„Minderheiten geraten schnell zwischen alle Stühle“

Die Evangelische Mittelostkommission (EMOK) wirft dem Regime von Baschar al-Assad in Syrien vor, Christen und andere Minderheiten zwangsweise zu Verbündeten und damit zu Geiseln zu machen. Über viele Jahre haben die Christen aber als religiöse Minderheit Privilegien genossen, die der sunnitischen Mehrheit nicht zustanden. Der Vorsitzende der Kommission, Altbischof Johannes Friedrich, erläutert ihre gegenwärtige Lage.

Bis vor kurzem galt Syrien neben dem Libanon als das Land im Nahen Osten, in dem Christen die meisten Freiheiten genießen. Warum hat sich das so radikal verändert?
Die Kirchen in Syrien hatten bis vor kurzem noch Spielräume, von denen die Christen in den Nachbarländern nur träumen konnten. In der Opposition gibt es nun aber Gruppen, die auf die Christen in Syrien sehr bedrohlich wirken. Sie haben den Irak vor Augen und fürchten, dass es ihnen genauso gehen wird wie den dortigen Christen, die einen sehr hohen Preis für die politischen Veränderungen zahlen mussten.

Gibt es Anzeichen dafür, dass die syrischen Christen aufgrund ihres Glaubens stärker gefährdet sind als muslimische Syrer?
Natürlich kann man nicht davon ausgehen, dass sich alles so wiederholt wie im Irak. An Stelle der syrischen Christen hätte ich aber auch Angst. Minderheiten geraten in solchen Konflikten sehr schnell zwischen alle Stühle.
Die Kirchen in Syrien galten seit langem als Nutznießer des Assad-Regimes und hatten Privilegien, die etwa der sunnitischen Mehrheit nicht zustanden.

Warum haben sich die Kirchen auf diesen Kotau überhaupt eingelassen?Dafür gibt es verschiedene Gründe. Zum einen haben viele Kirchenführer Assad aus politischer Vorsicht unterstützt. Der Schutz des Machthabers ist für das Überleben einer Minderheit oft entscheidend. Jede politische Kritik hätte die Christen auch schon vor Ausbruch der Gewalt in Gefahr gebracht. Kirchenführer müssen sich immer bewusst machen, dass ihre politische Haltung allen Mitgliedern ihrer Kirche schaden kann. Viele Christen hatten allerdings auch Angst vor dem Niedergang der staatlichen Ordnung. Assad galt als Garant für die Sicherheit. Wie stark und einflussreich radikale muslimische Gruppen werden können, konnten sie ja immer wieder in den Nachbarländern beobachten. Schließlich gab es aber auch viele Sympathien für Assad, weil das Regime einen säkularen Ansatz verfolgte. Für die Christen als religiöse Minderheit war dies ein Schutz.

Seit dem Ausbruch der Gewalt sind die syrischen Christen gespalten, wen sie unterstützen sollen. Wa­rum tun sie sich so schwer, eine gemeinsame Linie zu verfolgen?
Das ist eine Generationenfrage. Wie in Ägypten ist auch in Syrien die Opposition eine Sache der jungen Leute. Sie haben nicht mehr die Ängste ihrer Eltern.

Könnten die Kirchenleitungen in Syrien mehr tun, um den Christen in dieser unsicheren Situation Orientierung zu geben?
Das ist schwer von außen zu beurteilen. Interessant ist die Stellungnahme des antiochisch-orthodoxen Patriarchen Ignatius. Er ruft dazu auf, dass alle Syrer, egal welcher Religion, das Recht haben, mit Stolz und in Würde in ihrem Land zu leben. Dass die Christen nach Möglichkeit in Syrien bleiben sollen, dürfte unter allen syrischen Kirchenführern Konsens sein.

Das erinnert an den Irak, wo die Verantwortlichen der Kirchen nach den schlimmsten Attentaten die Christen zum Bleiben aufgerufen haben. Wie unterscheidet sich die Lage in Syrien?
Der größte Unterschied dürfte darin liegen, dass es im Nord­irak ein Gebiet gibt, in dem die Christen relativ sicher leben können. Von Deutschland aus haben wir die irakischen Christen bei der Ansiedlung dort unterstützt. Eine solche Region gibt es in Syrien nicht. Die Christen sind über das ganze Land verstreut. Viele von ihnen leben zwar in Damaskus, wo auch die meisten Kirchen ihren Sitz haben. Aber die syrische Hauptstadt ist weit davon entfernt, als christlich geprägt zu gelten. 

Wird sich die EKD dafür einsetzen, dass Flüchtlinge aus Syrien in Deutschland aufgenommen werden?
Wir werden sicher nicht explizit dazu aufrufen, dass syrische Christen nach Deutschland kommen.  Das wäre unsolidarisch gegenüber den Kirchen vor Ort. Als wir uns für die Aufnahme von irakischen Flüchtlingen eingesetzt haben, kam heftige Kritik von irakischen Bischöfen. Sie warfen uns vor, wir würden zur Auswanderung aus dem Irak aufrufen und dazu beitragen, dass die Kirchen ausbluten. Wer aus guten Gründen als Flüchtling nach Deutschland kommt, soll aber auf jeden Fall Hilfe bekommen. Das ist eine wichtige Aufgabe der Kirche.

Das Gespräch führte Katja Dorothea Buck.

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Mit Interesse habe ich den obigen Artikel gelesen - da ich mich als zukünftiger UN-Friedensmakler schlau machen muss,wie es mit der Zusammensetzung der ethnischen Minderheiten wie z.B. die Kristen Syriens steht - und auf was man daraus an Brauchbarem schließen kann. Wie das Gesamtbild aussieht von außen gesehen, liegt der Gedanke nicht fern, Überlegungen anzustrengen wie z.B. Teilung des Landes in Zonen von Glaubensgemeinschaften & einer gewissen Selbstverwaltung soweit das nunmehr vorangetrieben werden kann. Es scheint so, dass diese Einigkeit in den jeweiligen Bezirken der individualisierten Regionen einen Schutz bieten können gleich dem Schutz, den die Christen erlebten als jene als sich als Stütze des Landesherrscher erklärten.

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erschienen in Ausgabe 9 / 2012: Südliches Afrika: Wohlstand nur für wenige
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