Verstehen allein löst keine Probleme

Helmut Danner
Das Ende der Arroganz
Afrika und der Westen – ihre Unterschiede verstehen
Brandes & Apsel, Frankfurt a.M. 2012, 253 Seiten, 24,90 Euro

Helmut Danner, früher Mitarbeiter einer politischen Stiftung in Ägypten, Kenia und Uganda, zieht Bilanz aus seinen langjährigen Erfahrungen: Er fordert einen Dialog auf Augenhöhe zwischen dem Westen und Afrika.

Die Forderung verdeutlicht, dass ein solcher Dialog in der langen Geschichte europäisch-afrikanischer Beziehungen nach Ansicht Danners nicht stattgefunden hat. Es geht ihm um die Perspektive künftiger Entwicklung, sein Erklärungsansatz für die bisherigen Fehlentwicklungen beruht aber vor allem auf seiner Bewertung der geistigen Dimension: Entwicklungszusammenarbeit könne nur gelingen, wenn „gegenseitiges Verstehen“ vorhanden ist.

Der Kern des Buches besteht in der Erläuterung der unterschiedlichen Sichtweisen der Welt in Afrika und dem Westen sowie der (hermeneutischen) Grundsätze des gegenseitigen Verstehens. In Afrika steht die Gemeinschaft im Mittelpunkt und die Spiritualität spielt eine hervorgehobene Rolle. In Europa kommt dem Individuum eine große Bedeutung zu und im Zuge der Aufklärung hat sich die Rationalität als vorherrschendes Erklärungsmuster der Welt durchgesetzt.

Zwar enthält die Erörterung dieser Positionen auch manche Differenzierung, dennoch ruft sie – vor allem was die afrikanische Weltsicht anbelangt –Ausführungen von Senghor zur Négritude in den 1960er Jahren und Ideen von Teilhard de Chardin über die für Afrika typische spirituelle Erfassung der Welt in Erinnerung. Leider geht Danner auf Kritik an diesen Auffassungen aus afrikanischer Sicht, nicht zuletzt des nigerianischen Nobel-Preisträgers Wole Soyinka, nicht ein.

Die Gegenüberstellung unterschiedlicher Sichtweisen am Beispiel der Beschneidung von Mädchen offenbart schwer vereinbare Positionen. Erfüllt sie aus afrikanischer Sicht die Funktion, die Mädchen in die Gemeinschaft der erweiterten Familie zu integrieren, stellt sie in westlicher Sicht eine nicht akzeptable Menschenrechtsverletzung dar. Gegenseitiges Verstehen ist ohne Frage erstrebenswert, aber Probleme löst es noch nicht. Das weiß auch Danner, der selbst Position bezieht, aber er will in seinem Buch in erster Linie auf die Bedeutung des Verstehens hinweisen.

Das Buch enthält für den weniger Afrika-kundigen Leser manche interessante Beobachtungen und Einblicke, meist aus Kenia. Die etwas schablonenhafte Kontrastierung von afrikanischer und westlicher Denkweise wirkt jedoch aus heutiger Sicht, auch für den Leser, der Danners Kritik an der westlichen Arroganz gegenüber Afrika  teilt, nicht wirklich befriedigend.

In den interdisziplinären cultural studies (Kulturwissenschaften) wird seit geraumer Zeit schon – im Unterschied zu der Kulturanalyse à la Huntington – über hybride Kulturformen nachgedacht, die aus der Interaktion unterschiedlicher Kulturkreise entstehen.

Peter Meyns

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