Von heißen Rhythmen und alten Männern

Cornelius Schlicke
Salsa Rica – Tango Caliente
Eine musikalische Reise durch 
Lateinamerika
Parthas Verlag, Berlin 2012
368 Seiten, 19,90 Euro

Das Rezept erscheint einfach: Man nehme aus jedem Land den bekanntesten Rhythmus und mixe daraus die Musikgeschichte Lateinamerikas. Das suggerieren der Titel und ein oberflächlicher Blick in das Inhaltsverzeichnis. Doch was der Musikwissenschaftler Cornelius Schlicke unternimmt, ist sehr viel komplexer und gehaltvoller als ein süßer Cocktail. Er stellt nicht nur die jeweils landestypischen Gesänge und Tänze vor, sondern entwirft ein farbenprächtiges Bild lateinamerikanischer Kulturgeschichte. Der Spannungsbogen reicht von der Chicha, die sich bei den Armen in den Vororten von Lima größter Beliebtheit erfreut, über die international erfolgreichen Salsa-Varianten bis zu den Narcocorridos, mit denen die mexikanischen Drogenbosse ihre Taten rühmen lassen.

Zu Beginn spürt Schlicke der Geschichte der berühmten „Guantanamera“ nach, jenem vielschichtigen Lied aus der Sierra Maestra im östlichen Kuba, das mit einem Text des Befreiungshelden José Martí auch zu einer Art Revolutionshymne geworden ist. Die Urheberschaft der Melodie und der verschiedenen Texte ließen sich auch gerichtlich nicht klären. Doch wohl kaum ein Lied aus Lateinamerika wurde so oft gecovert und wird weltweit nach wenigen Takten erkannt. Der Autor erzählt außerdem von den alten Männern des Son, die, als viele schon in den hohen Achtzigern waren, als Buena Vista Social Club zu Weltruhm gelangten. Er erklärt, warum New York als Geburtsort der Salsa gilt und nicht Havanna. Nach der kubanischen Revolution von 1959 gingen einige der bekanntesten Interpreten und die Plattenlabels ins Exil. Stars wie Celia Cruz und Sonora Matancera haben die kubanische Musik in Miami und New York weiterentwickelt. Mambo und Cha-cha-cha wurden von kubanischen Tanzkapellen in den USA populär gemacht. Tito Puente und Tito Rodríguez ließen sich am Broadway als „Mambo-Könige“ feiern.

Schlicke erläutert, was die Volksmusik in Lateinamerika von der in Deutschland oder Österreich unterscheidet und wie sich die Nueva Canción, das politisch engagierte Lied, aus der Folklore entwickelt hat. Er erzählt zwar flott und auch für Laien spannend, lässt aber keinen Moment vergessen, dass er Musikwissenschaftler ist, der seine Fachkenntnisse oft mit großer Detailverliebtheit verrät. Dass neben einem ausführlichen Literaturverzeichnis eine Diskographie angehängt ist, erhöht den praktischen Wert des Buches, das auch als Nachschlagewerk gelesen werden kann. Leider werden Liedtexte nur in der deutschen Übersetzung abgedruckt. Eine zweisprachige Version wäre sicher nicht nur für Spezialisten interessant. (Ralf Leonhard)

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