Die Chancen des Umsturzes nicht verpassen

Viele junge Menschen protestieren. Im Hintergrund eine Statue mit mehreren Figuren und ein Bild der Premierministerin auf einer Brücke.
AFP via Getty Images/LUIS TATO
Im August 2024 protestierten vor allem Studentinnen und Studenten in der Nähe der Universität Dhaka in Bangladesch gegen die damalige Premierministerin Sheikh Hasina. Rund 1400 Menschen starben bei den Demonstrationen.
Bangladesch
Ein Jahr nachdem Bangladeschs Premierministerin von der Demokratiebewegung gestürzt wurde, sind zivilgesellschaftliche Organisationen von mangelnden Reformen der Übergangsregierung enttäuscht. Muhammad Yunus, der Chef dieser Regierung, hat indes Wahlen für Februar 2026 angekündigt.

Während der 15-jährigen Amtszeit von Regierungschefin Sheikh Hasina waren Menschenrechtsaktivisten und Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen immer wieder kontrolliert und schikaniert worden. Oft wurden ihre Registrierungen willkürlich aufgehoben oder ihr Zugang zu Geldern gesperrt. Als im August 2024 eine Übergangsregierung unter der Führung des Nobelpreisträgers Muhammad Yunus die Macht übernahm und dabei von den Kräften der Zivilgesellschaft unterstützt wurde, die Hasina bekämpft hatte, sahen viele eine Chance für Veränderungen.

Ein Jahr später allerdings ist von den versprochenen Reformen kaum etwas umgesetzt worden, Menschenrechtler sprechen sogar von Rückschritten bei den Rechten von Frauen und Minderheiten. Die drastischen Kürzungen der Auslandshilfe hinterlassen zudem eine Lücke, die die Regierung, die gerade mit dem Wiederaufbau der angeschlagenen Wirtschaft zu kämpfen hat, nicht füllen kann.

Dabei wurde Bangladesch jahrelang als „Entwicklungsliebling“ gepriesen, mit einem rasanten Wirtschaftswachstum unter Hasina und bedeutenden Fortschritten bei einigen UN-Nachhaltigkeitszielen. Viele Zahlen zum Bruttoinlandsprodukt könnten allerdings laut einem im letzten Jahr veröffentlichten Weißbuch der UN gefälscht sein; unter Hasina habe Korruption grassiert und schätzungsweise 234 Milliarden Dollar seien illegal aus dem Land abgezogen worden. Korruption sei nach wie vor im Land weit verbreitet, und wegen seiner finanziellen Probleme und geringen Steuereinnahmen seien nicht genügend Mittel für Entwicklungsinvestitionen in Gesundheit und Bildung vorhanden, kritisieren Fachleute.  

„Das ist eine große Herausforderung für die Übergangsregierung“, meint Iftekharuzzaman, Geschäftsführer von Transparency International Bangladesch. „Es sind Menschen mit guten Absichten. Aber sie stehen an der Spitze eines Systems, das wirklich dysfunktional ist.“

Yunus kündigt Wahlen für Februar 2026 an

Bei einer Veranstaltung zum ersten Jahrestag von Hasinas Flucht nach Indien Anfang August kündigte Yunus Wahlen für Februar 2026 an und bekräftigte sein Engagement für umfassende Reformen. Vielen ist das zu wenig und zu spät, auch weil die Empfehlungen der elf extra eingerichteten Reformkommissionen in Bereichen wie Justiz und Frauenrechte bislang kaum umgesetzt wurden. 

Zwar „verschwänden“ heute, anders als unter Hasina, keine Menschen mehr. Doch laut Human Rights Watch haben politische Unruhen und Gewalt zugenommen, und eine erstarkte religiöse Rechte mobilisiere gegen Frauen- und Minderheitsgruppen. „Die Hoffnung Tausender, die sich vor einem Jahr für die Demokratie und Menschenrechte stark machten, bleibt unerfüllt“, beklagt Meenakshi Ganguly, stellvertretende Asien-Direktorin bei Human Rights Watch. 

Veränderungen brauchen Zeit, meint dagegen Salehuddin Ahmed, der unter der Übergangsregierung das Finanzministerium leitet. „Nicht alle Reformen werden vor den Wahlen im Februar abgeschlossen sein“, räumt er ein. „Aber es gibt eine Absichtserklärung.“

Dennoch zweifeln die Menschen zunehmend daran, dass eine nicht gewählte Regierung eine Bürokratie reformieren kann, die in den letzten 15 Jahren systematisch von Regimeanhängern besetzt wurde. „Im Laufe von 15 Jahren der Herrschaft der AL [Awami League Party] sind alle Ministerien von AL-Anhängern geführt und verwaltet wurden“, erklärt Shireen Huq, Leiterin der Reformkommission für Frauenangelegenheiten. „Sie sind es, die jetzt nicht mit der Regierung von Yunus kooperieren und Reformen untergraben.“

