Begehrter Reichtum

Die Vereinigten Staaten waren lange Zeit der dominante große Bruder der Andenländer. Doch ihr Einfluss schwindet und neue Partnerschaften in Politik und Wirtschaft werden ausgelotet. Dabei spielen die Rohstoffvorkommen der Region eine wichtige Rolle. Bislang sind die neuen Bündnisse allerdings schwach. Das liegt an komplizierten bilateralen Beziehungen und nicht zuletzt an den eigenwilligen Präsidenten.

Den Eingang zur ergiebigsten Silbermine der Welt im bolivianischen Potosí bewacht die Skulptur eines Teufels, den jeder Bergmann vor Betreten der tiefen Stollen um Schutz bittet. Bei diesem Ritus verschmelzen Elemente des Christentums mit denen indigener Religionen aus der Zeit vor der spanischen Eroberung, in denen die Pachamama, die heilige Mutter Erde, die zentrale Rolle spielt. Der Ritus ist zugleich Sinnbild für die aktuellen Konflikte Boliviens, Perus und Ecuadors. Die drei Andenländer haben nicht nur geografische und historische Gemeinsamkeiten sowie einen signifikanten Anteil indigener Bewohner. Sie haben auch viele Bodenschätze, darunter Erdöl, Erdgas und verschiedene Mineralien. Interne Auseinandersetzungen und Außenpolitik müssen vor allem vor dem Hintergrund des Rohstoffreichtums und des Verhältnisses der Indigenen zur Pachamama betrachtet werden.

Autor

Manuel Chiriboga

ist Entwicklungsökonom und Soziologe. Er forscht am Latein­amerikanischen Zentrum für ländlichen Fortschritt (RIMISP) in Quito, Ecuador. Von Januar bis August 2003 war er Vize-Landwirtschaftsminister von Ecuador.

Mit Mineralien und Erdöl versuchen die Andenstaaten, sich Zugang zum Weltmarkt zu verschaffen und die grundlegenden Probleme der Rückständigkeit, Armut und Ungleichheit zu lösen, die in beträchtlichem Maße die indigenen Andenbewohner betreffen. Die wertvollsten Bodenschätze befinden sich vor allem in den von ihnen bewohnten Gebieten. Das wirft komplexe Fragen auf. Wie ist der Ertrag zwischen dem Staat und den überwiegend multinationalen Rohstoffunternehmen zu verteilen und welche Rechte hat die Bevölkerung an diesen Bodenschätzen? Soll sie über die Ausbeutung mitentscheiden? Welcher Anteil gebührt ihr am Abbau?

Jedes Land hat mit Blick auf den Welthandel eigene Vorstellungen – abhängig auch davon, welche politische Richtung das Regierungsbündnis vertritt. So drängt Peru aggressiv auf den Weltmarkt und schließt Freihandelsverträge mit den Vereinigten Staaten, der Europäischen Union, der Europäischen Freihandelsassoziation und asiatischen Staaten. Die links gerichteten Regierungen von Bolivien und Ecuador sind einem Abbau von Handelsschranken abgeneigt, kontrollieren und begrenzen die Spielräume von Unternehmen und Märkten stärker, stehen sowohl den USA als auch Europa kritisch gegenüber und pflegen Beziehungen zu nicht traditionellen Partnerländern wie Russland oder dem Iran. Peru öffnet seine Grenzen für multinationale Öl- und Bergbauunternehmen, mit denen es Verträge über Lizenzen und Steuern aushandelt. Ecuador und Bolivien hingegen wollen den Abbau der Bodenschätze selbst kontrollieren oder setzen auf zwischenstaatliche Vereinbarungen.

Das hat ein weites Kooperationsfeld mit China, Russland und in geringerem Maße mit Indien eröffnet. China beginnt in Kürze mit dem Bau des größten Wasserkraftwerks in Ecuador und hat sich Erdölvorkommen vertraglich gesichert. In Bolivien hat das indische Unternehmen Jindal Steel & Power einen Vertrag über 2,1 Milliarden US-Dollar für den Bau einer Eisenhütte abgeschlossen. Dies ist die bislang höchste ausländische Investition in ein Einzelprojekt in Bolivien. Das Eisenerz dafür soll in den nächsten 40 Jahren gemeinsam mit dem bolivianischen Staat in El Mutún gefördert werden. Die dortigen Vorkommen gehören zu den größten weltweit. Zudem haben indische Consulting-Unternehmen in den Andenländern Büros eröffnet. Auch russische Firmen interessieren sich für Investitionen ins Gasgeschäft und für den Ausbau der Wasserkraft.

