Brüssel kommt zurück

picture alliance / photothek/Florian Gaertner
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (links) spricht Mitte Januar zusammen mit ihrer französischen Amtskollegin Catherine Colonna mit Abiy Ahmed, dem Ministerpräsidenten von Äthiopien. Baerbock reiste zusammen mit Colonna nach Äthiopien, um sich ein Bild von der Sicherheitslage, der Ernährungssicherheit sowie des inneräthiopischen Friedensprozesses zu machen.
Äthiopien
Die EU bemüht sich angesichts der Waffenruhe in Tigray um bessere Beziehungen zu Äthiopien. Die Entwicklungszusammenarbeit will sie aber nur unter Bedingungen ausweiten. Fachleute bezweifeln, dass sie das durchhält.

Für Außenministerin Annalena Baerbock ist klar: Es ist wichtig, dass Europa nach dem Friedensabkommen zwischen der äthiopischen Regierung und der Tigray People’s Liberation Front (TPLF) „schnell Gesicht zeigt“ in Äthiopien. Das sagte sie während ihres Besuchs zusammen mit ihrer französischen Amtskollegin Catherine Colonna im Januar in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba. „Die ganze Europäische Union ist stark interessiert, unsere Zusammenarbeit wieder zu verstärken“, ergänzte Baerbock laut einem Bericht im „Spiegel“

Äthiopiens Premierminister Abiy Ahmed hatte im November 2020 Soldaten in die nordäthiopische Provinz Tigray einmarschieren lassen, nachdem deren Regierung, die TPLF, einen Stützpunkt der äthiopischen Armee attackiert hatte. Vorausgegangen waren Streitigkeiten über die Machtverteilung im Land und Unabhängigkeitsbestrebungen der TPLF. Es folgte ein brutaler Krieg mit Hunderttausenden Toten, Verletzten und Vertriebenen. Beide Kriegsparteien sollen sich schwerer Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen schuldig gemacht haben.

Seit vergangenem Herbst schweigen die Waffen, und Anfang November haben beide Seiten ein Friedensabkommen unterzeichnet. Die EU und andere westliche Geber hatten ihre Entwicklungszusammenarbeit mit Addis Abeba als Folge des Krieges weitgehend eingestellt und sich auf humanitäre Hilfe über nichtstaatliche und internationale Organisationen für die notleidende Bevölkerung beschränkt. 

EU versucht Beziehungen zu Äthiopien zu verbessern

Jetzt versucht Brüssel, den Draht zur Regierung von Abiy Ahmed wiederherzustellen – und dabei geht es nach Ansicht von Lidet Tadesse in erster Linie gar nicht ums Geld. Die äthiopische Regierung habe der EU während des Krieges vorgeworfen, sie ergreife einseitig Partei für die TPLF, sagt die Expertin für das Horn von Afrika beim European Centre for Development Policy Management (ECDPM) in Maastricht. Menschenrechtsverletzungen der TPLF-Kämpfer etwa habe Brüssel deutlich schwächer angeprangert. „Diese Kritik teilen viele über die Regierung hinaus, in der äthiopischen Gesellschaft und in der Fachwelt“, sagt Tadesse.

Umso mehr bemühen sich die EU und ihre Mitglieder, die Beziehungen zu verbessern. So herrschte laut dem „Spiegel“ in den Delegationen von Baerbock und Colonna während des Besuchs „nüchterner Pragmatismus“: Es gebe keine Alternative zur Wiederannäherung an Premierminister Abiy Ahmed. „Die EU muss zusehen, wie sie in Äthiopien politisch Fuß fassen kann“, sagt Tadesse. Die USA seien aus sicherheitspolitischer Perspektive wichtig für die Regierung in Addis Abeba. China und Russland hingegen seien wichtig, weil sie im UN-Sicherheitsrat sitzen und so im Sinne von Premier Abiy beeinflussen können, wie der Konflikt mit Tigray auf internationaler Bühne verhandelt wird. Mit Entwicklungshilfe und wirtschaftlicher Zusammenarbeit allein könne Europa sich keinen Einfluss sichern, sagt Tadesse. Dafür seien die Summen, um die es gehe, einfach zu klein.

Im März wird die Lage neu bewertet

Dennoch bereitet sich die EU darauf vor, die Zusammenarbeit mit Äthiopien über die humanitäre Hilfe hinaus wieder hochzufahren. Beim Außenministerrat im Januar wurde dazu noch nichts beschlossen, aber beim nächsten Treffen im März werde die Lage vermutlich neu bewertet, sagt der Entwicklungspolitiker Udo Bullmann, der für die SPD im Europaparlament sitzt. Zudem sei noch in der ersten Jahreshälfte eine Mission von Europaabgeordneten nach Äthiopien geplant, „um die weiteren gemeinsamen Beziehungen zu überprüfen und neu zu justieren“.

Fachleute warnen davor, die Entwicklungszusammenarbeit mit Äthiopien zu schnell wieder zu normalisieren. Das könnte von der äthiopischen Regierung als nachträgliche Belohnung für ihre brutale Kriegstaktik verstanden werden, heißt es in einem Policy Paper der niederländischen Denkfabrik Clingendael Institute. Zudem löse das Friedensabkommen keines der strukturellen Probleme Äthiopiens, die letztlich den Krieg verursacht haben. Unterstütze Brüssel die äthiopische Regierung jetzt zu schnell zu stark, könnte das schwelende Konflikte im Land zusätzlich befeuern.

Vergisst Europa einmal mehr seine Werte?

Nach ihrer möglicherweise einseitigen Kritik während des Krieges besteht nun das Risiko, dass die EU die Regierung von Abiy Ahmed vorschnell aus der Verantwortung entlässt. Mit Blick auf blockierte Getreidelieferungen aus der Ukraine kritisierte Außenministerin Baerbock in Addis Abeba Russlands Präsidenten Wladimir Putin, dieser setze Lebensmittel als Waffe ein. Sie sagte aber nichts dazu, dass Premier Abiy in Tigray letztlich dasselbe getan hat: Die äthiopische Armee hatte die Provinz monatelang von Hilfslieferungen abgeschnitten, um den Druck auf die TPLF zu erhöhen.

Ein Sprecher der EU-Kommission erklärte auf Anfrage, die Entwicklungszusammenarbeit mit Äthiopien werde „schrittweise normalisiert“, wenn das Friedensabkommen weiter verwirklicht werde. Dazu gehöre, dass Verstöße gegen die Menschenrechte und gegen das humanitäre Völkerrecht geahndet und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Lidet Tadesse vom ECDPM hat Zweifel, dass die EU sich an diesen Vorsatz halten wird: „Das klingt sehr ehrenwert und die EU-Kommission meint es sicher auch so. Aber die Mitglieder haben zu diesem Punkt wie auch generell zur Frage, was die EU jetzt tun soll, vermutlich verschiedene Ansichten“, sagt sie. Es wäre nicht das erste Mal, dass Europa die Werte, auf die es sich gern beruft, in seiner Außenpolitik vergisst.

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