Auf der Suche nach Mitteln gegen den Augenwurm

Ein Arzt und ein Patient sitzen im Untersuchungszimmer.
Nyani Quarmyne
Der Arzt Rene Lilian Endamne untersucht Pierre Zack Mombo, den Direktor der örtlichen katholischen Schule Notre Dame des Trois Epis, in der CERMEL-Forschungsstation in Sindara (Gabun). Mombo hatte sich mit einer geschwollenen rechten Hand vorgestellt, ein mögliches Anzeichen für eine Loa loa-Infektion, der Augenwurm-Krankheit.
Gabun
Viele Menschen in West- und Zentralafrika sind von einem Wurm befallen. Das ist nicht akut tödlich, aber schmerzhaft und es gibt kaum Behandlungsmöglichkeiten. Ein kleines partizipatives Forschungsprojekt in Gabun soll das ändern.

José Mouanga Ma steht auf einer Sandbank am Rande des Ngounié-Flusses unweit seines Dorfes Sindara, das tief im Regenwald liegt. Das Wasser steht niedrig und zieht gemächlich an ihm vorbei. Es ist Trockenzeit in Gabun. Der 46-Jährige erinnert sich an einen Moment vor fast 30 Jahren, als er plötzlich etwas in seinem Auge spürte und zu seinem Vater rannte. „Ein Wurm, ein kleiner Wurm bewegt sich in deinem Auge!, soll sein Vater gerufen haben, erzählt Ma. „Ich hatte Angst. Ich dachte, ich verliere vielleicht mein Auge, so sehr hat es wehgetan.

Seine Großmutter behandelte seine Augen mit einem Sud aus Blättern und Rinde. Der Wurm verschwand – zumindest vorübergehend. Seitdem sind aber alle paar Wochen erneut mehrere Zentimeter lange Würmer in seinem Auge aufgetaucht. Mal ist nur ein Auge betroffen, mal beide. Die Migration durch die Bindehaut kann wenige Stunden, manchmal aber auch bis zu zwei Tage dauern. All die Jahre plagten Ma weitere Symptome: unerträglicher Juckreiz am ganzen Körper, Kopfschmerzen, Müdigkeit. Er zieht sein Hosenbein hoch und zeigt auf sein geschwollenes Fußgelenk. Es schmerzt seit drei Tagen.

Ma leidet unter Loiasis. Das ist eine tropische Wurmerkrankung, die Bewohner von Wald- und Savannengebieten in Zentral- und Westafrika plagt. Über 20 Millionen Menschen sind mit dem Fadenwurm Loa loa infiziert, dem sogenannten afrikanischen Augenwurm. Trotz jahrelanger Beschwerden suchte Ma bis vor kurzem nie ärztliche Hilfe. In den betroffenen Ländern gibt es keine nationalen Programme zur Bekämpfung von Loiasis, anders als für andere Wurmerkrankungen wie etwa Flussblindheit. 

Der Grund: Loiasis galt lange als schwer behandelbar und vergleichsweise harmlos. Rella Zoleko-Manego vom gabunischen Forschungsinstitut Centre de Recherches Médicales de Lambaréné (CERMEL), das in den 1980er Jahren aus dem berühmten Albert-Schweitzer-Spital hervorging, sagt: „An der Universität wurde uns beigebracht, dass es besser sei, keine Medikamente zu verabreichen. Wenn ich einen Patienten sah, sagte ich: ‚Es gibt keine Behandlung, gehen Sie nach Hause.‘“

Ein Wurm im Auge ist extrem schmerzhaft 

Im Gegensatz zur Malaria ist Loiasis nicht akut lebensbedrohlich, sagt Zoleko-Manego. Doch die Beschwerden sind gravierend: „Wir haben es vielleicht nie selbst erlebt, wenn ein Wurm durchs Auge wandert, aber es ist extrem schmerzhaft. Manche Menschen reiben sich Chili ins Auge, weil sie den Schmerz nicht ertragen und den Wurm töten wollen. Wie Ma greifen viele Betroffene zu traditionellen Mitteln. Andere ziehen die Würmer mit Nadeln oder Dornen aus den Augen.