Für die USA haben die Andenländer und Lateinamerika insgesamt an Bedeutung verloren. Sie stehen vor anderen Problemen: die Kriege in Afghanistan und Irak, der Nahost-Konflikt, die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko und ihre Wirtschafts- und Beschäftigungskrise. Das spiegelt sich in ihrer Regionalpolitik nieder. Anscheinend findet eine Abkehr von der traditionellen Monroe-Doktrin statt, laut der die USA in ihrem „Hinterhof“ eingriffen, wenn sie ihre Interessen gefährdet sahen. Ihre aktuelle Politik wird als eine neue Passivität oder „wohlwollende Vernachlässigung“ wahrgenommen.

Außenministerin Hillary Clinton nahm an der Versammlung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in Peru teil und traf sich in Ecuador mit Präsident Raffael Correa. Arturo Valenzuela, Staatssekretär im US-Außenministerium und Lateinamerika-Beauftragter, besuchte in den vergangenen Monaten Bolivien, Ecuador und Peru.  Nach seiner Rückkehr erklärte er: „Wir wollen niemanden zurechtweisen.“ Bei einer anderen Gelegenheit nannte er folgende Prioritäten für die Beziehungen zur Andenregion: öffentliche Sicherheit, Beseitigung von Armut und Ungleichheit, Bekämpfung des Klimawandels einschließlich Entwaldung und Umweltzerstörung sowie die Förderung alternativer Energien und die Stärkung der demokratischen Institutionen.

Diese Agenda ist völlig anders als die von George Bush, die sich reduzieren ließ auf den Kampf gegen Drogenhandel und Terrorismus sowie die Ausweitung des Freihandels. Das geringere Gewicht Washingtons spiegelt sich auch im nachlassenden Einfluss der Interamerikanischen Entwicklungsbank sowie der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds wider. Die Andenländer beantragen weniger Geld von den Organisationen und insbesondere Bolivien und Ecuador sind weniger geneigt, Vorgaben zu akzeptieren.

Das Streben der USA nach einer Erneuerung der Beziehungen kann eine Geschichte voller Differenzen nicht ausradieren. Es bleiben mindestens vier Konflikte: die Einwanderung aus den Andenstaaten in die USA, der Drogenhandel, Spannungen mit Ölfirmen und die amerikanischen Militärbasen. Im Blick auf die Migration setzt sich Ecuador für eine Entkriminalisierung seiner Landsleute in den USA ein. Es fordert ein neues Einwanderungsgesetz, ist aber auch bereit, eine Mitverantwortung zu übernehmen. Der Drogenhandel betriff vor allem Bolivien; hier verfolgen die Andenländer den Ansatz, Konsum und Anbau zu entkriminalisieren und sich stattdessen in einem multilateralen Rahmen auf den Kampf gegen den Drogenhandel zu konzentrieren.

Ferner hat sich Ecuador mit mehreren Ölfirmen wie Chevron zerstritten. Das Unternehmen wurde von der indigenen Bevölkerung und Siedlern wegen schwerer Umweltverschmutzungen in den 1970er und 1980er Jahren im Amazonasgebiet verklagt. Nun versucht Chevron, durch Lobbyarbeit US-Politiker davon zu überzeugen, günstige Handelsbedingungen für Ecuador zu kündigen. Die Anlagen anderer Unternehmen wie der Occidental Petroleum Corporation sind aufgrund von Verstößen gegen vertragliche Regelungen verstaatlicht worden. Ecuador ist gleichzeitig darum bemüht, dass diese Konflikte und Differenzen die Handelsbeziehungen nicht belasten.

Die amerikanischen Militärbasen in Kolumbien sind der vierte Konflikt. Das US-Militär wurde dorthin verlegt, nachdem Ecuador den Vertrag für die Militärbasis in der Hafenstadt Manta auslaufen ließ. Gegen die Entscheidung Kolumbiens gab es aus vielen südamerikanischen Staaten Beschwerden. Um die Beziehungen zwischen den USA und den Andenländern dauerhaft zu verbessern, müssen Lösungen für alle genannten Konflikte gefunden werden. Momentan bemühen sich die Länder, über die Differenzen zu sprechen und mögliche Vereinbarungen auszuloten. Der Ausgang ist allerdings völlig offen.

