Das Geschäft mit dem Essen

Die Preise für Nahrungsmittel schwanken seit einigen Jahren stark. Das Angebot ist knapper, weil Energiepflanzen immer mehr Anbauflächen beanspruchen und extremes Wetter zu Ernteeinbußen führt. Darüber hinaus treibt die Spekulation die Preise in die Höhe. Vieles davon könnte die Politik in den Griff bekommen – wenn sie denn wollte.
Die Preise für Lebensmittel bewegen sich seit Jahren vor allem in eine Richtung: nach oben. Im Juli 2011 etwa hatte sich laut Angaben der Weltbank Mais um 84 Prozent gegenüber dem Vorjahr verteuert, Zucker war 61 Prozent teurer, Weizen 50 Prozent und Sojaöl 47 Prozent. Die Entwicklung nahm 2007 ihren Anfang.
 
Nach Jahrzehnten relativer Stabilität begannen die Weltmarktpreise für die wichtigsten Getreidesorten zu klettern. In den ersten Monaten des Jahres 2008 verdoppelten sie sich sogar. Innerhalb eines Jahres stiegen die Preise für Weizen um 150 Prozent: Brot wurde doppelt so teuer. Gleichzeitig verteuerte der hohe Ölpreis die Transportkosten und die Preise für Fertigwaren. 2010 war auf den Weltmärkten ein erneuter Preisanstieg für Nahrungsmittel zu verzeichnen. So schoss der Preis für Weizen im Lauf des Sommers um mehr als die Hälfte in die Höhe. Über die Ursachen der Volatilität der Nahrungsmittelmärkte streiten Experten, politische Entscheidungsträger und Aktivisten. Ohne die Ursachen zu kennen, lassen sich jedoch keine geeigneten Maßnahmen ergreifen, die Folgen der starken Preisschwankungen für die Armen abzumildern.

Autor

Frederic Mousseau

ist Direktor am Oakland Institute in Kalifornien. Der Ökonom hat zuvor fast 20 Jahre für internationale Organisationen wie Action Against Hunger, Ärzte ohne Grenzen und Oxfam gearbeitet.

Eine Reihe langfristiger Trends haben das Wachstum der Nahrungsmittelproduktion in den vergangenen beiden Jahrzehnten gedämpft. Die Nahrungsmittelvorräte weltweit gingen zurück. Zwischen 1970 und 1990 stieg die Gesamtproduktion von Getreide und Ölsamen jedes Jahr um durchschnittlich 2,2 Prozent. Seit 1990 sind es nur noch 1,3 Prozent. Erklären lässt sich das damit, dass Regierungen tendenziell immer weniger in die Landwirtschaft investieren – sowohl finanziell als auch in Form einer angemessenen Agrarpolitik. Außerdem geben Regierungen und internationale Institutionen weniger Geld für Forschung und Entwicklung aus als früher.

Hinzu kommen die Degradierung von Böden, Wasserknappheit und die Folgen des Klimawandels. Jahr für Jahr gehen 5 bis 10 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche verloren, weil Wasser fehlt. Das entspricht etwa der Fläche von Österreich. Widrige Wetterverhältnisse in einigen der wichtigsten Anbaugebiete für Getreide und Ölsamen, wie Australien, der Europäischen Union (EU) und der Ukraine, haben mit dafür gesorgt, dass die Produktion in den Jahren 2006 und 2007 zurückging. 2010 litten Russland und andere wichtige Getreideproduzenten aus der ehemaligen Sowjetunion unter Waldbränden und schlechten Ernten. Dies entzog dem Weltmarkt einen Teil der üblichen Getreidemengen. Dürren und Überschwemmungen infolge des Klimawandels werden sich voraussichtlich weiter häufen und sich negativ auf die landwirtschaftliche Produktion und die Nahrungsmittelversorgung in Entwicklungsländern auswirken.

Es geht aber nicht allein um die Produktion. Zugleich ist zu beachten, dass sich ein sehr großer Anteil des internationalen Exports von Mais, Reis oder Weizen auf einige wenige Länder konzentriert. So summieren sich die Mais-Ausfuhren der USA, Argentiniens und Brasiliens auf 90 Prozent der weltweiten Exporte. Thailand, Vietnam, die USA, Pakistan und Indien exportieren gemeinsam 80 Prozent der globalen Reisproduktion. Und 74 Prozent der weltweiten Weizen-Ausfuhren bestreiten die USA, Kanada, Russland, Argentinien und die EU. Jede klimabedingte Störung der Produktion oder eine Änderung der Politik dieser führenden Getreideexportländer kann sich erheblich auf die Weltmärkte auswirken.

