„Der Antrieb ist stark, selbst Impfstoffe zu entwickeln“

picture alliance/dpa/BELGA | Benoit Doppagne
Der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus und Meryame Kitir, die belgische Ministerin für Entwicklungszusammenarbeit, besuchen im Februar 2022 das Biotech-Unternehmen Afrigen in Kapstadt (Südafrika). In der Mitte steht die Geschäftsführerin von Afrigen Biologics und Vaccines, Petro Terblanche.
Gesundheit
Im südafrikanischen Kapstadt forscht das junge Biotech-Unternehmen Afrigen an mRNA-Impfstoffen. Geschäftsführerin Petro Terblanche erklärt im Interview, warum das auch nach der Covid-Pandemie wichtig ist und was sie von der Kooperation des deutschen Konzerns BioNTech mit Ruanda hält.

Petro Terblanche ist Geschäftsführerin des südafrikanischen Biotech-Unternehmens Afrigen Biologics und Vaccines.

Frau Terblanche, zu Beginn der Covid-Pandemie 2020 wollten viele Länder Afrikas unbedingt einen eigenen Impfstoff entwickeln. Und heute? Inzwischen hat sich die Motivation geändert. 2021 schworen sich Afrikas Führer, nie wieder in die gleiche Situation zu geraten und keinen oder zu spät Impfstoff zu bekommen. Heute sieht man es realistischer und akzeptiert, dass nicht jedes der 54 afrikanischen Länder seine eigene Impfstoffproduktion unterhalten kann und muss. Der Kontinent hat eine robuste Strategie, seinen Impfstoffbedarf bis 2040 zu 60 Prozent selbst zu decken, verglichen mit nur einem Prozent im Jahr 2020. Der Antrieb ist stark, selbst Impfstoffe zu entwickeln. 

Uganda hat vor kurzem angekündigt, abgelaufenen Covid-Impfstoff im Wert von mehr als sechs Millionen Euro zu vernichten. Braucht Afrika den Impfstoff überhaupt noch? 
Es gibt keine Nachfrage mehr in den meisten afrikanischen Ländern. Wer doch noch eine Impfung haben möchte, tut sich schwer, eine zu finden. Das kommt daher, dass wir die Ausbrüche von Covid-Varianten wie in Europa oder den USA hier nicht erleben. Daher haben Regierungen gemeinsam mit den Forschern ihre Strategie geändert. Es gilt jetzt sicherzustellen, dass der Kontinent schnell auf die nächste mögliche Pandemie reagieren kann, etwa mit einer eigenen Impfstoffproduktion.

Was bedeutet das für die Entwicklung eines Covid-Impfstoff bei Afrigen? 
Wir sind nicht länger nur ein Covid-Projekt wie zum Höhepunkt der Pandemie, sondern eine Plattform für mRNA-Impfstoffe. Das haben wir bereits 2022 entschieden, als wir feststellten, dass wir von Pharmakonzernen keine Technologie für ein Covid-Vakzin erhalten würden, wie wir uns erhofft hatten. Wir mussten selbst einen mRNA-Impfstoff entwickeln. Das schuf zugleich die Möglichkeit, eine Plattform für verschiedene mRNA-Impfstoffe aufzubauen. Und wir mussten sicherstellen, dass Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen zu diesem Wissen Zugang haben werden. Wir nutzen also unseren Covid-19-Impfstoffkandidaten, um die Technologie zu unseren Partnern zu bringen. Es steht keineswegs fest, dass unser Covid-Impfstoff in die klinische Entwicklung geht. Denn es ist fraglich, ob es dafür noch einen Markt oder medizinischen Bedarf gibt. 

Ist das nicht frustrierend: Sie arbeiten an einer Impfung und wissen, dass sie vielleicht nie gebraucht wird? 
Ich würde eher von Ungeduld sprechen. Ich möchte endlich damit abschließen, damit die pharmazeutischen Kontrollorgane und die Industrie unsere Plattform offiziell anerkennen können. Covid-19 ist unser Arbeitspferd. Natürlich ist es toll, dass wir unser Produkt an so vielen Covid-Impfstoffen von Weltklasse messen können. Aber meine Begeisterung gilt anderen mRNA-Impfstoffen. Mein Traum ist es, den Afrikanern eine von uns entwickelte Impfung zugänglich zu machen, die Leben rettet und Krankheiten verhindert. 