Zoleko-Manego leitet ein kleines Forschungszentrum für Loiasis in Sindara. Es liegt auf einem Hügel oberhalb des Dorfes, umgeben von dichtem Regenwald. Graupapageien flattern pfeifend von Baum zu Baum, andere Vögel stimmen in das Konzert mit ein. Handtellergroße Schmetterlinge gleiten von Blüte zu Blüte. Das Zentrum wurde vor drei Jahren als Kooperation zwischen dem Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM) in Hamburg und CERMEL gegründet.

José Mouanga Ma von der CERMEL-Satellitenforschungsstation in Sindara, Gabun, mit einer in einer Falle gefangenen Fliege am Ufer des Ngounie-Flusses. Er arbeitet als Insektenfänger für die Station und hat auch an einer Studie teilgenommen, weil er selbst Loiasis hat. Die Krankheit wird durch den Stich von Chrysops-Fliegen übertragen.

Sindara erwies sich als idealer Standort für die Forschung: Epidemiologische Studien zeigen, dass in manchen umliegenden Dörfern bis zu 70 Prozent der Erwachsenen mit Loa loa infiziert sind. Die Überträger, Chrysops-Bremsen, leben in den dichten Baumkronen des Regenwaldes. In der Regenzeit sind die „roten Fliegen, wie sie hier genannt werden, allgegenwärtig. Sie stechen ständig; wenn die Menschen auf ihren Feldern oder im Wald arbeiten, beim Fischen oder beim Waschen am Fluss. Und dabei können sie Wurmlarven übertragen.

Dorfbewohner nehmen an klinischen Studien teil

Einer der Ärzte, die im Zentrum arbeiten, ist Lilian Endamne. Er kommt aus der Hauptstadt Libreville, war aber so viel in abgelegenen Gegenden im Einsatz, dass er sich selbst als médecin de brousse oder Buschdoktor bezeichnet. 

Als er in Sindara anfing, war er überrascht vom Wissen der Bevölkerung: Sie kannten Symptome und traditionelle Behandlungsformen. „Jetzt kommen sie mit einer Selbstdiagnose ins Zentrum. Das ist hilfreich, denn genau diese Patienten helfen uns, die Krankheit besser zu verstehen.

Anfangs war die Arbeit schwierig. Viele Dorfbewohner waren misstrauisch gegenüber den regelmäßigen Blutabnahmen. „Man hielt uns für Vampire, sagt Endamne halb im Scherz. Lokale Mitarbeitende klärten auf und bauten Vertrauen auf. Auch die kostenlose Behandlung anderer Erkrankungen – von Malaria über Tuberkulose bis Bilharziose – trug zur Akzeptanz bei.

Heute kommen regelmäßig Patienten. Viele nehmen an klinischen Studien teil, in denen bestehende Medikamente und auch Wirkstoffe aus der Veterinärmedizin getestet werden. Die Symptome von Loiasis sind neben der schmerzhaften Wanderung des Wurms durchs Auge sichtbare Würmer unter der Haut und sogenannte Calabar-Schwellungen. Die treten meist an Gelenken auf, aber auch im Gesicht, und sind eine allergische Reaktion auf die Migration der Würmer im Unterhautfettgewebe. Ein Patient zeigt sein geschwollenes Handgelenk und erzählt, er könne beim Arbeiten auf dem Feld keine Machete mehr halten, es sei zu schmerzhaft.

Die Krankheit ist gefährlicher als lange angenommen

Im Labor des Zentrums untersucht eine Technikerin Blutproben. Was sie unter ihrem Mikroskop sieht, fasziniert sie immer wieder aufs Neue: Winzige Würmer, Mikrofilarien, zappeln hektisch zwischen roten Blutkörperchen umher. Das ist der Nachwuchs der ausgewachsenen Würmer, die sich unter der Haut durch den Körper bewegen. Tagsüber, wenn es schön warm ist, dringen die Mikrofilarien bis in die kleinen Blutgefäße an der Körperoberfläche vor, wo sie von blutsaugenden weiblichen Bremsen aufgenommen werden und sich in diesen zu den infektiösen Larven entwickeln. Die werden dann mit einem weiteren Stich auf Menschen übertragen, unter deren Haut sie zu adulten Würmern heranwachsen, die sich fortpflanzen. Ein endloser Kreislauf. 