Mit der Produktion sinken die Bestände. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO schätzt, dass die weltweiten Getreidebestände Ende 2008 mit 418 Millionen Tonnen auf das niedrigste Niveau seit 1982 gefallen waren. Bei Weizen schrumpften die Vorräte 2008 auf 147 Millionen Tonnen, den niedrigsten Stand seit 1977. In den folgenden beiden Jahren erholten sich die Bestände leicht, doch laut Schätzungen sind sie in diesem Jahr wieder zurückgegangen. Geringe Bestände und hohe Preise bedrohen die Nahrungsmittelversorgung vieler Länder, die auf Importe angewiesen sind. Einige Regierungen reagierten mit dem Anlegen von Beständen, Exportbeschränkungen oder einem Ansturm auf die internationalen Nahrungsmittelmärkte. Das trieb die Preise noch mehr in die Höhe.

Gleiches gilt für den Boom der Agrotreibstoffe. Die Verknüpfung von Nahrung und Energie hat drei Phasen durchlaufen. Zunächst haben sich in den vergangenen Jahrzehnten die Preise für beides zunehmend aneinander gekoppelt. Ursache ist die Verwendung fossiler Brennstoffe für die Nahrungsmittelproduktion (Düngemittel und Bewässerung) sowie für den Transport. Laut dem US-Landwirtschaftsministerium führte die Verdoppelung der Preise etwa für Düngemittel und Benzin zwischen 2002 und 2007 zu einem Anstieg der Produktionskosten für Mais, Sojabohnen und Weizen um 21,7 Prozent. Die Exportpreise für Nahrungsmittel erhöhten sich im gleichen Zeitraum um 15 bis 20 Prozent.

Im vergangenen Jahrzehnt stieg die Nachfrage nach grobkörnigem Getreide wie Mais aufgrund der Produktion von Agrotreibstoffen in den USA und in der EU steil an. Der hohe Ölpreis sowie Sorgen um die Sicherheit der Energieversorgung und den Klimawandel haben dazu geführt, dass Washington und Brüssel die Verwendung von Agrotreibstoffen als Ergänzung zu fossilen Brennstoffen systematisch fördern. Die Politik unterstützt zudem die Produktion von Agrotreibstoffen mit Subventionen, Importzöllen und umfangreichen Aufträgen.

Selbst Länder wie Äthiopien und Mali konnten sich dem Trend der Agrobrennstoffe nicht entziehen

Die USA haben 2007 in einem neuen Energiegesetz die Zielvorgabe für die Produktion von Agrotreibstoffen bis 2022 auf 132,40 Milliarden Liter verfünffacht. Und die EU will, dass Agrotreibstoffe bis zum Jahr 2020 einen Anteil von zehn Prozent am Benzin- und Dieselverbrauch in Europa haben. Sie ist der größte Biodiesel-Produzent weltweit und hat 2005 damit begonnen, die Produktion zu steigern. In den USA machte die Ethanol-Produktion von 2005 bis 2009 einen Sprung von 3,79 Milliarden auf 34,1 Milliarden Liter. Von 1980 bis 2002 stieg die Maismenge, die in den USA zur Herstellung von Ethanol verwendet wurde, um 24 Millionen Tonnen. Bis 2007 wuchs sie nochmals um 53 Millionen Tonnen. Die Bestände an Mais gingen zurück und die Preise kletterten.

Zugleich sank die Produktion anderer Agrargüter. So wurden in den USA im Jahr 2007 zwölf Prozent weniger Reis angebaut als 2006, nachdem 16 Prozent des Landes, auf dem zuvor Reis angebaut wurde, für die Maisproduktion umgewidmet worden war. Der Ausbau der Biodiesel-Produktion in der EU hat dazu geführt, dass auf Land, das bisher dem Weizenanbau gedient hat, nun Ölsamen wachsen. Die Zunahme der Weizenproduktion hat sich verlangsamt. Die acht größten Weizenexporteure der Welt haben die Fläche für den Anbau von Raps und Sonnenblumen von 2001 bis 2007 um 36 Prozent ausgeweitet, die Anbaufläche für Weizen ging um 1 Prozent zurück.

Die dritte Phase im Verhältnis zwischen Öl und Nahrung begann 2007/2008, als in den Entwicklungsländern der Anbau von Energiepflanzen zunahm, angeregt vom Wachstum der Agrobrennstoff-Industrie und den Zielvorgaben in den reichen Ländern. Selbst Länder wie Äthiopien und Mali, deren Bevölkerung nur schlecht mit Nahrungsmitteln versorgt ist, konnten sich dem Trend nicht entziehen. Das gibt Anlass zu größter Sorge im Blick auf die Ernährungssicherheit. Kleinbauern und Viehhaltern werden Land und Wasser genommen. Zugleich werden arme Länder zunehmend abhängig von Nahrungsmittelimporten.