Welche anderen Erkrankungen lassen sich mit der mRNA-Technologie bekämpfen?  
Gemeinsam mit lokalen und internationalen Partnern arbeiten wir an Impfstoffen unter anderem gegen Tuberkulose, gegen Gonorrhö und HIV. Außerdem haben unsere Partner in Europa und Afrika uns wegen Influenza, dem Hantavirus, Denguefieber und dem West-Nil-Fieber angefragt. 

War die Covid-Pandemie für Afrigen ironischerweise also ein Glücksfall? 
Wir waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Mit RNA als Zukunftsstrategie beschäftigen wir uns bereits seit 2018, wenngleich wir bis zur Covid-Pandemie keine konkrete Arbeit dazu durchgeführt haben. Trotzdem ist unser Modell, eine Vakzin-Biotech-Firma aufzubauen, nicht ungewöhnlich. BioNTech, Moderna und andere mRNA-Unternehmen werden seit Jahren mit öffentlichen Geldern gefördert. Moderna hat an die zwei Milliarden US-Dollar erhalten, BioNTech ebenfalls Milliarden und nun erneut 40 Millionen Euro von der EU für den Aufbau der ersten mRNA-Impfstoffproduktionsstätte in Afrika. So gesehen ist an Afrigen nichts Ungewöhnliches. Unser mRNA-Zentrum wird von Kanada, Belgien, Frankreich, der Schweiz, Deutschland und der EU finanziert. Die WHO steuert Wissen bei, berät uns strategisch und vernetzt uns mit Partnern weltweit. 

Wie werden andere Länder von Ihrer Forschung profitieren? 
Wir haben 15 Partner auf vier Kontinenten, Afrika, Osteuropa, Asien und Südamerika. Dabei handelt es sich um private Konzerne, öffentlich-private Partnerschaften und öffentliche Unternehmen. Wir haben ihnen das Grundwissen über mRNA-Technologe vermittelt und werden in sechs bis acht Monaten den Technologietransfer starten, damit sie mit diesem Wissen und der Technologe die mRNA-Impfstoffe für den globalen Süden herstellen können. 

Wäre es für Afrika nicht einfacher und effektiver, auf bereits vorhandene Impfstoffe zurückzugreifen – so wie Ruanda das in Kooperation mit BioNTech tut? 
Das wird die Zeit zeigen. BioNTech bringt sein Produkt auf eine Weise nach Afrika, die ihm gelegen kommt. Es muss seine Technologie nicht an Dritte weitergeben und kontrolliert und schützt sein geistiges Eigentum. Auch dieses Modell hat seine Berechtigung in Afrika. Aber wir folgen einem anderen, eigenen Weg von der Forschung über die Entwicklung bis zur Produktion. 

Kann man das BioNTech-Projekt in Ruanda eine afrikanische Initiative nennen?
Nein. Es gibt eine Partnerschaft mit der ruandischen Regierung und einige Leute im Land werden davon profitieren, Wissenschaftler zum Beispiel. Aber es ist keine afrikanische Initiative, sondern Teil einer Unternehmensexpansion

Vor drei Jahren wollte kein Pharmakonzern sein Impfstoff-Wissen teilen. Wie stehen Sie heute zu der globalen Pharmaindustrie? 
Damals ist keine Pharma- oder Biotechfirma auf uns zu gekommen. Heute ist das anders, heute geht es um strategische Partnerschaften. Wir haben langsam, aber sicher unseren verdienten Platz in der globalen Impfstoffentwicklung eingenommen und suchen jetzt nach Partnern auf der ganzen Welt, um gemeinsam mit ihnen an Impfstoffen zu arbeiten. Vergangenen Dezember haben Vertreter von BioNTech und Moderna hier an unserem mRNA-Wissenschaftskolloquium teilgenommen. Es war ein guter Austausch. Ich reise für gewöhnlich mit wenig Gepäck – da ist kein Platz für Groll. Ich hoffe, dass 2024 das Jahr strategischer Partnerschaften zwischen Afrigen und führenden mRNA-Konzernen wird.  

Das Gespräch führte Markus Schönherr. 

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