In manchen Fällen wurden über 100.000 Mikrofilarien pro Milliliter Blut gefunden. Hochgerechnet auf das menschliche Blutvolumen von 5 Litern ergibt das eine enorme Biomasse, sagt Michael Ramharter vom BNITM, Mitbegründer des Zentrums in Sindara. Der Tropenmediziner arbeitet schon seit 25 Jahren in dem Land im Kongobecken. Anfangs forschte Ramharter an Malaria. Da sah auch er immer diese kleinen zappelnden Mikrofilarien unter dem Mikroskop. Als er dann viel in den Dörfern unterwegs war, wurde ihm klar, wie sehr die Menschen unter dieser Krankheit leiden und wie wenig für sie getan wird.

Das war der Anfang seiner Leidenschaft für Loa loa. Vieles daran sei noch ungeklärt, sagt er. So ist die Krankheit weitaus gefährlicher als lange angenommen. Neuere Studien belegen, dass Loiasis die Sterblichkeit um bis zu 15 Prozent erhöhen kann. Die Immunantwort des Körpers auf die Mikrofilarien kann zu Organschäden und langfristig zum Tod führen. 

Die Behandlung ist bis heute unzureichend

Doch nur bei rund einem Drittel der Infizierten lassen sich Mikrofilarien im Blut finden. Die Mehrheit leidet an okkulter Loiasis – nachweisbar oft nur durch das Wandern des Wurms im Auge. Wie viele Würmer sich dann insgesamt im Körper befinden, oft tief unter der Haut, ist unklar, es können Dutzende oder Hunderte sein. Da die Würmer bis zu zwanzig Jahre leben und Menschen häufiger neu infiziert werden, tragen viele wohl ihr ganzes Erwachsenenleben Loa-loa-Filarien in sich. Die Diagnose wird zusätzlich erschwert, weil viele Patienten symptomfrei bleiben, auch bei hoher Mikrofilarienlast; sie bemerken die Infektion gar nicht. Auch wenn sie keine Symptome haben, können viele Mikrofiliarien im Blut aber auf Dauer zu Organschäden führen. 

Die Behandlung ist bis heute unzureichend. Einige verfügbare Medikamente sind 80 bis 90 Jahre alt und bergen Risiken. Andere müssen über Wochen eingenommen werden – ein Problem in abgelegenen Gebieten ohne medizinische Infrastruktur.

Autorin

Laura Salm-Reifferscheidt

ist freie Print- und Audiojournalistin. Sie befasst sich vor allem mit Gesundheits- und Sozialthemen auf dem afrikanischen Kontinent. (www.laurasalm.com)
In den frühen 1990er Jahren zeigte sich durch Zufall, wie gefährlich einige Medikamente für Loiasis-Infizierte sein können. Damals gab es Massentherapieprogramme, um eine andere Tropenkrankheit zu bekämpfen, nämlich die Flussblindheit oder Onchozerkose. Diese Wurmerkrankung kann, wie der Name schon sagt, zu Blindheit führen. Flächendeckend wurde in betroffenen Regionen das Medikament Ivermectin verteilt, das gegen Onchozerkose sehr wirksam ist. 

In Kamerun aber kam es zu plötzlichen Todesfällen – betroffen waren Patienten mit einer sehr hohen Last an Loa-loa-Mikrofilarien. „Ivermectin lähmt die Mikrofilarien, erklärt Sabine Specht von der Drugs for Neglected Diseases initiative (DNDi). „Das löst heftige Immunreaktionen aus“, und diese könnten zu Gehirnschäden führen.

