Begrenzte Einflussmöglichkeiten

Alex de Waal seziert die politische Ökonomie von Macht und Krieg am Horn von Afrika. Und er entzaubert lieb gewordene Illusionen.

State Building – also die Schaffung stabiler, legitimierter und öffentlicher Strukturen und Institutionen – bestimmt seit Jahren den Diskurs der entwicklungspolitischen Szene. Das Konzept ist zu einem Dogma geworden, das das Handeln der Ministerien und Organisationen des Westens gegenüber verelendeten Regionen der Welt leitet, ob in Afghanistan, dem Kongo oder Somalia. Problematisch daran sind nicht unbedingt die Absichten und Ziele des Konzeptes, sondern vielmehr, dass auf seiner Grundlage auch die zerfallenden Staaten analysiert werden.

Mit seiner jüngsten Veröffentlichung setzt sich Alex de Waal, Direktor der World Peace Foundation und Professor an der Tufts University in Massachusetts, wohltuend von diesem Mainstream ab. Der Autor, der seit mehr als 30 Jahren zum Horn von Afrika arbeitet, zeichnet ein Bild dieser Weltregion, in der politische und militärische Loyalität in klientelistischen Netzwerken erkauft werden. „Das Horn von Afrika ist ein entwickelter und militarisierter politischer Markt, gezeichnet durch eine allgegenwärtige Rentenökonomie und monetarisierte Patronage unter dem regelmäßigen Einsatz von Gewalt als In­strument für die Aneignung von Renten“, heißt es im einleitenden Kapitel. Das bedeutet im Kern, dass Gefolgschaft mit Geld erkauft wird und die Nutznießer dieses Systems ein unverdientes Einkommen aufgrund ihrer militärischen Stärke beziehen können. Dieser Markt, so de Waal weiter, sei „integriert in die regionalen und globalen Finanzkreisläufe“.

Das illustriert de Waal in Länderkapiteln unter anderem zur sudanesischen Region Darfur, zum Südsudan, zu Somalia, Somaliland und Eritrea. Überall geben politische Unternehmer den Ton an, die sich auf den strategischen Einsatz von Gewalt verstehen und sich so Zugang zu regionalen und internationalen Geldquellen verschaffen. Friedensverhandlungen haben oft die Funktion, Finanzen und andere Ressourcen neu zu verteilen. Zu kurz gekommene Gewaltunternehmer versuchen ständig, sich Zutritt zum so genannten Payroll Peace, also der Befriedung durch eine Aufteilung von Ressourcen unter den Gewaltunternehmern, zu verschaffen.

Das Buch überzeugt durch die Kenntnisse des Autors, die er sich als Wissenschaftler und Mediator am Horn von Afrika erarbeitet hat. Seine Analyse lässt wenig Raum für die Hoffnung, dass diese von Krieg, Massakern und Gewalt gezeichnete Weltregion in naher Zukunft zu einem dauerhaften Frieden findet. Einzig Äthiopien gilt ihm, trotz aller Probleme, als „führender Kandidat für die Etablierung eines entwicklungsorientierten, institutionalisierten Staates“ am Horn von Afrika.

Nicht zuletzt wird bei der Lektüre des Buches deutlich, wie begrenzt die Einflussmöglichkeiten des Westens auf die Situation am Horn von Afrika sind. Die Ressourcen aus der internationalen Entwicklungshilfe und dem Anti-Terror-Kampf erfüllen mittlerweile die Funktion, die die Patronage der Regime durch die Blöcke zu Zeiten der Ost-West-Konfrontation hatte. Der 2013 ausgebrochene Krieg zwischen konkurrierenden Fraktionen der herrschenden SPLM/A im Südsudan belegt einmal mehr die unrealistischen und mitunter gefährlichen Illusionen, denen sich die globalen State Builder hingeben.

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