"Die junge Generation fordert Umweltschutz"

Knut Henkel
"Kein Bergbau, keine Erdölförderung" lautet die Parole an einem Rollladen in der Altstadt von Ecuadors Hauptstadt Quito im Juni 23. Beim Referendum am 20. August hat die Mehrheit der Bevölkerung dann auch für den Stopp der Erdölförderung im Yasuni-Nationalpark gestimmt.
Ecuador
In zwei Referenden hat die Bevölkerung von Ecuador am Sonntag für den Stopp der Ölförderung im Yasuní-Nationalpark und für ein Verbot des Bergbaus im Biosphärenreservat im Chocó Andino gestimmt. Gleichzeitig fand die erste Runde der Präsidentschaftswahlen statt. Der Menschenrechtsanwalt Mario Melo äußert sich zu den Ergebnissen.

Mario Melo ist Menschenrechtsanwalt und seit 2019 Dekan der Juristischen Fakultät der Päpstlichen Katholischen Universität von Quito. Der 57-Jährige vertritt immer wieder indigene Gemeinden im Konflikt mit der Regierung von Ecuador, oft in Umweltfragen und anlässlich der Vergabe von Konzessionen in Bergbaugebieten.

Herr Melo, wie beurteilen Sie die Ergebnisse der Volksabstimmungen?
Sie belegen das Interesse der jungen Generation in Ecuador am Umweltschutz.

Ist das eine Absage an die bisherige Politik? Ecuador exportiert seit rund 50 Jahren Erdöl, von den Einnahmen kommt jedoch in den Förderregionen kaum etwas an.
Definitiv. Das Votum der Bevölkerungsmehrheit zeigt, dass der extraktivistische Diskurs an Glaubwürdigkeit verloren hat – nicht zuletzt, weil er eng mit der Korruption in Ecuador verbunden ist, die quasi omnipräsent ist.

Die beiden Volksabstimmungen fanden zusammen mit Präsidentschaftswahlen am Sonntag statt. Wie bewerten Sie deren Ergebnis?
Ecuador sucht neue Antworten auf vielfältige Probleme und das hat dazu beigetragen, dass sich die Wahlprognosen nicht bewahrheitet haben. Das beweisen die überraschend vielen Stimmen für Daniel Noboa, einen jungen erfolgreichen Unternehmer mit akademischer Ausbildung in den USA. Er hat sich mit neuen Vorschlägen positioniert und in der letzten Fernsehdebatte seine Position für eine Ende der Erdölförderung im Yasuní Nationalpark gut begründet. So hat er viele Wählerinnen und Wähler gewonnen. Nun wird er gegen Luisa González, die Kandidatin der Bürgerrevolution des ehemaligen Präsidenten Rafael Correa, in die Stichwahl am 15. Oktober einziehen. González und ihre Partei haben Stimmen verloren, weil die Bürgerrevolution in Ecuador für viele ein mieses Image hat und als korrupt gilt. 

Zwei Wochen vor den Wahlen wurde der Präsidentschaftskandidat und Journalist Fernando Villavicencio ermordet. Alles deutet auf eine Tat der Drogenkartelle hin, aber Villavicencio war auch der politisch-ökonomischen Elite ein Dorn im Auge, richtig?
Ja, aber die Morddrohungen, die Fernando Villavicencio öffentlich gemacht hatte, kamen von Los Choneros, einem der großen Drogenkartelle in Ecuador. Fakt ist zudem, dass die Sicherheitsbehörden Fehler gemacht haben, denn er wurde nicht ausreichend geschützt. Das Killerkommando hatte leichtes Spiel, zumindest legen das alle Bilder und Videos rund um das Attentat nahe. Fernando Villavicencio war ein sehr bekannter investigativer Journalist und definitiv haben seine Anzeigen wegen Korruption gegen die Regierung des Ex-Präsidenten Rafael Correa und die gut recherchierten Fakten dahinter ihm Feinde gemacht.

