Eine Geschichte „großer Männer“

In seinem Übersichtswerk beschreibt Richard Bourne die Geschichte Nigerias der vergangenen 100 Jahre. Und geht der Frage nach, wie es dem Land gelang, trotz langjähriger Militärherrschaft, ethnischer und religiöser Konflikte  als einheitlicher Staat zu bestehen.

Es ist ein waghalsiges Unterfangen, die Geschichte Nigerias seit der Schaffung der Kolonie durch Frederick Lugard 1914 bis zum Wahlsieg Muhammadu Buharis 2015 in einem rund 200 Seiten umfassenden Taschenbuch erzählen zu wollen. Jeder, der vorgibt, Nigeria zu verstehen, sei entweder geblendet oder ein Lügner, so der Autor in seinem Vorwort. Zu vielschichtig und verworren, widersprüchlich und sprunghaft scheint die Entwicklung des Riesen in Westafrika, als dass man sie in einem schmalen Buch erschöpfend behandeln könnte. Doch der Journalist, der das Land seit 1981 regelmäßig bereist, wagt sich an diese Aufgabe mit großem Elan. In fünf Kapiteln beschreibt er die späten Interventionen der englischen Kolonialherren, den Weg in die Unabhängigkeit, die Zeiten der Militärherrschaft (unterbrochen von wenigen Jahren der zivilen Regierung) bis hin zur Demokratisierung und Wiedereinführung eines demokratischen Systems nach 1999. Dabei orientiert sich Bourne vor allem an den Regierungswechseln und den jeweiligen Machthabern während dieser Jahre.

Deshalb ist seine Geschichte Nigerias vor allem eine Geschichte der „großen Männer“. Generäle und andere Militärs, Oligarchen und zivile Herrscher sind bei Bourne diejenigen, die das Schicksal des Landes im Laufe der vergangenen 100 Jahre geprägt haben. Das ist zum Teil durchaus zutreffend, jedoch rückt die Alltagsgeschichte der Nigerianerinnen und Nigerianer durch diese Schwerpunktsetzung in den Hintergrund. Gern hätte man zum Beispiel mehr über das tägliche Leben unter den Bedingungen des Biafra-Krieges oder der Aufstände im Nigerdelta erfahren.Die Wahlen von 2015 bewertet Bourne zutreffend als wegweisend für das Land. Zum ersten Mal gelang der Wechsel von einer zivilen Regierung zu einer anderen. Die Vorherrschaft der seit 1999 regierenden Peoples Democratic Party (PDP) wurde so friedlich beendet.

Auf die neuen Amtsinhaber warten gewaltige Aufgaben: Der Terror der Dschihadisten von Boko Haram wütet nach wie vor, und Politik ist und bleibt in diesem neopatrimonialen Staat weiterhin ein Geschäftsmodell, in dem die Paten (Godfathers) der Politiker ein gehöriges Wörtchen mitzureden haben. Abzuwarten bleibt auch, wie sich nun, unter den neuen Bedingungen, die Lage im ölreichen und von Milizen geplagten Nigerdelta entwickeln wird.

Bournes Geschichte Nigerias in einem turbulenten Jahrhundert werden jene mit Gewinn lesen, die sich mit der wechselvollen und spannenden Historie des Riesen in Westafrika vertraut machen wollen. Es ist ein Grundlagenwerk, dessen Lektüre gute Voraussetzungen bietet, um vertieft in die Politik und Gesellschaft des Landes eintauchen zu können.
 

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