Sonderbares Schauspiel

Auf ungenutzten Agrarbeihilfen in Höhe von einer Milliarde Euro sitzt derzeit die EU. Doch der Vorschlag von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, das Geld nach Afrika umzuleiten, um dort den Bauern bei der Bewältigung der Nahrungsmittelkrise zu helfen, stieß bei EU-Mitgliedern auf wenig Gegenliebe – auch in Deutschland. Widerstand kam vor allem aus dem Finanz- und Landwirtschaftsministerium. Ein Antrag der Grünen zugunsten des Vorschlags ist im Bundestag gescheitert. Jetzt wird das Geld aus anderen EU-Töpfen eingesammelt.

„Das ist eine gute Idee“, hatte Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul Kommissionspräsident Barroso gelobt, als er im Sommer die Umwidmung der nicht verbrauchten EU-Agrargelder ins Gespräch gebracht hatte. Tatsächlich hatte der Vorschlag speziellen Charme – machen doch die immensen Subventionen der EU den Bauern in den Entwicklungsländern schwer zu schaffen. Deren Produkte sind gegen die preislich runtersubventionierten europäischen nicht konkurrenzfähig. Ihnen nun ausgerechnet aus dem EU-Agrartopf Hilfe zukommen zu lassen, wäre da ein Signal des Umdenkens, ein Schritt der Wiedergutmachung gewesen.

Doch gegen die gute Idee regte sich im Kreis der EU-Mitglieder sogleich Widerstand – gerade auch in Berlin. Namentlich das Landwirtschafts- und das Finanzministerium machten Bedenken geltend. Zwar sei man nicht gegen Hilfe für Afrikas Bauern, im Gegenteil. Aber die in den üblichen EU-Verteilungskämpfen mühsam ausgehandelten Haushaltspakete wieder aufzuschnüren, sei nicht nur rechtlich und verfahrenstechnisch äußerst schwierig. Es gelte auch, „mögliche Präzedenzwirkungen“ zu vermeiden, hieß es im Finanzministerium. Auch den Entwicklungspolitikern wäre es gewiss nicht recht, wenn Gelder aus dem Europäischen Entwicklungsfonds (EEF) anderswohin verschoben würden.  „Der EU-Agrartopf ist eben der EU-Agrartopf – und keine Dispositionsmasse der Kommission“, erklärte knapp eine Sprecherin des Landwirtschaftsministeriums (BMELV) auf Anfrage.

Der Widerstand auf Regierungsebene hielt die Fraktion der Grünen nicht ab, im Bundestag auf mehr Zuspruch zu hoffen. In einem Antrag forderte sie die Bundesregierung auf, sich in Brüssel für den Barroso-Vorschlag stark zu machen. In der Agrarpolitik der EU wie auch im „Leitbild für die Arbeit im Landwirtschaftsministerium“ sei nicht nur die Fürsorge für die eigenen Landwirte verankert, sondern auch eine Mitverantwortung für die weltweite Ernährungssicherung.

Mindestens im Entwicklungsausschuss (AWZ), bei dem die Federführung für den Antrag lag, durften die Grünen bei den Kollegen anderer Fraktionen mit breiter Sympathie rechnen; zumal ja auch die Entwicklungsministerin Barrosos Vorschlag ausdrücklich begrüßt hatte. Doch dann folgte Mitte November ein sonderbares Schauspiel. Zwar stellten sich die Vertreter beider Regierungsfraktionen im AWZ ausdrücklich hinter das Anliegen des Grünen-Antrags. Es sei befremdlich, befand etwa SPD-Obmann Sascha Raabe, dass im Zuge der Finanzkrise in kurzer Zeit Hunderte von Milliarden mobilisiert werden könnten – eine nicht benötigte Milliarde aus dem EU-Agrartopf aber nicht „schnell und unbürokratisch“ zur Linderung von Hungersnot zur Verfügung gestellt werden könne. Auch die Union hieß den Grünen-Antrag und seine Intention im AWZ gut. Doch mittragen mochten ihn die Vertreter beider Regierungsfraktionen am Ende nicht.

Wie so oft griff der Automatismus, dass Anträge der Opposition prinzipiell abgelehnt werden. Zuvor hatten sich außerdem bereits die mitberatenden Ausschüsse für Finanzen, Landwirtschaft und EU-Angelegenheiten dagegen ausgesprochen. Und für einen eigenen (oder einen interfraktionellen) Antrag zur schnellen Unterstützung der Bauern in den afrikanischen Notgebieten fehlten den Vertretern der Regierungsfraktionen im AWZ offenbar die Kraft und der Mut. „Das alles ist ein bisschen unglücklich“, hieß es danach kleinlaut auf Seiten der CDU/CSU-Entwicklungspolitiker. „Ein politisches Signal wäre wünschenswert gewesen“, trauerte man auf SPD-Seite. Die Grünen sprachen von Unfähigkeit zu ressortübergreifendem entwicklungspolitischem Handeln.

In Brüssel mochte man derweil die vom Kommissionspräsidenten in Aussicht gestellte Hilfe in Höhe von einer Milliarde Euro nicht einfach bleiben lassen. Ministerrat und EU-Parlament stimmten Ende November dafür, die Summe über den Zeitraum 2008 bis 2010 bereitzustellen. Das Geld soll jetzt freilich nicht mehr direkt aus dem EU-Agrartopf kommen, sondern aus Mitteln zur Krisen- und Terrorismusbekämpfung (Stabilitätsinstrument), aus Mitteln, die für unterschiedliche Zwecke mobilisiert werden können (Flexibilitätsinstrument), und aus Nothilfe-Reserven. Komplett zusätzliches Geld für die Entwicklungsländer, wie es die Milliarde aus dem Agraretat gewesen wäre, ist das freilich nicht. Viele Millionen davon waren ihnen ohnehin zugedacht.

Johannes Schradi

erschienen in Ausgabe 12 / 2008: Wirkung der Entwicklungshilfe
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