„Die Leute können nicht einschätzen, was ihren Töchtern droht“

In Thailand arbeiten tausende Kinder in Bordellen, Massagesalons oder anderen Einrichtungen, in denen sie sexuell missbraucht werden. Die meisten stammen aus armen Regionen im Norden Thailands, zunehmend aber auch aus den Nachbarländern Myanmar, Laos, Vietnam und Kambodscha. Der Handel mit Kindern ist ein lukratives Geschäft in der Region. Jamie Houston von der thailändischen Hilfsorganisation DEPDC erläutert, wie der Handel funktioniert und was zur Vorbeugung getan werden kann.

Werden nur Mädchen oder auch Jungen Opfer von Kinderhandel?

Beide, aber vor allem Mädchen. Nachgefragt ist vor allem Sex mit Mädchen. Die meisten Kinder werden in thailändische Städte gebracht, etwa nach Bangkok, Chiang Mai oder Phuket. Dort werden sie in Bordellen als Prostituierte missbraucht. Oder sie werden als Ehefrauen weiterverkauft, manchmal sogar ins Ausland.

Wie viele Kinder sind betroffen?

Einige Statistiken zählen 70.000 minderjährige Prostituierte in Thailand, andere zehn Mal so viele. In den vergangenen Jahren sind es deutlich mehr geworden. Laut einigen Studien hat sich die Zahl der Jungen, die als Prostituierte arbeiten, in den vergangenen zwei Jahren verdreifacht. Solche Angaben sind mit Vorsicht zu genießen, unstrittig ist aber, dass das Problem schlimmer geworden ist.

Was sind die Gründe dafür? Das Internet und Mobiltelefone haben die Kommunikation vereinfacht. Das erleichtert es den Händlern, an Kinder zu kommen. Zugleich haben die Medien das Konsumdenken verstärkt: Arme Leute sehen heute im Fernsehen oder im Internet, dass es noch eine andere Welt gibt, mit großen Städten und Luxus. Manchmal sprechen sie selbst die Kinderhändler an und sagen: „Hey, hast du Arbeit für meine Tochter? Ich brauche Geld.“ Sie glauben, dass sich ihr Leben verbessert, wenn ihre Tochter oder ihr Sohn in die Stadt geht und Geld verdient.

Wie werden die Kinder den Familien genommen?

Ein Beispiel: Ich bin gerade im Norden von Thailand in einer kleiner Stadt namens Mae Sai, nahe der Grenze zu Myanmar. Viele Familien der Bergvölker, die hier leben, haben weder die Staatsbürgerschaft von Thailand noch die von Myanmar. Die meisten sind ziemlich arm und finden keine Arbeit. Ihre Lebensbedingungen sind hoffnungslos, und das setzt ihre Kinder einem großen Risiko aus. In dieser Situation kommt dann jemand und sagt: „Schaut, ich kenne jemand in Bangkok, der Familien wie euch hilft. Wir sind eine NGO für Kinder und kümmern uns in der Stadt um Arbeit für sie. Sie werden vielleicht in einem Restaurant oder einem Hotel arbeiten und euch Geld nach Hause schicken.“Tatsächlich aber handelt es sich um einen Händler, der Kinder für Bordelle oder andere harte Arbeiten sucht.

Aber wenn Kinderhandel so weit verbreitet ist, wissen die Leute dann nicht, dass das wahrscheinlich eine Lüge ist?

Obwohl das Problem so groß ist, wissen viele nichts davon. Die Leute hier in der Gegend leben häufig abgeschieden von der Öffentlichkeit. Viele Familien haben einfach keine Ahnung. Andere wiederum wissen von der Sex-Industrie. Aber es gibt eine kulturelle Einstellung, dass Töchter und Söhne arbeiten und für die Familie sorgen sollten. Das ist fast eine Tradition, das war schon immer so. Aber die Leute können nicht einschätzen, was ihren Töchtern tatsächlich droht, um was es bei dieser Arbeit geht und welche Risiken sie birgt.

Wie alt sind die Kinder?

Mitunter nur vier Jahre. Manchmal werden sie einfach entführt und verkauft. Unglücklicherweise ist Thailand ein begehrtes Pflaster für Pädophile, die sich Sex mit kleinen Kindern kaufen wollen. Das Durchschnittsalter der Kinder, die in Bordellen arbeiten, dürfte bei 14 bis 15 Jahren liegen. Und ein Drittel der als Prostituierte tätigen Männer und Frauen ist jünger als 18 Jahre.

Wie gut organisiert ist die Sex-Industrie?

Es gibt sowohl sehr große als auch ganz kleine Etablissements. Ein kleines hat vielleicht nur ein, zwei Mädchen im Haus. Auf der anderen Seite gibt es große Organisationen und internationale kriminelle Banden. Bekannte Mafia-Gangs aus Japan zum Beispiel sind stark am Kinderhandel beteiligt. Sie haben Verbindungen nach Thailand, holen sich Mädchen aus dem Norden und bringen sie nach Japan. Sie machen damit riesige Profite.

Was unternimmt der Staat gegen den Handel mit Kindern?

Die Strafen sind hart, und auf höheren Ebenen der Polizei ist man bemüht, sie durchzusetzen. Aber die Polizisten auf Streife verdienen häufig selbst an der Sex-Industrie. Sie kassieren Bestechungsgelder von den Bordellbesitzern oder den Händlern und lassen sie dafür in Ruhe. Manchmal handeln sie sogar selbst mit Kindern. Die Polizisten auf den unteren Rängen verdienen kaum was. Sie wohnen in winzigen Häusern und fahren billige Mopeds. Dann sieht man einen, der in einem Mercedes-Benz herumkurvt, und fragt sich: Wie kann der sich das leisten?

Wie lässt sich dem Kinderhandel am besten vorbeugen?

Überall in der Gesellschaft muss über die wahre Natur des Problems aufgeklärt werden. Damit meine ich sowohl die Leute, die von den Händlern angesprochen werden, als auch die, die Sex mit jungen Mädchen für legal halten, sowie die, die in der Lage wären, etwas dagegen zu unternehmen. Vor allem aber muss den Familien, die zur Zielgruppe der Händler gehören, die Chance auf ein besseres Leben gegeben werden, etwa über Bildungsangebote oder Arbeitsplätze. Zugleich muss man sie besser informieren und ihnen klarmachen, dass es falsch ist, die eigenen Kinder an die Sex-Industrie zu verkaufen, damit sie die Familie unterstützen.

Das Gespräch führte Tillmann Elliesen.


Jamie Houston
arbeitet seit zwei Jahren als freiwilliger Helfer bei DEPDC. Die Hilfsorganisation klärt auf und versucht in den betroffenen Regionen gemeinsam mit gefährdeten Familien, staatlichen Stellen und gesellschaftlichen Kräften den Handel mit Kindern zu verhindern.

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