Forschen in der Grauzone

NGO beklagen mangelhafte Kontrolle von Arzneimitteltests in armen Ländern
NGO beklagen mangelhafte Kontrolle von Arzneimitteltests in armen Ländern

(20.10.2013) Die Schweizer nichtstaatliche Organisation Erklärung von Bern (EvB) hat sich ein heikles Thema vorgenommen: Medikamententests in armen Ländern. Sie untersuchte klinische Studien in Indien, Argentinien, Russland und der Ukraine. Das Ergebnis: Die Tests verstießen häufig gegen ethische Standards. Dies sei aber kein speziell schweizerisches Problem, sagt Christian Wagner-Ahlfs, Sprecher der deutschen BUKO Pharma-Kampagne, zu „welt-sichten“: „Das ist ein globales Problem.“

Die Kritik der EvB ist gravierend: Demnach hätten Testpersonen bei schweren Nebenwirkungen keine Entschädigung oder im Anschluss an den Versuch keinerlei Zugang zu medizinischer Versorgung erhalten. Zudem gebe es drastische Mängel bei der Aufklärung der Teilnehmenden. Jeder Patient müsse eigentlich ausführlich über die Studie und seine Rechte informiert werden, zum Beispiel dass er jederzeit ohne Angabe von Gründen aussteigen kann. Laut EvB wüssten viele Teilnehmer aber gar nicht, was genau sie unterschrieben: Dokumente seien in fremden Sprachen verfasst, es gebe keinen persönlichen Ansprechpartner, keine verständlichen Informationen. Die EvB hat nun den Schweizer Bundesrat aufgefordert, bei Versuchen im Ausland die systematische Überprüfung der ethischen Standards zu garantieren.

In Deutschland geht die Kampagne der „Bundeskoordination Internationalismus“ (BUKO) den Aktivitäten der Pharmaindustrie in Entwicklungsländern nach. Sprecher Christian Wagner-Ahlfs lobt die EvB-Initiative: „Hier wurden klinische Studien sehr genau überprüft. Die EvB hat zum Beispiel direkt mit Teilnehmern gesprochen, das ist ein absolutes Novum. So etwas hat es für Studien im Auftrag deutscher Pharmaunternehmen noch nicht gegeben. Aber nur durch solche konkreten Recherchen vor Ort kann man Grauzonen wirklich aufdecken.“

„Wie ,freiwillig‘ macht schon ein armer Mensch dabei mit?“ 

Die Verlagerung der Versuche in arme Länder erlaubt es den Pharmafirmen, ihre Kosten zu senken; die Tests werden vielfach von Auftragsunternehmen durchgeführt. In armen Ländern hat die Mehrheit der Menschen keinen Zugang zu Gesundheitsversorgung. Die Hürde, Teilnehmende für einen Versuch zu gewinnen, ist daher eher niedrig. Zwar seien in Deutschland und Europa die Vorschriften sehr streng, „die Kontrollen sind es aber nicht“, sagt Wagner-Ahlfs zu „welt-sichten“: „In den USA entsenden die Zulassungsbehörden eigene Kontrolleure in die Länder, in denen die Studien gemacht werden. So sollte die europäische Zulassungsbehörde, die European Medicines Agency, ebenfalls vorgehen. Bisher verlässt man sich auf die zur Zulassung nötigen Dokumente, die als Beleg dafür dienen, dass alles mit rechten Dingen zugegangen ist.“

Als Beispiel nennt der BUKO-Sprecher Ost- und Südosteuropa. In Ländern wie Litauen würden immer mehr klinische Studien in Auftrag gegeben, die örtlichen Kontrollbehörden seien aber nur unzureichend dafür qualifiziert und ausgestattet, außerdem gebe es Fälle von Korruption. „Diese Strukturen vor Ort müssen dringend verbessert werden, auch da ist die EU gefordert.“ Ein weiteres Problem ist laut Wagner-Ahlfs das Prinzip der Freiwilligkeit: „Wie ,freiwillig‘ macht schon ein Mensch bei so einer Studie mit, wenn er sonst kaum Möglichkeiten hat, an Geld und medizinische Versorgung zu kommen?“ Und der sich später das Medikament, für dessen Zulassung er mitgesorgt hat, noch nicht einmal leisten kann. (Tanja Kokoska)

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