Die Rückkehr der Korruptionsjäger

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„Nur Kriminelle sind gegen die MACCIH“: Demonstranten fordern im Januar 2020 in der Hauptstadt Tegucigalpa, dass die Kommission zur Untersuchung von Korruption in Honduras weiterarbeiten darf.
Anti-Korruptionsbehörde
Seit vielen Jahren kämpfen die Honduranerinnen und Honduraner für eine UN-Kommission zur Bekämpfung der Straflosigkeit in ihrem Land. Unter der Präsidentin Xiomara Castro könnte es endlich klappen.

Der 27. Januar 2022 ist für Honduras ein historisches Datum: Im Nationalstadion der Hauptstadt Tegucigalpa wird Xiomara Castro als Präsidentin vereidigt. Sie ist die erste Frau und die erste Politikerin der Linken in dieser Position. Die Erwartungen an die kleine Person im dunklen Kostüm mit der Schärpe in den Nationalfarben Weiß-Blau sind deshalb riesig: Castro soll das von Armut, Gewalt und Korruption gebeutelte Land in eine bessere Zukunft führen. 

Präsidentin Xiomara Castro bei ihrer Vereidigung im Januar 2022.

Dass sie dafür auch Hilfe von außen braucht, betont sie bereits bei ihrer Vereidigung: „Ich habe den Außenminister angewiesen, die Vereinten Nationen um Unterstützung beim Kampf gegen die Korruption zu bitten.“ Castro möchte, dass die UN eine Internationale Kommission gegen Korruption und Straflosigkeit in Honduras (CICIH) ins Land sendet – das war eines ihrer wichtigsten Wahlversprechen. 

Noch existiert die CICIH nur auf dem Papier, doch schon bald könnte sie auf Bitte der honduranischen Regierung, versehen mit einem Mandat des UN-Sekretariats, ihre Tätigkeit aufnehmen. An Arbeit mangelt es nicht, denn das Land hat ein riesiges Problem mit Korruption und Vetternwirtschaft: Im aktuellen Index zur Wahrnehmung von Korruption der Organisation Transparency International belegt Honduras Rang 157 von 180 untersuchten Staaten.

Die meisten in dem Bericht aufgeführten Korruptionsfälle bleiben – ebenso wie viele andere Straftaten in dem zentralamerikanischen Staat – ungesühnt.

2015: Proteste wegen Millionenbetrugs

Rückblende: Im Frühsommer 2015 demonstrieren Tausende auf den Straßen der Hauptstadt Tegucigalpa. Die Menschen sind aufgebracht, denn gerade ist bekannt geworden, dass Spitzenpolitiker und hohe Funktionsträger aus Verwaltung und Wirtschaft des Landes über 300 Millionen US-Dollar aus der Sozialversicherung veruntreut haben. Der Justiz des Landes traut niemand zu, den Sachverhalt aufzuklären. „Die Lage des Rechtsstaats im Land ist schon seit vielen Jahren schwierig“, sagt Ana Verónica Pineda, die in Honduras für die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) arbeitet. „Als 2009 das Militär den damaligen Präsidenten Manuel Zelaya, den Ehemann der heutigen Präsidentin Xiomara Castro, aus dem Amt putschte, schwächte das die staatlichen Institutionen weiter.“ Offiziell begründet wurde der Putsch mit einem angeblich geplanten Verfassungsbruch des Präsidenten. Ausschlaggebend dürfte jedoch gewesen sein, dass sich Zelaya linken Regierungen in der Region zu stark angenähert hatte, etwa durch den Beitritt Honduras‘ zum lateinamerikanischen Wirtschaftsbündnis ALBA, dem auch Kuba, Nicaragua und Venezuela angehören.

Die konservative Regierung der Partido Nacional, die nach dem Putsch an die Macht kommt, gibt dann das Land in den Augen ihrer Kritiker im In- und Ausland zum Ausverkauf frei: Ohne Mitsprache der lokalen Bevölkerung vergibt sie zahlreiche Bergbaukonzessionen für die Ausbeutung von Rohstoffen wie Eisenerz oder Gold an internationale Investoren. Während sich Politikerinnen und Politiker in den undurchsichtigen Vergabeverfahren  bereichern, etwa durch mutmaßliche Schmiergeldzahlungen und enge Beziehungen zu zwielichtigen Geschäftsleuten wie Lenir Pérez, der unter anderem eine umstrittene Eisenoxid-Mine im Norden des Landes betreibt, werden Proteste der Bevölkerung von privaten Sicherheitsdiensten und staatlichen Sicherheitskräften gewaltsam unterdrückt. 