Bei den Differenzen zwischen den Andenländern geht es auch um ihre gemeinsame Ausrichtung. Seit dem Ende der 1960er Jahre haben die Länder vor allem auf die Andengemeinschaft (CAN) gesetzt. Grundgedanke war die Schaffung eines gemeinsamen Marktes und einer Zollunion sowie einer Instanz für ein politisches Bündnis. Für den Handel wurde – je nach Entwicklungsstand eines jeden Landes – ein unterschiedliches Tempo für die Herabsetzung von Steuern und Zöllen vereinbart. Die Umsetzung geriet aber wegen unterschiedlicher Ansichten zur Öffnung der nationalen Märkte ins Stocken. Der CAN gelang es nicht, ein Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union auszuhandeln. Ebenso wenig hat sie sich zu einer Instanz für Verhandlungen in bilateralen Konflikten entwickelt. Während die CAN an Gewicht verlor, wurden andere regionale Initiativen wichtiger. Die von Brasiliens Präsident Lula da Silva initiierte Union Südamerikanischer Staaten UNASUR und die „Bolivarische Allianz für Amerika“ (ALBA) unter Führung von Venezuelas Präsidenten Hugo Chávez versuchen, ein Gegengewicht zu der von Ex-US-Präsident Bill Clinton angeregten panamerikanischen Freihandelszone zu schaffen. Peru, Ecuador und Bolivien gehören der UNASUR an, Bolivien und Ecuador sind außerdem Mitglieder der ALBA. Die Bündnisse sind noch in der Entstehung, Führungsansprüche werden nicht unbedingt anerkannt.

Die südamerikanischen Bestrebungen, sich zusammenzuschließen, sind jedoch mühselig. Denn es treffen nicht nur komplizierte bilaterale Beziehungen aufeinander, sondern auch unterschiedliche Charaktere im Präsidentenamt. Das Verhältnis zwischen Brasilien und Ecuador ist derzeit schwierig, weil die ecuadorianische Regierung mit der brasilianischen Baufirma Odebrecht und einer Investitionsbank des brasilianischen Staates zerstritten ist. Auch Bolivien hatte Meinungsverschiedenheiten mit Präsident Lula, als es um die Erdgasförderung durch Petrobras ging. Peru jedoch kooperiert mit Brasilien, unter anderem beim Straßenbau und bei einer petrochemischen Anlage.

Evo Morales und Rafael Correa nehmen zwar an Gesprächen und Feierlichkeiten der ALBA teil, aber von einer engen Freundschaft mit Hugo Chávez kann trotzdem nicht die Rede sein. Correa ist seit längerem um Unabhängigkeit von Venezuela bemüht. Mittlerweile hat er sich nicht nur an Peru, sondern auch an andere Länder der Region angenähert. Morales rief kürzlich eine Initiative von globaler Reichweite ins Leben: den „Weltgipfel“, bei dem die Ernährungssouveränität und der Schadensersatz für von Industrieländern verursachte Umweltschäden einen zentralen Platz einnahmen. Bezeichnenderweise waren weder Correa noch Chávez dabei.

Der Mangel an Konsens zwischen den Andenländern erschwert auch Initiativen wie die von Ecuador angeregte Gründung einer „Banco del Sur“, einer regionalen, von Washington unabhängigen Finanzarchitektur, die Darlehen ohne Konditionalitäten gewähren und regionale Projekte fördern soll. Brasilien, das beim Aufbau eine zentrale Rolle spielen könnte, verhält sich passiv, sobald sein Führungsanspruch nicht anerkannt wird. Die USA, Brasilien und Venezuela werden sich weiterhin gegenseitig ihren Einfluss in der Region streitig machen. Ihnen fehlt die Durchschlagkraft oder die Integrationskraft, um die Oberhand zu gewinnen. Die Unterschiede zwischen den Ländern und den Regierungschefs machen das schlicht unmöglich. Zugleich sind China und Indien zunehmend präsent. Und Europa wird als politisch schwach, aber als interessanter Handelspartner wahrgenommen.

Aus dem Spanischen von Barbara Kochhan. 

 

erschienen in Ausgabe 7 / 2010: Andenländer, alte Kulturen neue Politik
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