Die Regierung schweigt bei Schikanen durch religiöse Hardliner

Darüber hinaus seien die Unterstützer der Übergangsregierung „von so vielen unterschiedlichen Kräften geprägt“, sagt Iftekharuzzaman von Transparency International. Das führt dazu, dass sie in vielen politischen Fragen einen Kurswechsel vollzogen und Entscheidungen rückgängig gemacht habe.  „Es ist ein sehr, sehr schwieriger Balanceakt.“ Insbesondere habe die Übergangsregierung „geschwiegen“, als Frauenrechtsgruppen und Minderheitengruppen wie die LGBTIQ+-Gemeinschaft zunehmend Schikanen durch religiöse Hardliner ausgesetzt waren, meint er. Dabei wird sie von vielen ehemaligen NGO-Führern und Menschenrechtsaktivisten angeführt, „die ihr ganzes Leben lang, wenn nicht aktiv beteiligt, so doch sehr stark mit dem Kampf für Gleichberechtigung von Frauen und verschiedenen Gemeinschaften solidarisch waren“, sagt er. „Und jetzt sind sie hier. Sie haben es einfach versäumt, eine klare Position zu beziehen.“

Unter Hasinas Regime waren religiöse Gemeinschaften strengen Repressionen ausgesetzt.  „Nach ihrem Sturz sind sie jetzt entfesselt“, sagt Muntasir Rahman, ein Menschenrechtsaktivist, der bei der Koordination der Proteste im letzten Jahr mitgeholfen hat. „Wir haben keine Institutionen mehr, die sich ihnen entgegenstellen können.“ Die Verwendung von Begriffen wie LGBTIQ+ oder „indigen“ sei für NGO-Mitarbeiter oder Menschenrechtsaktivisten gefährlich geworden, so Rahman. „Es ist, als könnte jederzeit ein Mob auftauchen. NGO-Aktivisten haben derzeit große Angst.“

Nachdem die Kommission für Frauenangelegenheiten ihren Bericht veröffentlicht hatte, wurden viele ihrer Mitglieder verbal angegriffen oder bedroht, sagt die Leiterin Shireen Huq. Am enttäuschendsten fand sie jedoch, dass sich unter den übrigen Kommissionsmitgliedern „niemand zu Wort gemeldet hat, auch nicht das Büro des Chefberaters“. Frauen im ganzen Land seien zunehmend besorgt, dass die Verbreitung einer rechtsgerichteten religiösen Ideologie zu einer Einschränkung der Frauenrechte führen könnte, so Huq.

Kürzung von ausländischen Geldern erschwert die Probleme

Zu Beginn Übergangsregierung hätten die Frauen große Hoffnungen gehegt: „Es ging nicht nur um die Befreiung von Autokratie und Kleptokratie, sondern auch um die Freiheit für Frauen, als gleichberechtigte Bürgerinnen behandelt zu werden, sich frei bewegen zu können und Meinungsfreiheit zu genießen“, sagt sie. Aber nach und nach sei diese Hoffnung „zerbröckelt“. Viele der Studentinnen, die maßgeblich an den Protesten im August vergangenes Jahr beteiligt waren, seien „sehr, sehr enttäuscht“, erzählt Huq. „Sie fragen sich, ob der Verlust so vieler junger Menschenleben es wert war.“ Rund 1400 Menschen starben dabei. 

Die Arbeit von Frauen- und LGBTIQ+-Rechtsgruppen wurde durch die Schließung der US-Agentur für internationale Entwicklung und eine allgemeine Kürzung der offiziellen Entwicklungshilfegelder von Ländern wie Großbritannien weiter bedroht. Aber auch humanitäre Organisationen etwa im Bereich Gesundheitsversorgung und Bildung sind betroffen.

Zivilgesellschaftliche Organisationen haben in Bangladesch, wo staatliche Dienstleistungen oft nicht verfügbar sind, seit jeher eine wichtige Rolle dabei gespielt, die „letzten Meilen” zu erreichen. Jetzt, wo die traditionellen bilateralen Finanzhilfen im Entwicklungssektor zurückgehen, bedarf es neuer Wege, um lokale Mittel zu mobilisieren und öffentlich-private Partnerschaften zu fördern, „damit die NGOs als aktive Partner der Regierung die abgelegensten Gemeinden erreichen können”, erklärt Asif Saleh, Geschäftsführer von BRAC Bangladesch, einer der weltweit größten Entwicklungsorganisationen. Eine finanzielle Unterstützung durch die Regierung scheint in naher Zukunft unwahrscheinlich, da die Kürzung der ausländischen Hilfen mit politischer und wirtschaftlicher Instabilität im Inland zusammenfällt.