Castros Vorgänger im Präsidentenamt, Juan Orlando Hernandez, wird im April 2022 verhaftet und an die USA ausgeliefert. Washington wirft ihm Drogenhandel vor.

„Bewegung der Fackeln“ fordert internationale Kommission

Der Millionenbetrug in der Sozialversicherung aber wird 2015 zum Wendepunkt. Die Proteste werden als „Movimiento Antorchas“ („Bewegung der Fackeln“) bekannt, weil die Demonstranten die Straßen in ein Lichtermeer verwandeln. Sie fordern die Einrichtung einer internationalen Kommission zur Bekämpfung der Straflosigkeit und Korruption im Land. Voller Hoffnung schauen sie dabei ins Nachbarland Guatemala, wo eine solche Kommission 2015 für die Absetzung des Präsidenten gesorgt hat, der auch in einen riesigen Korruptionsskandal verstrickt war. 

Da in Honduras der Druck der Straße immer größer wird, erlaubt die Regierung, dass im Auftrag der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) eine Mission zum Kampf gegen Korruption und Straflosigkeit in Honduras (MACCIH) ihre Arbeit aufnimmt. Es ist das Vorgängermodell der von der heutigen Präsidentin Castro angestrebten UN-Mission. Die MACCIH soll strafrechtliche Untersuchungen der Staatsanwaltschaft unterstützen.

Die Mission betritt Neuland in Honduras: In verschiedenen Fällen unterstützt sie die Staatsanwaltschaft bei den Korruptionsermittlungen gegen Spitzenpolitiker und Unternehmer – ein ganz neuer Vorgang in einem Land, in dem die Elite des Landes als unantastbar gilt. Korrupten Politikern wie dem damaligen Präsidenten Juan Orlando Hernández gefällt das überhaupt nicht. 2020 verlängert die Regierung das Mandat der Mission nicht, brisante Untersuchungen verschwinden wieder in den Schubladen. „Die MACCIH ist nicht an sich selbst gescheitert, sondern die wirtschaftliche und politische Elite des Landes hat sie scheitern lassen, weil sie ihr Mandat wahrgenommen und ermittelt hat“, sagt Pineda. „Ihr wichtigstes Vermächtnis ist der Glaube daran, dass Korruption untersucht und verfolgt werden kann.“ Doch auch aus der honduranischen Zivilgesellschaft kam damals Kritik an der MACCIH. Denn eine eigenständige, starke Ermittlungsbehörde mit UN-Mandat, weitreichenden Ermittlungsbefugnissen und Autonomie wie die UN-Kommission CICIG in Guatemala war sie nicht.

Fachleute von außen nötig

Das aber könnte sich nun unter Präsidentin Xiomara Castro ändern. Zwar leide das Land unter einer starken Polarisierung, sagt Pineda. Doch dass man für die Bekämpfung der Korruption im Land internationale Hilfe brauche, sei Konsens in der Bevölkerung und in großen Teilen der Politik. „Aber es ist natürlich offensichtlich, dass die Partido Nacional an der Kommission kein Interesse hat, weil viele ihrer Funktionsträger ins Gefängnis wandern werden“, sagt Pineda.

Raúl Pineda Alvarado war lange Jahre Parlamentsabgeordneter der Partido Nacional, der heutigen Oppositionspartei von Präsidentin Castro, bevor er sich aus der aktiven Politik zurückgezogen hat. Er warnt davor, die Korruption nur als Problem seiner Partei zu sehen. Die Einrichtung einer CICIH aber findet auch er richtig, schließlich sei der honduranische Justizapparat gar nicht in der Lage, das Problem der Straflosigkeit in den Griff zu bekommen. „Kein honduranischer Staatsanwalt wird es wagen, einen Politiker mit Verbindungen zur organisierten Kriminalität anzuklagen, weil er weiß, dass er damit sein Leben in Gefahr bringt“, sagt Alvarado. „Genauso wie in Guatemala muss man auch in Honduras Fachleute von außen holen, die herkommen, ihre Arbeit machen und dann wieder gehen.“

Deshalb hat die honduranische Regierung im Dezember 2022 mit dem UN-Sekretariat eine Vereinbarung unterzeichnet, die zwei Phasen vorsieht: In der ersten Phase geht es darum, die Lage zu evaluieren und zu prüfen, welche Reformen nötig sind, damit die CICIH erfolgreich arbeiten kann. Gleichzeitig soll eine UN-Expertengruppe die honduranische Staatsanwaltschaft und den Justizapparat bei der Untersuchung von Verbrechen, der Prozessdurchführung und der Bekämpfung von Straflosigkeit und Korruption unterstützen. Für diese erste Phase ist keine Zustimmung des honduranischen Parlaments nötig. Die UN-Expertengruppe ist deshalb bereits im Juli nach Honduras entsandt worden.

