Auf eigene Rechnung

Seit gut einem Jahr dürfen sich Kubaner mit kleinen Geschäften selbstständig machen – das ist Teil der umfassenden Wirtschaftsreformen, die die kommunistische Führung des Landes beschlossen hat. 350.000 solcher Betriebe soll es landesweit inzwischen geben, doch ob sie überlebensfähig sind, muss sich noch zeigen. Viel wichtiger wäre es, die Produktivität etwa in der Landwirtschaft zu erhöhen.

Maria und Jesús sind optimistisch. Das Geschwisterpaar mit den biblischen Namen betreibt in seiner Parterrewohnung in der kubanischen Hauptstadt Havanna einen Laden „auf eigene Rechnung“. Seit die Regierung die „cuenta propia“ vor einem Jahr als Instrument zur Bewältigung der Wirtschaftskrise wiederentdeckt hat und großzügig Lizenzen verteilt, schießen solche privaten Geschäfte wie Pilze aus dem Boden: Landauf, landab werden nun belegte Brötchen, Pizzas oder selbstgebrannte CDs feilgeboten. Meist sind es Einmann-Betriebe; manche von ihnen dürfen aber auch Personal anstellen, das nicht aus der Familie kommt. All das ist neu und soll dazu beitragen, die marode Wirtschaft in dem Karibikstaat anzukurbeln.

Autor

Robert Lessmann

ist promovierter Politologe und Soziologe. Im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung hat er in den 1990er Jahren eine Reihe von Studien zu den Wirtschaftsreformen in Kuba geschrieben.

Die Geschwister haben eine Lizenz für den Verkauf von Haushaltsbedarf – und der ist groß. Die Bausubstanz der Häuser ist schlecht, zu reparieren gibt es immer etwas. Ihr Warenangebot haben sie auf einem kleinen Tisch in der Tür zum zementverputzten Wohnzimmer drapiert, das eher an einen Handwerker-Flohmarkt erinnert. Es reicht von Schrauben und Muttern, Nägeln, Elektrokabeln, Klebeband und einem Stück Gartenschlauch über Plastikbecher bis hin zu Kämmen und Haarbürsten. Für die Lizenz zahlen sie eine fixe Abgabe von 160 Pesos (rund fünf Euro) im Monat. Zum Vergleich: Der monatliche Mindestlohn in Kuba liegt bei 225 Pesos (rund 7 Euro).

Doch die Nachfrage ist gut: Innerhalb von 20 Minuten kommen fünf Kunden vorbei. Der geschwisterliche Mini-Baumarkt versorgt sich seinerseits über den Schwarzmarkt. Großmärkte, auf denen sich die Jungunternehmer mit ihrem Sortiment eindecken können, gibt es (noch) nicht. Über die Notwendigkeit, solche zu schaffen, wird in der Regierung, aber auch in der Bevölkerung diskutiert. Der Gründerboom ist so groß, dass zurzeit für den Stadtteil Alt-Havanna, in dem Maria und Jesús ihren Laden haben, keine neuen Lizenzen mehr erteilt werden, berichtet Jesús: „Für andere Stadtteile und Städte aber schon.“

Knapp an der Hungersnot vorbeigeschrammt

Die „Arbeit auf eigene Rechnung“ ist keine neue Idee. Das Gesetz stammt aus dem Jahr 1978, doch wirklich aktiviert wurde es erst mit der Wirtschaftskrise Anfang der 1990er Jahre. 1993 weitete die Regierung die Zahl der Professionen, die eine Lizenz beantragen können, auf 117 aus. Doch sie verteilte die Lizenzen restriktiv und behinderte durch hohe Abgaben die Eigeninitiative. Ein großer Teil der neuen Kleinunternehmer gab schon nach kurzer Zeit wieder auf. Als die schlimmsten Folgen der Wirtschaftskrise überstanden waren, legte Raúl Castro mit einer Rede auf dem 5. Plenum des Politbüros im März 1996 den ganzen Reformprozess wieder auf Eis.

Nach Jahren der wirtschaftlichen Erholung auf niedrigem Niveau wurde Kuba im Jahr 2008 von drei schweren Hurrikans getroffen. Die Weltfinanzkrise führte zu Einbrüchen beim Tourismus und die Exporteinnahmen gingen von 2008 auf 2009 um 38 Prozent zurück. Im Jahr 2008 hatten sie bei 2,4 Milliarden US-Dollar gelegen– zugleich muss die Insel jährlich 1,5 Milliarden für Nahrungsmittelimporte ausgeben. 2009 dürften die Kubaner nur knapp an einer Hungersnot vorbeigeschrammt sein. Staatschef Raúl Castro erklärte Reformen zur Überlebensfrage. Der Parteitag der Kommunistischen Partei Kubas beschloss im April 2011, dass sich der Staat mehr zurücknehmen solle, vor allem aber soll Geld gespart werden. Dafür sollen unter anderem innerhalb von drei Jahren 1,3 Millionen Staatsbedienstete entlassen werden; jeder vierte Arbeitsplatz soll wegfallen, zehn Prozent der Bevölkerung verlören ihren Job. Für sie ist das neue Geschäftsmodell „auf eigene Rechnung“ gedacht.

Inzwischen soll es 350.000„cuenta propia“-Betriebe geben. Wer etwa vom Stadtteil Vedado Richtung Alt-Havanna spaziert, wird über die vielen offenen Fenster staunen, aus denen das Pflänzchen der „cuenta propia“ wieder blüht. Verkauft werden Pizzas, Brötchen, andere Lebensmittel und Getränke, Kleider und Haushaltswaren. Auch kleinere Reparaturbetriebe haben sich dort angesiedelt. Das gilt nicht nur für Havanna. Es ist aber eher unwahrscheinlich, dass all diese Geschäfte überlebensfähig sind.