Die Therapieprogramme gegen Flussblindheit wurden zwar erfolgreich fortgesetzt, allerdings nicht mehr in Regionen, wo Loa loa und Onchozerkose beide sehr häufig sind. Laut Maria Rebollo Polo, Leiterin des WHO-Programms zur Eliminierung der Onchozerkose, ist Gabun nur wegen Loiasis noch nicht gegen Onchozerkose vorgegangen. Schon allein wegen der Behandlung der Flussblindheit sollte die Bevölkerung auf Loa loa getestet werden. Aber auch Loiasis selbst müsse endlich mehr Beachtung finden. 

Nicht auf der Liste der vernachlässigten Tropenkrankheiten

Loiasis steht nicht auf der WHO-Liste der vernachlässigten Tropenkrankheiten (NTDs) – trotz vergleichbarer Krankheitslast wie Bilharziose. Für Ramharter ist das ein entscheidendes Hindernis im Kampf gegen die Krankheit. Die Aufnahme auf diese Liste würde befördern, dass die Programme dagegen mehr Priorität und Finanzierung bekommen. 

Auch Nadege Mondoubé, José Mouanga Mas Schwester, ist infiziert. Sie wird im Zentrum in Sindara behandelt. Hinter ihrem Holzhaus sitzt sie auf einem Schemel am Kochplatz, nimmt Fische aus und schneidet Knoblauch in einen großen Topf. Vor drei Jahren ist sie aus Lambaréné zurückgekehrt, um sich nach dem Tod der Mutter um ihren Vater und die Enkel zu kümmern. 

Nadege Mondoubé hat wie ihr Bruder den afrikanischen Augenwurm Loa Loa. Sie nimmt deswegen an der Loiasis-Studie der nahe gelegenen CERMEL-Forschungsstation Sindara (Gabun) teil. Auf dem Foto ist sie beim Kochen des Abendessens in ihrem Haus in Sindara zu sehen.

„Das Leben hier ist wirklich schwierig. Es ist hart, wenn man keine Arbeit hat. Es gibt keine Pumpen, keine Straßen, keinen Strom, sagt sie. Viele junge Menschen ziehen in die Stadt, die rund zwei Stunden Fahrt von Sindara entfernt liegt. Sie glaubt, viele würden zurückkehren, wenn die Regierung in Infrastruktur investieren würde.

"Infektionskrankheiten sind nicht nur ein medizinisches Problem"

Der Arzt Lilian Endamne und seine Kollegen nehmen die Probleme der Patienten ernst. Die Studienteilnehmer werden für ihre Termine aus den umliegenden Dörfern abgeholt und wieder nach Hause gebracht; fast keiner hier hat ein Auto, nur wenige Sammeltaxis fahren die holprige Staubpiste, die die Dörfer verbindet, auf und ab. Das ist eine Anforderung für die Durchführung von klinischen Studien. Nicht immer sind die Probanden aufzufinden. Dann arbeiten sie vielleicht auf ihren Feldern im Wald oder sind mit ihrem Kanu auf dem Fluss unterwegs. Die meisten hier leben von der Landwirtschaft oder vom Fischfang. 

Mit der Forschung gehe eine Verantwortung einher, sagt Lilian Endamne. „Ohne Berücksichtigung sozialer Probleme können wir hier nicht arbeiten, denn wir erleben täglich Armut. Die Menschen hier haben nicht die Mittel, sich behandeln zu lassen. Infektionskrankheiten sind hier nicht nur ein medizinisches Problem, sondern es geht auch darum, die Probleme der Armut zu lösen. Das schmerzt uns am meisten, weil wir dagegen machtlos sind“, sagt er. Es ist ihm bewusst, dass er und seine Kollegen nicht allen helfen können, aber zumindest manchen. 

Auch José Mouanga Ma hat jetzt an einer Medikamentenstudie teilgenommen. Die Behandlung ist beendet und er hofft, die Würmer erst einmal los zu sein. Er fühlt sich jedenfalls schon viel besser, die Schwellung an seinem Fußgelenk ist weg.

Die Recherche wurde vom European Journalism Centre im Rahmen des Solutions Journalism Accelerator gefördert.

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