Korrupte Abgeordnete hätten viel zu verlieren

Schwieriger dürfte es mit der zweiten Phase werden: Hier wird es darum gehen, der Kommission ein starkes Mandat zu geben, das ihr möglichst weitreichende Autonomie für Ermittlung und Anklage gibt. Dafür braucht es die Zustimmung des honduranischen Parlaments, in dem die Regierungspartei keine eigene Mehrheit hat und sich deshalb immer wieder Unterstützung durch andere Parteien suchen muss. Für die Zustimmung des Parlaments spricht der starke öffentliche Druck durch die Bevölkerung, die eine Anti-Korruptionsbehörde einfordert. Dagegen stehen die Interessen vieler korrupter Abgeordneter, die unter einer CICIH viel zu verlieren hätten.

Dass selbst eine starke Antikorruptionskommission mit UN-Mandat schnell in schwieriges Fahrwasser geraten kann, zeigt der Blick ins Nachbarland Guatemala. Hier hatten die Korruptionsermittlungen, die die CICIG zusammen mit der guatemaltekischen Staatsanwaltschaft anstellt, 2015 den Rücktritt der Regierung zur Folge. Heute aber ist die Kommission Geschichte. Der sogenannte „Pakt der Korrupten“ aus guatemaltekischen Politikern und Unternehmern hat nach wie vor großen Einfluss – viele der beteiligten einheimischen Richterinnen und Staatsanwälte werden gerichtlich verfolgt, mit erfundenen Vorwürfen unter Druck gesetzt und so ins Exil gedrängt. 

Eine von ihnen ist Claudia Paz y Paz. Als Generalstaatsanwältin Guatemalas hat sie lange mit der CICIG zusammengearbeitet. Nach dem Ende ihrer Amtszeit 2014 musste sie zu ihrer eigenen Sicherheit das Land verlassen, da auch ihr gerichtliche Verfolgung drohte; nun arbeitet sie für eine internationale Menschenrechts-NGO in Costa Rica. Dennoch sieht Paz y Paz in der Initiative der honduranischen Regierung eine große Chance. Von den Erfahrungen Guatemalas mit der CICIG könne die neue Kommission durchaus profitieren. „Wir haben gelernt, dass kriminalistische und strafrechtliche Untersuchungen genauso wie die Rechtsprechung sehr wichtig sind – aber sie haben eben auch ihre Grenzen“, sagt die Juristin. „Jeder Schritt, den wir mit unseren Untersuchungen gegangen sind, hätte von politischen Reformen begleitet werden müssen, um der Korruption vorzubeugen. Honduras sollte diese Lektion sehr ernst nehmen, damit nicht das Gleiche passiert wie in Guatemala.“

Parlamentsabstimmung als Bewährungsprobe

Auch mit Reformen zur bisher undurchsichtigen Wahlkampffinanzierung wird sich die Expertengruppe der UN, die im Juli nach Honduras entsandt wurde, beschäftigen müssen. Ihre Vorschläge müssen anschließend vom Parlament beschlossen werden. Genau das sei die wahre Bewährungsprobe für das Vorhaben, glaubt der honduranische Menschenrechtsanwalt Joaquín Mejía: „Wir müssen abwarten, was passiert, wenn das Parlament über die nötigen Reformen abstimmt und die Unterstützung aller Parteien gebraucht wird.“

Dabei wird es auch auf den politischen Druck der EU, besonders aber der USA ankommen. Die Vereinigten Staaten sind seit jeher die dominierende Macht in der Region. Mejía sieht wenig Grund zur Sorge, dass die USA unter Präsident Joe Biden die honduranische Präsidentin in ihrem Kampf gegen die Korruption alleine lassen könnten – auch wenn sich das politische Panorama nach den US-Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr ändern könnte. Weil sich sowohl Guatemala als auch El Salvador in den vergangenen Jahren immer stärker in Richtung Autoritarismus entwickelten und Nicaragua längst klare Züge einer Diktatur aufweise, hätten die USA im Moment gar keine Alternative, als Honduras in seinem demokratischen Prozess zu unterstützen. „Neben Costa Rica ist Honduras heute das einzige stabile Land in der Region“, sagt Anwalt Mejía. „Schon deshalb sehen sich die USA gezwungen, sich mit Honduras zu koordinieren und abzusprechen.“

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erschienen in Ausgabe 5 / 2023: Wenn's ums Geld geht
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