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Der Widerstand gegen das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP ist groß. Zwei neue Bücher analysieren Ängste und Versprechen – und liefern den Gegnern wichtige Argumente.

Petra Pinzler hat das weitergehende Buch geschrieben. Die Wirtschaftsjournalistin stellt – aufgehängt an den aktuellen Diskussionen über TTIP, den Freihandelsvertrag mit Kanada CETA und das Dienstleistungsabkommen TISA – das globale Handelssystem insgesamt auf den Prüfstand. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit sei ein internationales „Schattenregime“ entstanden; Handelspolitiker und Lobbyisten hätten ihre eigenen Regeln geschaffen, die vor allem multinationalen Konzernen und der „Zerstörung der Natur und des Menschen“ dienten, diagnostiziert sie.

Mit Verschwörungstheorien wartet die ZEIT-Redakteurin aber nicht auf. Im Gegenteil: Nüchtern und verständlich geht sie den Bedenken auf den Grund, das Abkommen werde Sozial- und Umweltstandards senken und ärmeren Ländern Nachteile auf dem internationalen Markt verschaffen. Pinzler belegt mit vielen Beispielen, wie berechtigt diese Ängste sind – beim Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft etwa oder Substanzen in Kosmetika, die in Europa verboten, aber in den USA erlaubt sind. Oder im Blick auf die Rechte von Arbeitnehmern, die in den Vereinigten Staaten in den vergangenen Jahren deutlich abgebaut worden sind.

Weitere Kapitel widmet sie den besonders umstrittenen privaten Schiedsgerichtsverfahren, bei denen Firmen Staaten verklagen können, wenn sie durch deren Gesetze die Rentabilität ihrer Investitionen in Gefahr sehen. Sie beschreibt, wie die Verfahren zu einem milliardenschweren Markt für Anwaltskanzleien und Konzerne geworden sind. Und sie erklärt, wie die Privatwirtschaft mit Hilfe solcher Gerichte Gesetze bereits im Vorfeld zu verhindern sucht. Die Schiedsgerichte stehen zwar bei TTIP zur Diskussion, sind im CETA-Abkommen jedoch bereits festgeschrieben.

Der britische Politikwissenschaftler Gabriel Siles-Brügge und sein Genfer Kollege Ferdi de Ville beschränken sich in ihrem Buch auf die Auseinandersetzung mit TTIP. Auch sie nehmen Argumente von Gegnern und Befürwortern unter die Lupe und kommen zu dem Schluss, dass sowohl die damit verknüpften Ängste als auch die Versprechen derzeit übertrieben werden. Ihr Ziel ist es, die Debatte zu versachlichen – und ihr vor allem in den USA eine größere Öffentlichkeit zu verschaffen. Denn im Gegensatz zu Europa sehen sie jenseits des Atlantiks noch zu wenig „politische Reife“ in den Diskussionen.

Petra Pinzler, Gabriel Siles-Brügge und Ferdi de Ville würdigen den Widerstand gegen TTIP und bescheinigen ihm eine große Kraft für Veränderungen: Bürgerinnen und Bürger wehren sich gegen Geheimverhandlungen, sie fordern Beteiligung und mehr demokratische Kontrolle. Darüber hinaus würdigen die Autoren die bereits erzielten Erfolge. Sie teilen aber auch die Skepsis, dass sich das Abkommen tatsächlich noch stoppen lässt beziehungsweise dass es gelingt, höhere Umwelt- und Sozialstandards darin festzuschreiben, die weltweit Schule machen könnten.

Pinzlers Buch ist leichter zugänglich, sie schreibt anschaulich und lässt die Leserinnen und Leser an vielen ihrer Gespräche mit Vertretern von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft direkt teilhaben. Siles-Brügge und de Ville kommen wissenschaftlicher und theoretischer daher. Doch beiden Büchern ist eine breite Aufmerksamkeit zu wünschen, diesseits und jenseits des Atlantik, in der Zivilgesellschaft und in der Politik.

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