Eine alleinerziehende Mutter in der marokkanischen Provinz will nicht mehr mit Popmusik in Bars und Clubs auftreten, sondern in Casablanca anspruchsvolle traditionelle Lieder singen. In dem Außenseiterdrama von Nabil Ayouch scheitert sie an vielen Hürden.
Die junge Sängerin Touda schlägt sich in einer marokkanischen Kleinstadt mit Auftritten auf Hochzeiten, in Clubs und Kneipen mehr schlecht als recht durch. Wenn sie abends eingängige Schlager und Popsongs zum Besten gibt, hat sie oft mit anzüglichen Bemerkungen und Übergriffen von Männern zu kämpfen. Sie muss auch für ihren neunjährigen taubstummen Sohn Yassine sorgen, der in der Schule gemobbt wird. Eine eigene Schule für Kinder mit solchen Einschränkungen gibt es in der ländlichen Region nicht.
Touda träumt davon, eine Sheika zu werden und Aitas aufzuführen – das sind traditionelle Lieder über Freiheit, Liebe und Widerstand, mit denen solche Künstlerinnen in ihrer Heimat im 19. Jahrhundert berühmt wurden. Mühsam bringt sich Touda Texte und Melodien selbst bei und zieht nach Casablanca, wo sie auf bessere Chancen hofft. Dort gibt es auch eine Taubstummenschule, die bereit ist, ihren Sohn probeweise aufzunehmen, den sie zunächst bei ihren Eltern in einem abgelegenen Bauerndorf zurückgelassen hat.
Bittere Erfahrungen
Doch die ersten Schritte in der glitzernden Metropole sind schwieriger als gedacht. „Alle lieben Touda“ – mit diesen Worten kündigt ein smarter Moderator auf Französisch einen Auftritt der attraktiven Sängerin in einem Luxushotel in Casablanca an. Zwar begeistert Sheika Touda das wohlhabende Publikum mit ihrer mitreißenden Performance. Aber auch hier bietet ihr ein Zuhörer prompt Geld für Sex. Dass Männer, vor allem, wenn sie betrunken sind, Touda gleichsam als Freiwild betrachten, diese bittere Erfahrung kennt sie: In der drastischen Eröffnungssequenz des Films wird sie nach einer stimmungsfrohen Party auf dem Land im nahen Wald Opfer einer Gruppenvergewaltigung.
In Casablanca tritt sie am nächsten Abend trotzdem wieder auf und singt. Die Demütigungen, die sie als alleinstehende Frau in einer patriarchalischen Gesellschaft immer wieder erfährt, halten sie nicht davon ab, auch sexuell selbstbestimmt zu handeln. So trifft sie sich hin und wieder mit einem gut aussehenden, verheirateten Polizisten zu einem Stelldichein.
Eine Wand aus Ignoranz und Engstirnigkeit
Mit ihrem Ehrgeiz stößt die Sängerin auf eine Wand aus Ignoranz und Engstirnigkeit. Sowohl in den Clubs und Bars in der Provinz als auch in Casablanca wollen die Geschäftsführer von den traditionellen Aitas nichts wissen. Sie kalkulieren kühl, dass ihr Publikum sich lieber bei fröhlicher Popmusik vergnügt. Auch ihre Kolleginnen lehnen Toudas künstlerische Ambitionen ab. Allein bei einem altgedienten Geiger, der, so sagt er, seit 30 Jahren in Casablanca ohne jeden Urlaubstag musiziert, findet die Protagonistin Verständnis und fachkundige Beratung. Ihre Hoffnung, als Sheika in der Großstadt ihren Lebensunterhalt zu verdienen, scheint am Ende zu scheitern.
Die Schauspielerin Nisrin Erradi zeigt als aufstrebende Sängerin eine mitreißende Leistung. Aber so schwungvoll die vielen Performances der Sängerin im Film des erfahrenen marokkanischen Regisseurs auch wirken, sie wiederholen sich allzu oft. Insgesamt zeichnet Ayouch ein deprimierendes Bild vom Kulturleben des arabischen Landes und eine niederschmetternde Analyse der männlich dominierten Machtstrukturen.
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