Keine Gnade im Kampf gegen Drogen

In Südostasien ist der Glaube an die Härte des Gesetzes im Kampf gegen Heroin und Cannabis ungebrochen. Kleindealer müssen die Todesstrafe fürchten, während Süchtige in „Rehabilitationszentren“ unter militärischer Aufsicht vor sich hin vegetieren.

Führende Politiker in Südostasien haben versprochen, die Region bis 2015 mit Hilfe von verschärften Kontrollen und Strafverfolgung drogenfrei zu machen. Sie befinden sich damit im Widerspruch zu der internationalen Tendenz, den Konsum von Drogen zu entkriminalisieren und die Drogensucht in die Verantwortung der Gesundheitspolitik zu überführen. Michel Kazatchkine, Mitglied der hochrangigen Globalen Kommission zur Drogenpolitik, bezeichnete den Krieg gegen die Drogen im vergangenen Jahr bei einer Konferenz in Bangkok als gescheitert. Um die Ausbreitung von HIV-Infektionen und anderen Krankheiten einzudämmen, rate die Kommission zu einer grundlegenden Reform einer auf Verbote gründenden Drogenpolitik, betonte er.

Diese Meinung wird vielerorts geteilt. In Lateinamerika etwa suchen viele Regierungen nach einer neuen, pragmatischeren Strategie. In Argentinien und in Mexiko wurde der Besitz kleiner Drogenmengen vor kurzem für nicht strafbar erklärt. Zuvor hatte Brasilien in der Mitte des vergangenen Jahrzehnts mehrere Gesetze erlassen, die den Drogenkonsum teilweise entkriminalisieren.

Autor

Tom Fawthrop

ist freier Journalist. Er arbeitet seit 25 Jahren in Südostasien, unter anderem für die BBC, den „Economist” und den „Guardian”. Er lebt derzeit im thailändischen Chiangmai.

Bei Volksabstimmungen in den US-amerikanischen Bundesstaaten Colorado und Washington hat die Mehrheit unlängst dafür gestimmt, den Besitz von Marihuana zum persönlichen Gebrauch zu legalisieren, obwohl das nach den Bundesgesetzen, die den Gesetzen der Einzelstaaten übergeordnet sind, weiterhin illegal bleibt. Viele andere US-Bundesstaaten haben die Verwendung von Marihuana für medizinische Zwecke erlaubt und weitere, wie New York, ziehen die Entkriminalisierung in Betracht. Auch europäische Länder wie die Niederlande, Portugal und Spanien haben Drogen legalisiert. Dieses Vorgehen hat sich als sehr erfolgreich erwiesen: Die Zahl der HIV-Infektionen ist gesunken und teilweise sogar der Drogenkonsum zurückgegangen – wie etwa eine Studie des amerikanischen Cato-Institutes von 2009 über Portugal belegt.

Die Staaten des Verbandes Südostasiatischer Nationen (ASEAN) hingegen setzen auf strenge Gesetze zur Drogenbekämpfung und eine aggressive Strafverfolgung bei Drogenbesitz. Das hat dazu geführt, dass 300.000 Drogenkonsumenten und Prostituierte außerhalb der regulären Rechtsprechung zwangsweise in Rehabilitierungszentren eingewiesen wurden. In Indonesien, Malaysia, Vietnam und Singapur wird bei manchen Verstößen gegen die Drogengesetze noch immer die Todesstrafe verhängt. Teilweise ist sie in solchen Fällen sogar zwingend vorgeschrieben. In Singapur und Malaysia steht auf den Besitz oder Verkauf von Heroin ab 15 Gramm die Todesstrafe, in Vietnam ab 100 Gramm. In Indonesien, wo die Todesstrafe nicht obligatorisch verhängt werden muss, wurden zuletzt zwei Personen hingerichtet, die sieben Kilogramm Heroin bei sich hatten. In Singapur steht die Todesstrafe auch auf den Besitz von 500 Gramm Cannabis oder 250 Gramm Amphetamin. Viele Drogenabhängige wagen es deshalb nicht, sich in Behandlung zu begeben, weil sie Gefängnisstrafen oder Schlimmeres befürchten.

