„Ich wusste, dass es mich umbringen könnte, aber ich hatte keine andere Wahl“, sagt die 27-jährige Margarete. Sie lebt in Kibera, einer von Nairobis informellen Siedlungen, und hat ihre Schwangerschaft beendet, indem sie Bleichmittel geschluckt hat. Das hat zu langandauernden Blutungen geführt. Die Schmerzen in ihrem Unterleib sind unerträglich. Sie liegt zusammengerollt auf einem abgenutzten Sofa und starrt auf ein verblasstes Jesus-Poster an der Wand. Die Luft ist stickig, zu hören ist nur das leise Atmen ihrer Kinder, die neben ihr auf dem kalten Zementboden schlafen.
Wenige Tage zuvor hat sie Jik geschluckt, ein Bleichmittel, das als Wäscheweiß und Toilettenreiniger verwendet wird. „Ich hatte große Angst, aber für eine Abtreibung ins Krankenhaus zu gehen, ist zu teuer, und ich kann mich nicht um noch ein weiteres Kind kümmern“, sagt sie leise. Sie hat kein festes Einkommen, hält sich mit kleinen Jobs wie Wäschewaschen für Nachbarn über Wasser, und die Väter ihrer Kinder sind weg – da lassen sich Tausende von Schilling für eine sichere Abtreibung in einer Klinik unmöglich aufbringen. „Hier in Kibera sind die meisten Frauen allein. Die Männer übernehmen keine Verantwortung – sie verschwinden, sobald sie erfahren, dass eine Frau schwanger ist“, sagt Margarete.
Verhütung wird stigmatisiert
Ihre Geschichte ist leider kein Einzelfall. Unsichere Abtreibungen zählen nach wie vor zu den Hauptursachen für schwere Erkrankungen und Müttersterblichkeit in Kenia, besonders in den informellen Siedlungen von Nairobi. Laut einer nationalen Studie des African Population and Health Research Center ist die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche von etwa 464.000 im Jahr 2012 auf fast 800.000 im Jahr 2023 gestiegen; die tatsächliche Zahl dürfte noch höher liegen, da viele Frauen ihre Schwangerschaften nie offenlegen.
Ein Hauptgrund des Anstiegs ist, dass ungewollte Schwangerschaften nach wie vor weit verbreitet sind. Viele Frauen möchten verhüten, aber Verhütungsmittel sind teuer und nicht immer verfügbar, zudem ist oft der Partner gegen Verhütung beziehungsweise ist Verhütung generell stigmatisiert. Armut verschlimmert das Problem. Manche Frauen sind auf Sexarbeit oder Austausch von Geschlechtsverkehr gegen Geschenke angewiesen, um zu überleben, was das Risiko ungeplanter Schwangerschaften erhöht. Möglich ist auch, dass heute mehr Frauen nach einer Abtreibung zur Nachsorge in ein Gesundheitszentrum kommen, so dass ein größerer Teil der Abbrüche bekannt wird als früher.
Insgesamt verwenden heute mehr Frauen Abtreibungspillen aus der Apotheke ohne ärztliche Überwachung. Andere benutzen giftige Substanzen oder lassen Eingriffe informell durchführen. Laut einem lokalen Arzt, der anonym bleiben möchte, leiden Frauen, die solch eine unsichere Abtreibung überleben, oft an schweren Komplikationen wie Blutungen, Infektionen wie einer Sepsis oder an dauerhafter Unfruchtbarkeit.
Weltweit sind nach Schätzungen der WHO etwa 45 Prozent aller Schwangerschaftsabbrüche unsicher. Sie sind eine der Hauptursachen für vermeidbare Todesfälle und Erkrankungen von Müttern, besonders oft in Subsahara-Afrika.
NGO hat 150.000 unsichere Abtreibungen verhindert
Marie Stopes Reproductive Choices Kenya ist eine der größten NGOs, die in dem Land Dienstleistungen im Bereich sexuelle und reproduktive Gesundheit anbietet, darunter sichere Abtreibungen. Die Organisation gibt an, allein im Jahr 2024 über 150.000 unsichere Abtreibungen verhindert zu haben. Viele Frauen, mit denen wir in Kibera gesprochen haben, sagen jedoch, dass diese Dienste nunmehr nicht mehr zugänglich sind – teils wegen der drastischen Kürzungen der US-Hilfe.
