Abdourahman A. Waberi
Tor der Tränen
Edition Nautilus, Hamburg 2011,
160 Seiten, 16 Euro
Mit der scharfzüngigen Satire auf die globalen Nord-Süd-Verhältnisse „In den Vereinigten Staaten von Afrika“ hat der in Dschibuti geborene Abdourahman A. Waberi zuletzt in Deutschland auf sich aufmerksam gemacht. Nun liegt ein weiterer Roman des vielfach ausgezeichneten Schriftstellers auf Deutsch vor. Er erzählt von den Zwillingsbrüdern Dschibril und Dschamal, die 1977 am Tag der Unabhängigkeit ihres Landes Dschibuti von Frankreich geboren und schon früh von ihrer Mutter, die sie gegeneinander ausspielte, entzweit wurden.
„Djib“ wird im kanadischen Exil ein „neuer Mensch“ und Repräsentant der globalen Elite im Dienste der „großen militärisch-industriellen Konglomerate“. Als Agent einer Sicherheitsfirma kehrt er in seine Heimat zurück. Er soll sich vergewissern, dass „das Land sicher, die Situation stabil und die Terroristen unter Kontrolle sind“. Der arme Staat am Horn von Afrika ist auf dem geopolitischen Schachbrett der Großmächte ein neuralgischer Punkt. Internationale Truppen überwachen das „Tor der Tränen“ zum Roten Meer, wo Piraten, Islamisten und Handelsschiffe unterwegs sind.
Immer stärker wird Dschibril von Kindheitserinnerungen überwältigt. Er, der den Namen „Engel des Propheten“ trägt, identifiziert sich mit dem „Engel der Geschichte“, über den der von Dschibril verehrte Walter Benjamin geschrieben hat: „Aber ein Sturm weht vom Paradiese her (… ) Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.“
Und diesen Sturm bekämpft sein Zwillingsbruder Dschamal. Im Hochsicherheitsgefängnis wartet der islamistische Terrorist auf die Vollstreckung seines Todesurteils. Während er die Predigten seines „erhabenen Meisters“ notiert, richtet er seine Gedanken an den Bruder, der ihn damals verlassen hat, als er arbeitslos und verzweifelt war: „Vor Wut reihte ich Diebstahl an Diebstahl, ich hatte keine Hoffnung mehr, aber Allah, der Unparteiische, verfügt über unerschöpfliche Reserven, um uns zu trösten.“ In einer radikalen, gewalttätigen Gruppe fand er „den Frieden des Herzens“. Aber auch der Islamist findet zu Walter Benjamin. In einem Erdloch seiner Zelle entdeckt er eine Biografie des Geschichtsphilosophen.
Dschibril nähert sich dem Bruder an: „Inzwischen machen mir das Heilige und Spirituelle keine Angst mehr. “ Umgekehrt lässt sich der fanatische Bruder von Benjamin einnehmen, entdeckt in seiner Philosophie sogar Parallelen zum eigenen Leben. Abdourahman Waberi gibt dem verfolgten Exilanten die Rolle des Friedensstifters. In der Realität aber behält der Krieg die Oberhand. Einst und heute. Am Ende des Romans wird Dschibril erstochen. Abdourahman Waberi hat eine höchst intellektuelle, manchmal etwas konstruierte Geschichte am Puls der Zeit geschrieben, die den Leser mit der einzigartigen Sicht eines afrikanischen Denkers zwischen den Welten konfrontiert.
Birgit Morgenrath
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