In Thailand hat die Regierung von Ministerpräsidentin Yingluck Shinawatra, der Schwester des 2006 gestürzten Premiers Thaksin Shinawatra, im vorigen Jahr im Zeichen einer Null-Toleranz-Politik erneut zum Krieg gegen die Drogen aufgerufen. In der Zeitung „Bangkok Post“ erklärte der Polizeichef General Adul Saengsingkaew: „Der Krieg gegen die Drogen läuft jetzt viel besser als unter der letzten Regierung und sogar besser als unter der Regierung von Thaksin Shinawatra, die sich 2001 für diese Strategie entschied.“ Die Reformkräfte in Thailand waren schockiert, dass er Thaksins brutale Kampagne, die 2002 bis zu 2700 Menschenleben gefordert hatte, zum Maßstab des Erfolgs machte, statt sie als schändliches Kapitel in der Geschichte des staatlich sanktionierten Blutvergießens zu brandmarken. Laut Amnesty International und anderen Menschenrechtsorganisationen hatte sie eine Flut von unrechtmäßigen Hinrichtungen zur Folge und setzte das Grundrecht auf ein ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren außer Kraft.

Laut Statistiken der thailändischen Polizei haben Verhaftungen im Zusammenhang mit Drogendelikten im Jahr 2012 um 14 Prozent zugenommen, die Gerichtsverfahren um acht Prozent. Mehr als zwei Drittel aller in Thailand Inhaftierten sitzen wegen Drogendelikten ein. Angesichts der völlig überfüllten Gefängnisse ist es untragbar, noch mehr Menschen wegen Verstößen gegen die Drogengesetze hinter Gitter zu bringen.
Hinzu kommt, dass Haftstrafen kaum etwas Gutes bewirken. Michel Kazatchkine von der Globalen Kommission für Drogenpolitik kritisiert vor allem, dass die Regierungen in Südostasien die Ausbreitung von Aids unter den Drogenkonsumenten nicht angemessen bekämpfen. Laut Daten der Aidsorganisation der Vereinten Nationen (UNAIDS) sind in Indonesien mehr als ein Drittel der Drogensüchtigen HIV-positiv, in Kambodscha sind es fast ein Viertel und in Myanmar und Thailand je rund ein Fünftel. Länder, die Drogenabhängigkeit als Aufgabe des Gesundheitswesens betrachteten, verzeichneten dagegen Erfolge im Kampf gegen Aids, betont er.

Die „kleinen Fische“ werden hart bestraft, weil die Polizei die „dicken Fische“ kaum zu fassen kriegt

Außer in den Gefängnissen werden Tausende Süchtige in speziellen Haftanstalten festgehalten, die vielfach der Polizei oder dem Militär unterstehen. Eine fachkundige Behandlung sowie Rehabilitierungsmöglichkeiten werden kaum angeboten. Die Vereinten Nationen und die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch haben Thailand, Laos, Kambodscha und Vietnam schon mehrfach aufgefordert, diese Einrichtungen zu schließen. Einige Kritiker gehen noch weiter. Die Koordinatorin des International Drug Policy Consortium (IDPC), Gloria Lai, betont, ihre Gruppe setze sich dafür ein, dass der „Stigmatisierung und Ausgrenzung der Drogenkonsumenten und der unverhältnismäßig harten Bestrafung des privaten Umgangs mit Drogen“ ein Ende gesetzt wird.

Diese Ziele werden im Prinzip auch von Ban Ki Moon, dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, unterstützt: „Niemand sollte wegen seiner Drogenabhängigkeit stigmatisiert oder diskriminiert werden“, erklärte er bereits 2008. Er erwarte von den Regierungen Asiens die Reform unzeitgemäßer Gesetze, die die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft kriminalisieren.

Zwar befürworten die meisten Unterorganisationen der UN (die Weltgesundheitsorganisation WHO, die Hochkommissarin für Menschenrechte und das Entwicklungsprogramm UNDP) eine weltweite Reform der Drogenpolitik. Doch zwei UN-Organe sind offenbar so stark auf die Drogenbekämpfung fixiert, dass sie vor Menschenrechtsverletzungen die Augen verschließen. Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur IPS will sich der Internationale Suchtkontrollrat INCB, der Wächter über die Einhaltung der internationalen Drogenkontrollverträge, nicht zu Maßnahmen der Drogenbekämpfung und zu Strafen äußern, die gegen internationale Gesetze verstoßen. Der INCB-Präsident erklärte im vergangenen Jahr im Namen der Vorstandsmitglieder, sie schwiegen zu Gräueltaten und Folter, weil solche Übergriffe im Text der Drogenverträge nicht enthalten sind.

Das andere offenbar reformunwillige UN-Organ ist das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung UNODC. Es wurde bereits 2003 von der UN-Menschenrechtskommission (Vorgängerin des UN-Menschenrechtsrates) in Genf gerügt, weil es nicht dagegen protestierte, dass „Drogenverdächtige“ in Bangkok nach Informationen eines Vertreters der Kommission auf einer schwarzen Liste der Polizei geführt und systematisch liquidiert wurden.