Bereits mehr Kult als Geheimtipp ist die Calle Hamel, eine Gasse, die mit farbigen Wandmalereien und pfiffigen Müllskulpturen lockt. Mit Ateliers und Galerien hat sich hier eine afro-kubanische Künstlerszene etabliert, die künstlerisch den Orishas, den Heiligen der Santeria, huldigt und Lesungen, Konzerte sowie Theateraufführungen organisiert. Mittendrin befindet sich das privat betriebene Restaurant „El Barracón“(Die Baracke), ein sogenannter Paladar. Paladares wurden ebenfalls in der ersten Hälfte der 1990er Jahre zugelassen. Gegenüber den häufig lieblos geführten staatlichen Etablissements schlugen sie so gut ein, dass ihre Kapazität schon nach kurzer Zeit auf zwölf Stühle begrenzt wurde. Das Castro-Regime wollte die Herausbildung einer neuen Bourgeoisie verhindern.

Hätte sich der Staat bereits damals Gedanken über eine progressive Besteuerung gemacht, wäre er jetzt besser gerüstet und den Menschen wäre einiges erspart geblieben. Doch nach dem Zusammenbruch der Außenhandelsbeziehungen mit dem Ostblock 1989 hatte man vier Jahre mit Reformen gewartet, bis die akute Zahlungsunfähigkeit drohte und die Bevölkerung bittere Not leiden musste. Daher wurden im Juli 1993 der Devisenbesitz legalisiert und die zulässigen Familienüberweisungen von Exilkubanern auf 300 US-Dollar pro Monat pro Familie ausgeweitet – während ein Durchschnittsver-dienst auf dem Schwarzmarkt nur noch zwei US-Dollar entsprach. Seitdem ist der kubanische Peso mehr und mehr zur symbolischen Währung geworden. Die Gesellschaft ist tief gespalten in Devisenbesitzer und Menschen ohne Zugang zu ausländischer Währung. Inzwischen liegen die zulässigen Familienüberweisungen bei 300 US-Dollar im Vierteljahr, das Verhältnis Peso zu US-Dollar hat sich bei etwa 25 zu 1 eingependelt.

Doch die Paladares florierten selbst in einem Klima bürokratischer Gängelungen. Ungeliebt und halbherzig durchgesetzt, führten die Reformen der 1990er Jahre zu zahlreichen Regelverstößen und einer Wirtschaft in der Grauzone. Einige Restaurants wurden zu teuren Kultgaststätten, in denen auch politische Prominenz verkehrte. Dort saß man bei Bedarf auch gerne auf mehr als zwölf Stühlen, während die Besitzer anderer Restaurants in den Knast wanderten, weil sie verbotenerweise Meeresfrüchte anboten. Einer Paladar-Besitzerin auf dem Malecón wurde die Lizenz entzogen, weil sie in einer Zeit der Hochkonjunktur während der Exportmesse Expocuba eine Nachbarin unangemeldet bei sich hatte putzen lassen. Die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern verdiente sich danach ihr Geld als Gelegenheitsprostituierte. Glaubt man dem Besitzer der „Baracke“ aus der Calle Hamel, so ist all das Vergangenheit. Über staatliche Reglementierungen kann oder will er nicht klagen. Sein einziges Bestreben scheint zu sein, die mittlerweile 20 Stühle seines Lokals zu besetzen. Auch staatliche Restaurants werben angesichts der agilen Konkurrenz neuerdings mit Stelltafeln und Spezialofferten.

Vor allem in der Landwirtschaft muss mehr produziert werden

Auf dem Weg durch Havannas Stadtzentrum Richtung Capitol fallen neben den vielen neuen Geschäften und Paladares auch die Privatunterkünfte auf, die mit einem umgedrehten Anker gekennzeichnet sind: rot für die einheimischen Peso-Kunden, blau für Devisenbesitzer. Im Gegensatz zu Alt-Havanna, das als UNESCO-Weltkulturerbe geschützt ist und seit 20 Jahren saniert wird, hatte das benachbarte Centro Habana lange Zeit den Eindruck vermittelt, gegen den baulichen Verfall helfe nur noch die Abrissbirne. Nun sind viele Fenster und Türen erneuert, Fassaden frisch gestrichen. Investitionen, die von Zuversicht künden, auch wenn das kaum jemand so sagen mag.

Einsparungen und die neuen Unternehmen allein werden Kubas Wirtschaft allerdings nicht retten können. Es muss mehr produziert werden, vor allem in der Landwirtschaft. Der Inselstaat importiert 80 Prozent seiner Lebensmittel. Zugleich lag bis vor zwei Jahren die Hälfte der staatlichen Ländereien brach. Ein Drittel davon wurde inzwischen an private Kleinbauern verpachtet. Luis war einer von ihnen – aber er ist wieder ausgestiegen. „Eine Pacht auf zehn Jahre ist zu kurz für Investitionen in das Land“, sagt er. Die Preise, zu denen 80 Prozent der Ernte an den Staat abgeführt werden müssen, seien lächerlich niedrig. So lebt er mit seiner Familie im fruchtbaren und wasserreichen Osten des Landes als Subsistenzbauer von der Hand in den Mund und verdient sich als informeller Fremdenführer etwas dazu: „Fünf Dollar Trinkgeld am Vormittag gibt es allemal.“ Das ist mehr als ein halber Mindestlohn in Pesos.

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erschienen in Ausgabe 7 / 2012: Konzerne: Profit ohne Grenzen
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