Dil Kumar Rai träumt noch immer davon, in seine Heimat Bhutan zurückzukehren, obwohl die Geister seiner Vergangenheit ihn verfolgen. Der Nepali sprechende Bhutaner wurde aufgrund seiner ethnischen Identität Anfang der 1990er Jahre aus dem Königreich Bhutan vertrieben. Auch Zehntausende andere mussten ins benachbarte Nepal fliehen. 1996 besuchte Rai heimlich das Königreich, um Verwandte zu treffen, und wurde dort prompt verhaftet. Er wurde dort dann zu 21 Jahren Haft verurteilt, weil er ein „Extremist und Anti-Nationalist“ sei und Proteste gegen die Regierung angeheizt habe.
Als er 2017 freikam, fühlte er sich wie ein Fremder im eigenen Land. „Ich hatte keine Staatsbürgerschaft, kein Geld und keinen Ort, an dem ich leben konnte“, sagt Rai, der mittlerweile Ende fünfzig ist. „Ich wollte in Bhutan bleiben, aber dort gab es nichts mehr für mich. Also ging ich 2017 nach Nepal zurück, auch wenn ich damit wieder zum Flüchtling wurde.“
Wie Rai sind etliche Nepali sprechende Bhutaner nach einer Haftstrafe in Bhutan nach Nepal gekommen. Dutzende andere sitzen noch in Bhutans Gefängnissen lange Haftstrafen wegen Vergehen gegen das Land ab, viele ohne Aussicht auf Bewährung. Sie gelten als politische Gefangene: Mindestens 37 verzeichnete Human Rights Watch im Jahr 2023, die zwischen 1990 und 2010 inhaftiert und nach „unfairen Prozessen und mutmaßlicher Folter“ verurteilt worden waren. Fünf sind seitdem freigelassen worden, die übrigen 32 verbüßen laut Human Rights Watch Haftstrafen zwischen 32 Jahren und lebenslänglich ohne Bewährung „wegen einer Reihe mutmaßlicher Verstöße gegen die nationale Sicherheit“.
Bhutans „dunkle Vergangenheit“
Bhutan begann Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre, Nepali sprechende Bhutaner auszuweisen, die als Lhotshampas bekannt sind, was so viel wie „Südländer“ bedeutet. Die Politik „eine Nation, ein Volk“ führte zur Vertreibung von mehr als hunderttausend von ihnen in Flüchtlingslager im Osten Nepals. Die Mehrheit wurde laut dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR zwischen 2007 und 2016 in Drittländern neu angesiedelt. Etwa 6300 leben nach wie vor als Flüchtlinge in Nepal und warten auf Rückkehr nach Bhutan.
Bhutans „dunkle Vergangenheit“, die Vertreibung der Lhotshampas und die politischen Gefangenen, sind verbotene Themen im Königreich, Gespräche darüber werden als „anti-national“ angesehen. Nur Menschenrechtsorganisationen und Vertreter der Diaspora weisen international darauf hin, so wie Ram Karki. Er ist aus Bhutan nach Nepal geflohen, hat 2003 in den Niederlanden Asyl erhalten und setzt sich für die Freilassung politischer Gefangener im Königreich ein. Neben den 32 Nepali sprechenden Bhutanern werden laut Karki auch fünf Angehörige der ethnischen Gruppe der Sharchop aus Ostbhutan als politische Gefangene festgehalten.
Autor
Bibek Bhandari
ist freier Journalist in Kathmandu, Nepal. Er hat in Indien und China gelebt und berichtet besonders über Gender-Themen, Kunst und Kultur sowie Umweltfragen.Karki begann die Situation der politischen Gefangenen in Bhutan zu dokumentieren, nachdem er 2019 über eine dritte Person auf Facebook einen emotionalen Brief von einem politischen Gefangenen erhalten hatte. Daraufhin gründete er die globale Kampagne für die Freilassung politischer Gefangener in Bhutan, um international Aufmerksamkeit und Unterstützung zu gewinnen. Laut Karki, der Human Rights Watch bei der Dokumentation der politischen Gefangenen geholfen hat, sollen viele im Chemgang Central Prison in der Nähe der Hauptstadt Thimpu einsitzen.