Die Preise für Nahrungsmittel werden aber auch durch Spekulation künstlich in die Höhe getrieben. Die herkömmliche Spekulation mit Agrarprodukten läuft über sogenannte Terminverträge. Diese sollen die Einkünfte von Landwirten stabilisieren. Sie können ihre Ernten vorab verkaufen und unterliegen somit nur in begrenztem Umfang den Preisschwankungen am Markt. Der Terminvertrag bietet ihnen eine Art Versicherung: Sie können investieren, während der Ertrag ihrer Investition garantiert ist. In einem Terminvertrag werden Mengen, Preise und Lieferzeitpunkte festgelegt – manchmal sogar schon, bevor die Agrarprodukte überhaupt gepflanzt wurden. Da Nahrungsmittelhändler normalerweise kaufen, wenn die Preise niedrig sind, und verkaufen, wenn sie hoch sind, sorgen sie dafür, dass die Preise weniger schwanken. Diese herkömmliche Spekulation im Agrarsektor ist also durchaus normal und gesund: Alle beteiligten Akteure – auch die Landwirte selbst – spekulieren auf die Produktion und die Marktlage in der Zukunft.

Die Deregulierung der Finanzmärkte hat Terminverträge jedoch zu einem Instrument gemacht, das Instabilität verursacht. In einem Bericht des World Development Movement von 2010 heißt es, „die Deregulierung seit dem Jahr 2000 hat Marktteilnehmer zu hyperspekulativen Aktivitäten ermuntert. Dabei besteht kein Interesse an den realen Produkten, die gehandelt werden. (…) Banken wie Goldman Sachs haben sich Index-Fonds ausgedacht, die institutionellen Anlegern die Möglichkeit bieten, in die Preise von Nahrungsmitteln zu ,investieren‘, so als handele es sich um einen Anlagegegenstand wie Aktien. (…) Diese Index-Fonds auf Agrarprodukte haben sich seither zum wichtigsten Vehikel für Spekulation an den Nahrungsmittelmärkten entwickelt.“

Die reichen Länder profitieren von hohen Preisen auf den Weltmärkten

All das zeigt, dass es für die Volatilität der Preise nicht eine einzige Ursache gibt. Vielmehr sind verschiedene Faktoren miteinander verflochten. Sie verstärken sich gegenseitig, wenn sich die Märkte erhitzen. Spekulanten können zum Beispiel auf eine Missernte in einem für die Nahrungsmittelproduktion wichtigen Land reagieren und mit ihren Geschäften für Preisfluktuationen sorgen, die viel größer sind, als wenn der Markt nur auf das reduzierte Angebot reagiert hätte. In ähnlicher Weise können erste Signale einer anstehenden Preiserhöhung auf dem Weltmarkt ein Land – seine Regierung oder private Händler – zu Käufen veranlassen, um sich zu einem niedrigen Preis Vorräte zu sichern, was wiederum die Inflation anheizen würde.

Mehrere der genannten Faktoren, die Volatilität auslösen, lassen sich mit geeigneten Maßnahmen und einer entsprechenden Politik in den Griff bekommen. Die Steigerung der Nahrungsmittelproduktion und der Bestände, auch mit internationaler Hilfe für Entwicklungsländer, dürfte den Druck auf die globalen Nahrungsmittelmärkte verringern. Die Regulierung der Finanzmärkte sowie Beschränkungen für bestimmte Finanzprodukte könnten die Spekulation begrenzen. Reiche Länder wie die USA und die EU könnten ihre Subventionen und ihre Zielvorgaben für die Produktion und den Einsatz von Agrotreibstoffen streichen und so deren Ausbreitung verlangsamen.

Allerdings wird die Volatilität der Preise von den mächtigsten Kräften angetrieben, die in der globalisierten Welt am Werk sind: dem Streben der Indu-strieländer nach einer sicheren Energieversorgung, der politischen Instabilität in einer Reihe von Erdöl exportierenden Ländern, der Profitorientierung von Unternehmen aus dem Finanzsektor und den Unwägbarkeiten des Wetters, die Folge des Klimawandels sind. Ferner sind die reichen Länder die Hauptexporteure von Getreide und profitieren von den hohen Nahrungsmittelpreisen auf den Weltmärkten.

Selbst wenn es einen politischen Willen der Regierungen der reichen Länder gäbe, ist es unwahrscheinlich, dass alle Faktoren für Preisschwankungen auf kurze Sicht effektiv und gleichzeitig angegangen werden können. Die Volatilität der Weltmarktpreise für Nahrungsmittel wird uns wohl weiter begleiten, auch wenn es Phasen der Stabilität geben dürfte. Keine Regierung kann sich heutzutage sicher sein, dass der Weltmarkt künftig zu jedem Zeitpunkt ein ausreichendes Angebot an Nahrungsmitteln zu bezahlbaren Preisen für ihre Bevölkerung bereitstellt. Darauf müsse sich alle Regierungen und internationalen Institutionen einrichten, die für eine sichere Nahrungsmittelversorgung und gegen die Armut kämpfen.

Aus dem Englischen von Bernd Stößel

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erschienen in Ausgabe 9 / 2011: Rüstung: Begehrtes Mordgerät
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