Auch das Vertrauen der Investoren in die Wirtschaft, die bereits durch jahrzehntelange Korruption und eine der weltweit niedrigsten Steuerquoten geschwächt ist, ist beträchtlich gesunken. Nun prognostiziert die Weltbank, dass bis 2025 weitere drei Millionen Menschen in Bangladesch in Armut rutschen werden. Die Übergangsregierung wiederum ist aufgrund der geringen Inlandseinnahmen nicht in der Lage, den Bedarf an höheren Investitionen in Bereichen wie Gesundheit und Bildung zu decken, sagt Ahmed vom Finanzministerium. „Wir können nicht allen Geld geben, zumindest nicht in ausreichender Höhe.“

NGOs wurden rechtswidrig aus dem Register gestrichen

Eine weitere Schwierigkeit: Unter der Regierung Hasina mussten nichtstaatliche Organisationen, die auf ausländische Finanzmittel hofften, „äußerst komplizierte und politische“ Registrierungsverfahren durchlaufen, erklärt Saleh. Das machte es „für Graswurzelorganisationen sehr schwierig zu überleben“. Oftmals verlagerten sie darum den Schwerpunkt ihrer Arbeit, um sicherzustellen, dass sie politisch mit der Regierung übereinstimmten. Insbesondere menschenrechtsbasierte Gruppen waren eingeschränkt, einige von ihnen wurden sogar willkürlich aus dem Register gestrichen – darunter Odhikar, eine Menschenrechtsorganisation, die von Adilur Rahman Khan, einem Mitglied der Übergangsregierung, gegründet wurde.

Das NGO Affairs Bureau, das für die Registrierung, Überwachung und Regulierung von nichtstaatlichen Organisationen zuständig ist, überprüft derzeit Fälle von Streichungen unter der Regierung Hasina, sagt Generaldirektor Daud Miah. Die Löschung von Odhikar wurde letztes Jahr vom Obersten Gerichtshof für rechtswidrig erklärt.

Das dreijährige Gemeinschaftsprojekt „Institutional Strengthening for Promoting Accelerated Transformation” (ISPAT) mit dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen und der australischen Regierung zielt darauf ab, Dienstleistungen von nichtstaatlichen Organisationen zu verbessern und politische Reformen zu fördern. Das Projekt wird dem NGO Affairs Bureau helfen, „transparenter und schneller bei der Registrierung neuer NGOs zu sein und die Projekte zu prüfen, zu genehmigen und zu überwachen”, meint Miah.

Eine Kultur des gegenseitigen Misstrauens

Es wurden jedoch auch andere Vorschriften eingeführt, wie etwa Meldepflichten für Mikrofinanzinstitute, sagt Saleh von BRAC, die „den Sektor weitaus risikoscheuer machen könnten“. Eine Überregulierung berge auch die Gefahr, unter einer zukünftigen Regierung zu einem Instrument politischer Unterdrückung zu werden. „Ihre Absicht mag gut sein. Aber wenn Sie so drakonische Vorschriften haben, kann später jeder sie für seine eigenen politischen Zwecke nutzen“, sagt er. 

Gewisse Vorschriften seien erforderlich, um Korruption und den Missbrauch von Geldern zu verhindern, argumentiert hingegen Ahmed. „Es sollte ein Gleichgewicht herrschen. Natürlich sollte es keine Überregulierung und keine Einmischung geben“, sagt er. Aber „es mangelt an Transparenz und Rechenschaftspflicht auch auf ihrer Seite... NGOs sind keine Heiligen.“

Einige Organisationen behaupten, dass die Reformen des Registrierungsverfahrens in der Praxis nicht umgesetzt worden seien. Das NGO Affairs Bureau habe es oft versäumt, Anträge innerhalb der vorgeschriebenen Frist zu bearbeiten, und Beamte hätten wiederholt Bestechungsgelder verlangt, um die Arbeit abzuschließen, sagt Yasin Ali, Leiter einer LGBTIQ+-Rechteorganisation, deren Namen aus Angst vor künftigen Konsequenzen nicht genannt werden soll. Der Generaldirektor Miah bestreitet, von Bestechungsgeldern gewusst zu haben, und erklärt, dass die Behörde „wachsam gegenüber jeglicher Korruption und Unregelmäßigkeiten“ sei.

Alis Registrierungsantrag wurde abgelehnt, was bedeutet, dass seine Organisation derzeit keine ausländischen Gelder annehmen kann. Ihm wurde kein Grund für die Ablehnung genannt, aber er glaubt, dass dies daran liegt, dass sie sich die Rechte von LGBTIQ+ einsetzt.

Die Kultur des gegenseitigen Misstrauens zwischen gemeinnützigen Organisationen und der Regierung bleibt unverändert, da die Regierung keine klare Haltung zu politischen Maßnahmen eingenommen hat, meint Saleh. Iftekharuzzaman befürchtet ebenfalls, dass Bangladesch derzeit „die neue Chance verpasst, die Grundlage für eine Gesellschaft zu schaffen, die viel weniger diskriminierend ist als bisher“, sagt er. „Letztendlich können wir keine Veränderungen erwarten, wenn es uns nicht gelingt, Demokratie und demokratische Grundprinzipien auf nationaler Ebene wirklich zu institutionalisieren.“

Aus dem Englischen von Melanie Kräuter. 

Der Text ist zuerst auf Englisch bei Devex erschienen. 

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