Auch Rai war dort inhaftiert und sagt, die Haftbedingungen seien schlecht. Man habe keine angemessene Verpflegung oder medizinische Versorgung erhalten und nachts Eimer benutzen müssen, um die Notdurft zu verrichten. Auch sei er in der Haft auch gefoltert worden, indem Polizeibeamte ihm auf Brust und Hände traten und ihn nachts am Schlafen hinderten. Laut Karki gibt es derzeit keine Berichte über solche Misshandlungen; die Situation scheint sich verbessert zu haben.
Demokratie – aber nicht für die politischen Gefangenen
„Als ich im Gefängnis war, kam die Demokratie nach Bhutan, aber für die politischen Gefangenen hat sich dadurch nichts geändert“, sagt Rai, der vor seiner Flucht aus seiner Heimat als Automechaniker gearbeitet hatte. Bhutan ist nach sozialen und politischen Reformen eine konstitutionelle Monarchie geworden, 2008 wurde erstmals die Nationalversammlung gewählt. Die Wahl wurde von internationalen Beobachtern als frei und transparent bewertet, seitdem finden regelmäßig Wahlen statt. Mit einer liberalen Führung an der Spitze der neuen Regierung seit Januar 2024 hoffen Aktivisten und Angehörige politischer Gefangener auf Schritte zur Freilassung der Häftlinge, doch bisher wurden sie enttäuscht.
Im März 2025 hat die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen festgestellt, dass die bhutanische Regierung mit der Verhaftung von Nepali sprechenden Bhutanern gegen Menschenrechte verstoßen habe. Das Königreich habe auch das Recht auf ein faires Verfahren verletzt; die Verhaftungen und Urteile werden als „diskriminierend“ bezeichnet. Im folgenden Monat forderten Human Rights Watch und Amnesty International gemeinsam die Europäische Union auf, Bhutan zur Freilassung politischer Gefangener zu drängen.
Das Rechtssystem Bhutans basiert auf buddhistischen Prinzipien; der König hat letztlich die Macht, Gefangenen Amnestie zu gewähren. Sowohl der derzeitige Monarch Jigme Khesar Namgyel Wangchuck als auch sein Vater haben bereits politische Gefangene begnadigt. Die Familien vieler nepalisprachiger politischer Gefangener warten jedoch immer noch darauf.
Todesstrafe oder lebenslange Haft für regierungsfeindliche Flugblätter
Bhim Gurungs Bruder Sunman wurde 2008 in Bhutan unter dem Nationalen Sicherheitsgesetz aus dem Jahr 1992 inhaftiert, weil er „regierungsfeindliche Flugblätter“ verteilt habe; für Verrat sieht dieses Gesetz die Todesstrafe oder lebenslange Haft vor. Gurung sagt, dass Familienangehörige Sunman seit 2015 nicht mehr besuchen konnten; er ist immer noch im Gefängnis. „Dieser (UN-)Bericht gibt uns ein wenig Hoffnung“, sagt Gurung, der nach Australien umgesiedelt wurde. „Wir warten schon sehr lange. Meine Mutter ist im Januar gestorben, während sie noch wünschte, meinen Bruder ein letztes Mal zu sehen; mein Vater wartet immer noch.“
Laut Susan Banki, Professorin an der Universität Sydney und Autorin eines Buches über den Aktivismus der bhutanischen Flüchtlingsdiaspora, betrachtet das Königreich seine politischen Gefangenen immer noch als Kriminelle und die Regierung weigert sich auch nach Jahrzehnten, sie freizulassen. Das deute darauf hin, dass sie nicht bereit ist, diese Haltung aufzugeben. „Das ist kein gutes Zeichen für die Demokratie, denn es suggeriert, dass die Menschen weiterhin Angst haben sollten, ihre Meinung zu äußern“, sagt Banki.
Zurück im Flüchtlingslager in Nepal leben die freigelassenen politischen Gefangenen in Ungewissheit. Rai sagt, die Freiheit aus dem Gefängnis sei wie ein „Neuanfang“, aber im Alltag trete er seitdem auf der Stelle und habe wenig Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Letztlich wünscht er sich, nach Bhutan zurückzukehren, wo er hingehört. „Wir wollen nicht unser Leben lang Flüchtlinge sein“, sagt er. „Ich war in meinen Zwanzigern, als ich Bhutan verließ, daher habe ich lebhafte Erinnerungen an mein Land. Wenn die Regierung beschließt, uns zurückzunehmen, kehre ich sofort zurück.“
Neuen Kommentar hinzufügen