Heilsame Selbstbegrenzung

 

Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), u.a. (Hg.)
Gelobtes Land? 
Land und Staat Israel in der Diskussion
Gütersloher Verlagshaus, 
Gütersloh 2012, 128 Seiten, 6,99 Euro

Sie müssen etwas richtig gemacht haben, die Verfasser dieser Orientierungshilfe zu „Land und Staat Israel“. Denn anders ist die heftige Kritik, die sie aus unterschiedlichen Richtungen erhält, kaum erklärbar. So meint der evangelische Präsident des Koordinierungsrates der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, Ricklef Münnich, um einen weiterführenden Beitrag zur Diskussion um Staat und Land Israel zu leisten, hätte die Studie „mehr Farbe bekennen“ müssen. Dass etwa die Deutung des Staates Israel als „Zeichen der Treue Gottes zu seinem Volk“ mit einem „kann“ versehen wird, enttäuscht ihn – und er hat auch gleich eine Erklärung parat: „Der Grund dürfte in unausgesprochener Rücksichtnahme auf Muslime und palästinensische Christen liegen.“


Kritik aus anderer Richtung kommt von dem Historiker und Publizisten Reiner Bernstein, der in den vergangenen Jahren die israelisch-palästinensische „Genfer Initiative“ in Deutschland vertreten hat. Er stößt sich ebenfalls an dem, was die Autoren zum „Zeichen der Treue Gottes“ schreiben. Doch er zweifelt grundsätzlich, ob die Legitimität des Staates Israel überhaupt einer christlich-theologischen Rechtfertigung bedürfe, „zumal, da die israelische Politik alles daransetzt, diese Legitimität systematisch zu untergraben“.

Einig sind sich Münnich und Bernstein darin, dass die Orientierungshilfe dem eigenen Anspruch nur bedingt gerecht wird, „die oft hoch emotional und polarisierend geführte Diskussion um Land und Staat Israel zu versachlichen“. Doch vielleicht deuten die unterschiedlichen Begründungen der Kritik darauf hin, dass den Verfasserinnen und Verfassern die Studie alles in allem recht gut gelungen ist.

Ebenso knapp wie konsistent wird da in die Auseinandersetzungen um „verheißenes“, „heiliges“ oder „gelobtes“ Land sowie um Land und Staat Israel in der Bibel, im nachbiblischen Judentum, in Kirchen- und Theologiegeschichte sowie in der gegenwärtigen Debatte eingeführt. Manches ist kurz –  einiges zu kurz –  dargestellt, und es fehlen Teile der Geschichte. Man kann dem Verfasserkreis vorwerfen, tendenziös ausgewählt zu haben.

Man kann aber auch zu dem Urteil kommen, dass der Platz in einer kompakten Orientierungshilfe nicht ausreicht, um alles so umfassend und differenziert zu sagen, wie es im Grunde hätte gesagt werden müssen. Doch da gibt es Kleinigkeiten, die richtig stören. Wenn das Thema „Der Staat Israel und wir Christen“ behandelt wird, dann sind mit den Christen nur die Christen in Deutschland gemeint. Orientierungshilfe und Kritik sind durchgehend von einer sehr deutschen „Gefühligkeit“ geprägt, die in anderen christlichen Kontexten häufig nur schwer verständlich ist. Der Satz „Wir bejahen das Existenzrecht des Staates Israel“ muss eigentlich nicht mehr gesagt werden. Schon gar nicht zweifach. Denn wer diese simple Selbstverständlichkeit in Frage stellt, mit dem ist ohnehin nicht mehr zu diskutieren.

Im letzten Kapitel geht es dann um Israel als „Zeichen der Treue Gottes“ – wie es die Rheinische Synode 1980 in einer Entschließung formuliert hat. Die Rückkehr von Jüdinnen und Juden in das Land Israel und die Gründung des Staates 1948 seien „für Christen kein unmittelbar religiöses Ereignis“, stellen die Autoren der Orientierungshilfe fest. Aber: Die Staatsgründung könne als ein Mittel erscheinen, um Jüdinnen und Juden angesichts der Konflikte im Nahen Osten ein Leben in Recht und Frieden zu ermöglichen. „In diesem Sinne kann die Gründung des Staates Israel als ein ‚Zeichen der Treue Gottes zu seinem Volk‘ gedeutet werden.“

In diesem Zitat zeigt sich eine erhebliche Ernüchterung derer, die sich oft seit Jahrzehnten mit viel Engagement am jüdisch-christlichen Dialog beteiligen. Zurückhaltener kann man aus dieser Perspektive wohl kaum von der theologischen Bedeutung des Staates Israel sprechen. Doch immerhin wird ausdrücklich an der Möglichkeit festgehalten, die Gründung des Staates Israel als ein „Zeichen der Treue Gottes zu seinem Volk“ zu verstehen. In den 1980er Jahren sprachen manche Theologieprofessoren noch ganz selbstverständlich von der „Verwerfung“ Israels und vom „Spätjudentum“. Sie mussten erst darauf gestoßen werden, dass sich mittlerweile ein höchst lebendiges Judentum wieder zusammengefunden hatte, das mit der Gründung des Staates Israel den biblischen Landverheißungen einen modernen Realisierungsrahmen gab. Der Satz vom „Zeichen“ war ein wichtiger Aufbruch – zumindest ein Augenöffner. Viel mehr will ein biblisch verstandenes Zeichen gar nicht sein.

Natürlich muss man sich auch fragen, was mit denen ist, die in dieser Staatsgründung kein solches Zeichen Gottes sehen können – weil sie nämlich in der Folge ihr Land verloren haben. Wenn man beides im Blick behält, dann versteht man, wie kontextuell Theologie betrieben werden muss. Die immer neue Herausforderung, im rechten Moment das rechte Wort zu sagen, ist ihre Stärke und zugleich eine heilsame Selbstbegrenzung. Von solcher Selbstbegrenzung ist auch die Orientierungshilfe „Gelobtes Land?“ geprägt – und liefert somit einen hilfreichen Beitrag zur Versachlichung der Debatte. (Uwe Gräbe)

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