Vertrauen Sie den Ermittlungsbehörden?
Puh, wir haben nur die, die wir haben. Wir Ecuadorianer und Ecuadorianerinnen sind skeptisch, wenn es um unsere Strafjustiz geht – und die Bitte unseres noch amtierenden Präsidenten Guillermo Lasso an die USA, das FBI einzuschalten, zeigt, warum das so ist. 

Fernando Villavicencio und sein Nachfolger Christin Zurita, der bei den Wahlen den dritten Platz belegt hat, haben für ein Ende der Erdölförderung im Yasuní-Nationalpark votiert, richtig?
Ja, und das hat Gewicht, denn er kannte Förderpraxis und Abläufe aus eigener Erfahrung, da er dort gearbeitet hat. Ecuador befindet sich in einer gravierenden Krise und ein Problem ist unser Wirtschaftsmodell, das auf der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen basiert. Wir vertrauen der Erdölförderung und dem Abbau von Mineralien, aber nach fünfzig Jahren des Extraktivismus liegt es auf der Hand, dass uns dieses ökonomische Modell nicht weiterbringt. Die Förderregionen gehören zu den ärmsten des Landes, der Reichtum verpufft, trägt nicht zu regionalen Entwicklung bei. Das lässt sich nach fünfzig Jahren Erdöl-Förderung im Amazonas sicherlich belegen, und wir leiden unter einer noch amtierenden Regierung, die keinen Plan hat. 

Denken Sie, dass die Präsidentschaftswahlen Lösungen für die nach der Ermordung von Fernando Villavicencio auch international in den Fokus gerückten Sicherheitsprobleme Ihres Landes liefern werden?
Ja, das Thema Sicherheit hat den ersten Wahlgang dominiert und es wird auch die Stichwahl dominieren – zu Recht. Wir müssen begreifen, dass die Verarmung großer Bevölkerungsgruppen und die gesellschaftliche Ungleichheit den Nährboden für die organisierte Kriminalität liefern. Dem werden wir nicht mit mehr Mitteln und mehr Personal für die Polizei und mit einer Militarisierung der Straßen beikommen. Wir haben es mit strukturellen Problemen zu tun. 

Wozu auch die Justiz, das Vollzugssystem, die Ermittlungsstellen der Staatsanwaltschaft und der Polizei beitragen...

Die sind Teil des Problems, sie machen ihre Arbeit nicht oder sehr schlecht. Diese Strukturen sind reformbedürftig, und die Regierung von Guillermo Lasso hat keinerlei Plan. Sie ist Teil des Problems. In den letzten drei Jahren sind in unseren Gefängnissen mehr als 450 Menschen gestorben – wie kann das sein? Die Banden kontrollieren die wichtigsten Gefängnisse dieses Landes, das Vollzugspersonal verhindert kaum mehr als das Ausbrechen der Straftäter, die von innen oft die organisierte Kriminalität draußen koordinieren, Schmuggelrouten für Drogen festlegen und Anschläge auf Richter, Staatsanwälte und Ermittlungsbeamte planen. Der Staat hat keine Antworten, keine Sicherheitsgarantien. Er versagt. Mich erinnert das an die Situation in Kolumbien Ende der 1990er Jahre, als die Gefängnisse in den Händen der Häftlinge war.

Wie kommt das? Vor fünf Jahren war Ecuador noch leidlich sicher.
Uns fehlt ein Konzept, es wird nicht gegengesteuert. Guayaquil gehört heute zu den 25 gefährlichsten Städten Lateinamerikas, es wird um Routen und um den nationalen Markt gekämpft. Heute wird an der Straßenecke der Drogendealer ermordet, weil er einem anderen Kartell in die Quere kommt. Doch das Problem hat sich längst weiterentwickelt, es geht nicht nur um den Drogenmarkt, es dreht sich mehr und mehr um Erpressung, um bezahlte Morde, um die Besteuerung kleiner Unternehmen, also Schutzgeld-Erpressung im weitesten Sinne. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass wir tiefer in die Krise rutschen und sie uns erst dann die Augen öffnet und ein großes Reformprojekt ermöglicht – mit einem anderen Wirtschaftsmodell.

Das Gespräch führte Knut Henkel.

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