Ein überaus gefährlicher Schulweg 

Am Beispiel einer Bauernfamilie aus dem indischen Himalaya zeigt der Dokumentarfilm in ruhigen Bildern, wie gefährlich es für Heranwachsende in einem abgelegenen Bergdorf ist, eine höhere Schule zu besuchen. Und wie der Klimawandel den Weg noch beschwerlicher  macht.

„Chaddr - Unter uns der Fluss“. Deutschland 2020, Regie: Minsu Park, 88 Minuten, Kinostart: 7. Januar 2021
Die 18-jährige Stanzin Tsangyang lebt in dem indischen Dorf Zangla, das auf 4000 Meter Höhe im Grenzgebiet zu Pakistan und China liegt. Sie besucht seit zwölf Jahren die einzige weiterführende Schule der Region in der Kreisstadt Leh. Dort wohnt sie in einem Internat, kehrt aber in den Ferien zu ihren Eltern zurück. Der Vater Tundup Tse–ring und die Mutter Rigzin Ladoll bauen auf zwei Feldern Erbsen und Getreide an. Er leitet zudem die Grundschule im Dorf, sie trägt mit dem Weben kleiner Teppiche zum Familieneinkommen bei. Ihre beiden erwachsenen Kinder studieren bereits in der Ferne. Die Eltern wollen keines der Kinder bevorzugen und allen eine gute Ausbildung ermöglichen, doch schon jetzt ist klar, dass es schwer für sie werden wird, die Studiengebühren für die jüngste Tochter aufzubringen.

Im Winter ist die einzige Straße zu dem abgelegenen Dorf im Unionsterritorium Ladakh gesperrt. So bleibt nur der Fußweg namens  Chaddr am Rande eines Flusses, der teilweise zufriert. Zu Beginn der Winterferien holt der Vater Tsangyang in Leh ab und marschiert mit ihr über 100 Kilometer durch das enge, steile Tal am eiskalten Fluss entlang bis Zangla. Auf dem viertägigen Marsch müssen sie immer wieder gefährliche Stellen im Eis meistern, über Geröllfelder klettern und Hindernissen ausweichen.

Tsangyang bereitet sich bereits auf die Abschlussprüfungen vor. Sie hofft auf ein Stipendium für ein gutes College in Neu-Delhi und will Software-Ingenieurin werden. So möchte sie später ihren Eltern und ihrem Heimatdorf helfen. Vor allem die Landwirtschaft wird dort infolge des Klimawandels schwieriger, da im Winter immer häufiger der Schnee ausbleibt, der im Frühjahr das nötige Wasser für die Felder liefert. Dafür gingen im vorigen Sommer, wie Tundup Tsering erzählt, sintflutartige Regenfälle nieder, die einen großen Teil der Felder verwüsteten.

Erleichterung könnte eine neue Straße bringen, doch deren Bau kommt seit Jahrzehnten nicht recht voran. Tsangyang sieht das Projekt ohnehin skeptisch, denn über die Straße würden wohl viele Touristen anreisen. „Dann wird Zangla nicht mehr so ruhig und sauber sein“, klagt sie. 

Der Regisseur Minsu Park, der 1981 in der südkoreanischen Stadt Busan geboren wurde und an der Hochschule für Film und Fernsehen in München ein Kamerastudium absolviert hat, zeigt uns in ruhigen Bildfolgen abwechselnd den Alltag in Schule und Internat, das harte Leben im Dorf und den anstrengenden Fußmarsch. Zwischendurch erläutern Vater, Mutter und Tochter in Off-Kommentaren ihre Lebensumstände und persönlichen Erfahrungen.

Nach und nach erschließt sich, warum der Fußweg zwischen Schule und Dorf so riskant ist. Früher gab es eine feste Eisdecke, so dass man sicher darauf gehen konnte. Heute jedoch ist das Eis oft brüchig. Fußgänger brechen leicht ein und verletzen sich. „Ich weiß, dass schon viele ihr Leben hier gelassen haben. Das macht mir Angst“, sagt Tsangyang. 

Bei der Schilderung der abenteuerlichen Wanderung unterlaufen der Regie allerdings unnötige Anschlussfehler. Mal sehen wir den Vater mit einem Schlitten, auf den ein Rucksack gepackt ist, auf dem Pfad, mal ist er ohne das schwere Gepäck unterwegs, ohne dass wir erfahren, wo es geblieben ist. Insgesamt gibt die filmische Chronik, die bei der Weltpremiere auf dem Dok.fest München 2020 den Förderpreis Dokumentarfilm gewonnen hat, jedoch einen anschaulichen Einblick in den Alltag der Dorfbewohner im Himalaya, deren subsistenzwirtschaftliche Lebensform vom Klimawandel auf lange Sicht untergraben wird.

 

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