Österreichs Angst vor den Indern

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Der österreichische Außenminister Alexander Schallenberg hat am 2. Januar seinen indischen Kollegen, Subrahmanyam Jaishankar, in Wien empfangen.
REUTERS/Leonhard Foeger
Der österreichische Außenminister Alexander Schallenberg hat am 2. Januar seinen indischen Kollegen, Subrahmanyam Jaishankar, in Wien empfangen. Die beiden haben ein Abkommen zur Migration geschlossen.
Migration
Im vergangenen Jahr sind die Asylanträge indischer Staatsbürger in Österreich stark gestiegen. Die Regierung in Wien malte damals den Teufel an die Wand, doch inzwischen ist klar: Das Asylsystem war nie überlastet.

18.000 Asylwerber aus Indien wurden im vergangenen Jahr in Österreich registriert. Das ist fast jeder fünfte der knapp über 100.000 Menschen, die 2022 in Österreich um Asyl angesucht haben. Für Innenminister Gerhard Karner und Bundeskanzler Karl Nehammer (beide ÖVP) war das Grund genug für einen Alarmruf: Das Asylwesen stehe „an der Grenze der Belastbarkeit“, so Karner. Mit Indiens Außenminister Subrahmanyam Jaishankar, zu Beginn des Jahres 2023 auf Arbeitsbesuch in Österreich, wurde ein Abkommen geschlossen, in dem sich Indien verpflichtet, abgeschobene Staatsbürger zurückzunehmen. Gleichzeitig wurden jährlich 800 sogenannte Rot-Weiß-Rot-Karten für hochqualifizierte Arbeitsmigranten in Aussicht gestellt. Auch der Studentenaustausch soll gefördert werden. Das Abkommen muss noch von beiden Seiten offiziell abgesegnet werden.

Seit 1. Januar können indische Staatsbürger nicht mehr visafrei nach Serbien einreisen. Damit wird das wichtigste Eintrittstor nach Europa für Inder geschlossen; laut Minister Karner ist die Zahl der Asylanträge seitdem deutlich gesunken. Fünf Jahre lang hatte die serbische Regierung Indien mit der Visafreiheit dafür belohnt, dass es den benachbarten Kosovo nicht anerkennt. Für Serbien handelt es sich bei dem albanischsprachigen Land mit serbischer Minderheit um eine abtrünnige Provinz. Kanzler Nehammer und die EU hatten vergangenes Jahr Druck auf den serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić ausgeübt, die Visafreiheit zu beenden.

Menschen aus Tunesien, Indien und Marokko, die nach Erklärungen von Belgrad den serbischen Tourismus beleben sollten, wählten den Flughafen von Belgrad, um nach Europa zu kommen und in verschiedenen Ländern Arbeit zu suchen. Ungarn winkte die meisten durch. In Österreich wurden sie dank verschärfter Grenzkontrollen aufgegriffen und genötigt, um Asyl anzusuchen, wenn sie nicht sofort über die Grenze zurückgeschoben werden wollten. Die Flüchtlingslager waren allerdings nur eine kurze Zwischenstation: Vergangenen November befanden sich laut offiziellen Angaben weniger als 500 indische Staatsbürger in österreichischer Bundesbetreuung, die Tageszeitung „Kurier“ schrieb zuletzt von rund 250. In den offiziellen Statistiken werden nur die zehn stärksten Nationen ausgewiesen, deren Staatsbürger vom Bund betreut werden. Da war Indien im November nicht dabei. Die letzte noch erfasste Nationalität waren Nigerianer mit 503. Vergangenen Sommer waren Inder mit 630 kurz in der Statistik.

Die meisten Asylbewerber ziehen weiter 

Wo sind die anderen über 17.000 Inder? „Sie stellen einen Asylantrag und dann ziehen sie innerhalb von wenigen Tagen in andere europäische Länder weiter, weil sie dort vermuten, Arbeit zu finden“, sagt Christoph Riedl, Asylexperte der evangelischen Diakonie: „Nordafrikaner suchen Arbeit in Italien oder Spanien auf den Plantagen. Die Inder versuchen wahrscheinlich teilweise nach England zu gelangen. Das sind sozusagen irreguläre Wanderarbeiter.“ Und: „Die würden nie einen Asylantrag stellen, wenn man sie nicht dazu zwingen würde.“ Über Beschwerden anderer Länder, dass Österreich die Arbeitskräfte unkontrolliert ausreisen lasse, ist nichts bekannt.

Ein Indiz, dass die indischen Migranten nicht mehr im Lande sind, findet man auch in den Berichten der Asylbehörde. Gegen ablehnende Entscheidungen, die meist im Schnellverfahren getroffen werden, erhebt kaum jemand Rechtsmittel. Riedl: „Es wird immer unterstellt, dass diese Menschen kommen, um unser Sozialsystem zu missbrauchen. Würde diese Theorie stimmen, dann würden sie ja zumindest Beschwerde einbringen, um diesen Status zu verlängern.“ Andernfalls müssten sie völlig rechtlos und ohne jede Versorgung abtauchen. Riedls Fazit: „Es gibt überhaupt keine Überlastung des Asylsystems.“

Professorin hält Alarmzustand für lächerlich

Ein Problem Österreichs mit Indern kann auch Paula Banerjee, Professorin an der Abteilung für Süd- und Südostasienstudien an der Universität Kolkata und Spezialistin für erzwungene Migration, nicht erkennen. Die Akademikerin, die Ende des Jahres auf Einladung des Wiener Instituts für Entwicklung und Zusammenarbeit in Wien einen Vortrag hielt, hält die Zahlen, die Österreichs Regierung in Alarmzustand versetzen, für lächerlich: „Für 5000, die vielleicht monatlich nach Österreich ausreisen, warten an unserer Grenze bereits 50.000 aus anderen Ländern.“ Indien sei Ziel für ungezählte Migranten aus Südasien.  

Im Interview mit dem österreichischen Fernsehen wünschte sich der indische Außenminister Jaishankar größere Bewegungsfreiheit für seine Landsleute. An seinen Amtskollegen Alexander Schallenberg gerichtet plädierte er für mehr Möglichkeiten der legalen Arbeitsmigration: „Das wäre gut für den globalen Arbeitsplatz und gut für die österreichische Wirtschaft“, sagte Jaishankar. Selbstverständlich würde aber Indien eigene Staatsbürger zurücknehmen, vorausgesetzt ihre Staatsangehörigkeit sei bestätigt.
 

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erschienen in Ausgabe 1 / 2023: Im Protest vereint
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