Lucy hat zwei Kinder und jahrelange häusliche Gewalt erlitten. Sie erinnert sich schmerzlich an ihre erste Abtreibung als Teenagerin. „Die Frau bat mich, die Beine zu spreizen, sprach ein Gebet und schob dann einen angespitzten Stock durch einen dünnen Schlauch in meine Gebärmutter. Ich schrie vor Schmerz.“ Der Eingriff schlug zunächst fehl und verursachte schwere Komplikationen. Da Lucy jedoch weder Geld noch Unterstützung hatte, unterzog sie sich seitdem drei weiteren unsicheren Schwangerschaftsabbrüchen ähnlicher Art. „Hier gibt es keine sicheren Abtreibungen. Es ist immer ein Risiko. Aber wenn man kein Geld hat, welche Wahl hat man dann?“, fragt sie, und ihre Stimme bricht.
Frauen trinken Tee mit Bleichmittel
In einem anderen Teil von Kibera empfängt Hajarah (Name geändert) heimlich Frauen. Sie hat von ihrer Großmutter in Indien verschiedene Abtreibungsmethoden gelernt. Bei Schwangerschaften in einem frühen Stadium kocht sie Aloe-Vera-Blätter. Bei späteren Stadien mischt sie starken Tee mit Bleichmittel. Vor Ort ist sie als Quacksalberin bekannt, als medizinische Praktikerin ohne Ausbildung.
Für ihre Dienste verlangt sie 2000 bis 4000 Schilling (13 bis 26 Euro) je nachdem, wie weit die Schwangerschaft fortgeschritten ist: je weiter fortgeschritten, desto höher der Preis. Für viele Frauen entsprechen die Summen dem Einkommen mehrerer Arbeitswochen. Sie werden unmittelbar danach nach Hause geschickt und sind auf sich allein gestellt, wenn es zu starken Blutungen kommt. Dennoch gelten Hajarahs Dienste als erschwinglich: Mehrere Frauen sagen, dass ein Eingriff im Krankenhaus mehr als 25.000 Schilling (160 Euro) kosten kann. Und sie fühlen sich bei Hajarah sicherer, denn deren Haus kann man diskret aufsuchen – das Risiko, von den Nachbarn oder den Behörden entdeckt zu werden, ist gering.
„In den Augen der Behörden sind wir Mörderinnen, aber ich sehe meine Arbeit als Dienst an der Gemeinschaft. Ich helfe Frauen, die keine andere Möglichkeit haben“, sagt Hajarah. Sie begräbt die abgetriebenen Föten auf einem versteckten Grundstück in der Nähe. In Kibera gibt es keine Beerdigungen oder öffentliche Rituale für diese Kinder, erklärt sie. Das Schweigen ist Teil des Stigmas – die Trauer wird verborgen, als würde die Anerkennung des Verlustes bei den Frauen Scham erzeugen oder sie Strafen aussetzen.
Vom Trauma zum Aktivismus
Wir treffen Editar Ochieng, Menschenrechtsaktivistin und Gründerin eines Frauennetzwerks in Kibera, auf einer staubigen Straße in der Gegend. Sie ist von Kindern umringt, die sie begeistert begrüßen. Sie beugt sich zu ihnen hinunter und spricht mit ihnen über Gewalt und Respekt. Ochieng ist hier bekannt; man weiß, sie hört zu, wo andere sich abwenden. Als Teenagerin wurde sie vergewaltigt. Das Trauma hat sie später in Aktivismus gewendet: Erst dokumentierte sie geschlechtsspezifische Gewalt, dann begann sich das Recht auf sichere Abtreibung zu kämpfen.
„Frauenkörper sind ein Geschäft“, sagt sie und verweist darauf, dass unsichere Abtreibungen in Kibera eine Untergrundindustrie geworden sind, in der Quacksalber von verzweifelten Frauen für gefährliche Eingriffe Geld nehmen. „Auch Religionsführer bezahlen für heimliche Abtreibungen, wenn sie Mädchen schwängern. Dieselben Männer predigen sonntags gegen Abtreibung“, sagt Ochieng.
