umsetzung der föderalen Verfassung zu unterstützen und damit unsere langjährigen Investitionen in die neuen Strukturen auf lokaler und Provinzebene zu verankern. Die Schweiz ist bei der Umsetzung der Föderalisierung ein zentraler Partner und bringt wichtige Expertise mit, auch im Bereich der Berufsbildung oder der Institutionen in einem föderalistischen Staat.

Woran wird die DEZA erkennen, dass die Zeit gekommen ist, die Entwicklungszusammenarbeit mit Nepal zu beenden?
Wenn das Friedensabkommen vollständig umgesetzt ist und das Land über föderale Strukturen und Institutionen verfügt, wäre bereits viel erreicht. So würde Nepal politische Stabilität erreichen und ausgeschlossene Bevölkerungsgruppen würden stärker einbezogen – deren Marginalisierung war einer der Hauptgründe für den bewaffneten Konflikt. Nepal ist seit Jahrzehnten im politischen Umbruch. Die Verfassung von 2015 wurde zwei Monate nach dem verheerenden Erdbeben eingeführt, zwei Jahre später der Föderalismus. Ich bin beeindruckt, was das Land in nur sieben Jahren erreicht hat.

Was ist von den Erfolgen der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit in Nepal geblieben?
Zum Beispiel der Bau von Straßen und Brücken sowie die Errichtung von fast 10.000 Hängebrücken, die in abgelegenen Gebieten den Zugang zu Schulen, Krankenhäusern und Märkten ermöglichen. Die sind aus Nepal nicht mehr wegzudenken. Heute werden die Brücken vollständig von den Lokal- und Provinzregierungen finanziert und gebaut. Die Schweiz hat außerdem die kommunale Försterei eingeführt. In den 1970er Jahren waren weite Teile Nepals abgeholzt, heute hat Nepal wieder 45 Prozent Waldfläche. Wichtig ist auch die soziale Inklusion: Die DEZA hat bereits vor 20 Jahren begonnen, mehrheitlich mit Frauen und sozial ausgeschlossenen Gruppen zu arbeiten. Heute sehe ich viele gut ausgebildete junge Leute, insbesondere auch Frauen.

Wie wichtig sind die geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen der Schweiz in der weiteren Zusammenarbeit mit Nepal?
Nepal liegt in einer delikaten geografischen und geopolitischen Position zwischen Indien und China. Der geopolitische Einfluss der USA ist verstärkt spürbar. Die Schweiz wird als eine unvoreingenommene Partnerin wahrgenommen. Sie hat ein Interesse an einem stabilen und demokratischen Nepal. Außerdem gehört Nepal zu den aufstrebenden Märkten in Asien. Die erste Erkundungsmission von Schweizer Unternehmen Anfang November hat gezeigt, dass hier durchaus Potenzial vorhanden ist.

Sie werden bis Anfang 2023 in Nepal tätig sein. Welche Hoffnungen haben Sie für die Zukunft des Landes?
Die Verfassung bietet Nepal eine Chance für wirtschaftliche und soziale Inklusion. Wenn sie durch gestärkte und demokratische Strukturen umgesetzt wird, sehe ich der Zukunft Nepals sehr zuversichtlich entgegen. Die Migration von Nepalesen ins Ausland ist Teil der Realität dieses Landes, das auch weiterhin auf Rücküberweisungen angewiesen sein wird. Sie sind die Helden des Landes. Viele kommen jedoch auch zurück, reich an Erfahrungen und mit dem Willen, in die Zukunft ihres Landes zu investieren.

Das Gespräch führte Christina Stucky.

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erschienen in Ausgabe 12 / 2022: Schlaue Maschinen
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