Mutig und gefährdet: Frauen auf der Flucht

Die ZDF-Journalistin Maria von Welser widmet sich dem Schicksal von Frauen auf der Flucht. Ein wichtiges Anliegen – doch sie verzettelt sich mit einer Fülle von Gesprächen und zusätzlichen Informationen rund um die Flüchtlingskrise.

Maria von Welser hat sich ein umfangreiches Rechercheprogramm verordnet: Sie ist in die Türkei, in den Libanon, nach Jordanien und auf die griechische Insel Lesbos gereist. Sie hat dort mit Frauen auf der Flucht über ihr Leben gesprochen und sich die Umstände angeschaut, unter denen sie leben müssen. Das hätte ein wichtiges und aufrüttelndes Buch werden können. Und in Ansätzen ist es das auch – die ZDF-Journalistin packt jedoch zu viel hinein und das tut weder ihren Gesprächspartnerinnen noch ihren Leserinnen und Lesern gut.

Die Hälfte aller Flüchtlinge weltweit ist weiblich – doch 70 Prozent der Asylanträge werden von Männern gestellt. Von Welser treibt die Frage um, warum das so ist, und wo die Frauen und Kinder geblieben sind, die ihre Heimat wegen Krieg oder Hunger verlassen haben und offenbar nie im „gelobten Land“ Europa angekommen sind. Sie begibt sich auf mehrere Reisen und trifft auf viele tapfere und zähe Frauen, die oft immense Risiken und Strapazen auf sich nehmen, um sich und ihren Kindern das Leben zu retten. Von Welser erzählt ihre Geschichten – von Gewalt, Betrug, Demütigungen und von der Kunst, trotz allem irgendwie zu Recht zu kommen.

Doch viel hilft nicht immer viel: Die zahlreichen Schilderungen wirken auf die Dauer ermüdend. Ihre Fülle – und manche Ähnlichkeiten – machen es schwer, die einzelnen Schicksale wahrzunehmen und zu würdigen – wie es die mutigen Flüchtlingsfrauen eigentlich verdient hätten. Mehr Konzentration hätte diesem Anliegen besser gedient: Die Geschichte der Syrerin Myriam, die mit fünf Kindern von Damaskus über den Sudan, Libyen und Italien nach Hamburg geflohen ist, ergänzt mit einem kurzen Abriss des Syrien-Krieges und Ausführungen über die Lage der Frauen in der syrischen Gesellschaft gehört zu den stärkeren Passagen in dem Buch. Hier entsteht ein lebendiges, detailliertes Bild von den Gründen und Begleitumständen einer Flucht, von den Hindernissen und Grausamkeiten, die speziell Frauen drohen, aber auch von Zuwendung, Solidarität und Hilfe.

Von Welser verhehlt ihr persönliches Engagement nicht. Das wirkt an manchen Stellen sympathisch, an anderen schlicht überflüssig und sogar ärgerlich – wenn sie Selbstverständlichkeiten aufzählt, mitteilt, wie sie sich auf dem Laufenden hält („aufstehen, duschen, die SZ aufs IPad laden“) und was ihr alles durch den Kopf geht. Das sorgt für Längen und verstellt den Blick auf die Frauen, denen die Aufmerksamkeit gelten sollte. Nicht unbedingt nötig erscheint außerdem das siebte Kapitel, in dem die Autorin den deutschen Umgang mit der Flüchtlingskrise bis März 2016 Revue passieren lässt.

Insgesamt wirkt das Buch unentschieden – als hätte von Welser der Kraft ihrer Gesprächspartnerinnen und deren Geschichten nicht ganz vertraut und es deshalb mit persönlichem Erleben und vielen Informationen, die alle irgendwie zum Thema Flucht gehören, angereichert. Das ist schade – motiviert aber immerhin dazu, auf die Suche nach Geschichten aus erster Hand zu gehen, die Frauen auf der Flucht selbst aufgeschrieben haben. Denn dass ihre Stimmen gehört werden müssen, damit sie zu ihren Rechten kommen und besser geschützt werden, steht außer Frage

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