Zwar verdienen auch Frauen wie Hajarah mit Schwangerschaftsabbrüchen Geld, doch die meisten illegalen Abtreibungen in Kibera bieten laut Ochieng Männer an. Sie behandeln bis zu sieben Frauen pro Tag. „Unsichere Abtreibungen kommen Männern zugute. Es ist eine Industrie, die auf der Verzweiflung von Frauen beruht.“
Widersprüchliche Gesetze zur Abtreibung
Ochieng weist auch darauf hin, dass widersprüchliche Gesetze in Kenia die Gefahr noch vergrößern. Die Verfassung erlaubt Abtreibungen, wenn das Leben oder die Gesundheit einer Frau in Gefahr ist. Das Strafgesetzbuch aus der Kolonialzeit erklärt Abtreibungen, die diese Bedingungen nicht erfüllen, jedoch weiterhin zur Straftat und sieht Freiheitsstrafen von bis zu 14 Jahren für den Ausführenden und bis zu sieben Jahren für Frauen vor, die eine Abtreibung vornehmen lassen. Laut Gesetz dürfen Krankenhäuser in Kenia Abtreibungen nur durchführen, wenn ausgebildetes Gesundheitspersonal feststellt, dass das Leben oder die Gesundheit der Frau in Gefahr ist oder wenn ein anderes Gesetz es erlaubt. Jede andere Abtreibung ist eine Straftat.
Autorin
Leben mit Trauer, Stillschweigen und Angst
Nancy Anyango, die ebenfalls in Kibera aufgewachsen ist, betreibt heute einen kleinen Friseursalon am Stadtrand von Nairobi. Ein schmaler Durchgang, der von der Hauptstraße abzweigt, führt zu ihrem Laden, dessen Wände mit bunten Plakaten mit Aufschriften wie „Women Power” (Frauen-Power) und „Women Must Lead” (Frauen müssen führen) beklebt sind. Während Haare zu Zöpfen geflochten und geföhnt werden, unterhalten sich hier Frauen flüsternd über Gewalt, Sex und Abtreibung. Für Nancy ist der Salon mehr als nur ein Arbeitsplatz. Er ist ein sicherer Ort.
Sie erinnert ihre eigene Kindheit in Kibera als einen ständigen Kampf. „Es war schwer, in dieser Umgebung ein Mädchen zu sein. Ich möchte, dass diejenigen, die heute dort aufwachsen, Chancen haben und Stärke besitzen, die ich nicht hatte“, sagt sie. Ihren Friseursalon hat sie nie nur wegen des Geldes geführt. Er ist vielmehr zu ihrem Weg geworden, Gespräche anzustoßen, die in der Öffentlichkeit erstickt werden. Sie klärt Mädchen über ihre Rechte auf, über Verhütung und darüber, wie sie Missbrauch erkennen. „Ich kann kein Geld und auch keine praktische Hilfe anbieten, aber ich kann Wissen vermitteln, und das kann den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten“, sagt sie. Für viele Frauen ist Nancy nicht nur Friseurin, sondern auch Mentorin und Vertraute – und manchmal die einzige Person, die es wagt, laut zu sagen, was sie durchmachen.
Margarete leidet in ihrem kleinen Zuhause immer noch unter Unterleibsschmerzen. Während sie ihren Kindern beim Spielen im Staub draußen zusieht, sinniert sie: „Wenn ich an jenem Tag gestorben wäre, hätte niemand gewusst, warum. Man hätte mich einfach hier gefunden, mit meinen Kindern. So ist unser Leben – in Stillschweigen und Angst.“ Solange sichere Angebote für Abtreibungen nicht wirklich zugänglich sind, wird das Schweigen, von dem Margarete spricht, die Stimmen der Frauen, ihre Trauer und allzu oft auch ihre Körper begraben.
Einige Namen wurden geändert. Die Behörden haben auf Bitten um Stellungnahme nicht reagiert.
Aus dem Englischen von Anja Ruf.
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