Warum halten die ASEAN-Regierungen so beharrlich an ihren repressiven Drogengesetzen fest? 2010 bestätigte K. Shanmugam, ein Minister aus Singapur, dass relativ harmlose junge Drogenkuriere hingerichtet werden, um denjenigen, die in der Drogenhierarchie weiter oben sitzen, eine Lektion zu erteilen. „Wenn wir diese Leute laufen lassen, schließen die Drogenbosse daraus, dass sie Drogen ganz einfach nach Singapur bringen können, wenn sie Jugendliche einsetzen oder die Mütter kleiner Kinder“, erklärte er der Zeitung „Straits Times“.

Hier werden die Prinzipien der Rechtsprechung aufs Seltsamste verbogen, um drakonische Strafen für „kleine Fische“ zu rechtfertigen: Sie werden als Ersatz für die „dicken Fische“ bestraft, weil die Polizei diese kaum zu fassen bekommt. Ebenso wie die armen Bauern in Afghanistan, die Mohn anbauen, sind die Drogenkuriere im weltweiten Heroin- und Kokainhandel die Underdogs. Nicht sie ziehen die Fäden in den Drogenkartellen, die die Welt seit Jahren mit Heroin und Amphetaminen aus dem legendären Goldenen Dreieck im Grenzgebiet von Myanmar, Laos und Thailand versorgen.

Reformer hoffen, dass das rigide System der Drogenbekämpfung erste Risse bekommt

Laut Gloria Lai vom IDPC steckt hinter der Ideologie der Drogenbekämpfung die Angst, dass die Gesellschaft von Drogen zersetzt und damit die nationale Sicherheit gefährdet werden könnte. „Die Regierungen glauben, die Drogendelikte durch extrem harte Strafen eindämmen zu können, obwohl es für ihre abschreckende Wirkung keine Beweise gibt“, sagt sie. „Sie hoffen, der Bevölkerung auf diese Weise ein Gefühl der Sicherheit zu geben.“

Indem die Behörden die Bedeutung von Drogendelikten anderen schweren Straftaten – wie bewaffnetem Raub, Vergewaltigung und anderen Gewaltdelikten – überordnen, wird die von Drogenkonsumenten, Kurieren und Dealern ausgehende Bedrohung der Gesellschaft absichtlich aufgebauscht. Auch die Massenmedien dramatisieren die Gefahr. So wird die Öffentlichkeit mit Fehlinformationen dazu gebracht, Drogen nicht als Gegenstand rationaler Auseinandersetzung zu sehen, sondern als eine dunkle Macht, die ihre Familien zerstören würde – wenn die Regierungen nicht zu drakonischen Maßnahmen greifen würden, um sie zu schützen.

Doch die Reformer hoffen, dass das rigide System der Drogenbekämpfung in Asien erste Risse bekommt. Im September 2012 organisierten das IDPC und das Transnational Institute gemeinsam mit der Abteilung für den Schutz der Grundrechte im thailändischen Justizministerium in Bangkok ein Seminar mit hochrangigen Teilnehmern. Sie diskutierten darüber, wie Drogenprobleme im Rahmen des öffentlichen Gesundheitswesens effektiver behandelt werden könnten.

Indonesische und malaysische Regierungsbeamte haben im vergangenen Jahr an einer Studienreise durch Portugal teilgenommen, um sich über die dortige Strategie der Entkriminalisierung und über freiwillige Behandlungsangebote für Drogenabhängige zu informieren. Laut Nicholas Thomson von der Johns Hopkins School of Public Health haben diese Kontakte bereits Wirkung gezeigt. „In Malaysia geht die Entwicklung und Ausweitung von Projekten der Schadensbegrenzung teilweise darauf zurück, dass hochrangige Polizeiangehörige an Studienreisen durch Portugal teilgenommen haben“, sagt er.

Selbst bei der Todesstrafe scheint es Fortschritte zu geben, denn die Zahl der Hinrichtungen ist offenbar zurückgegangen. Zwar wurden in Malaysia in den vergangenen Jahren immer mehr Todesurteile verhängt, doch wurden sie in jüngerer Zeit offenbar nicht mehr vollstreckt. In Thailand und in Indonesien wurde seit 2008 niemand mehr wegen Drogendelikten hingerichtet. Und in Malaysia, Singapur und Vietnam wird die Todesstrafe für Drogendelikte seit kurzem infrage gestellt.

Aus dem Englischen von Anna Latz

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erschienen in Ausgabe 3 / 2013: Neue Geber: Konkurrenz stört das Geschäft
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