Kalorienzählen reicht nicht

Hans Konrad Biesalski
Der verborgene Hunger. 
Sattsein ist nicht genug
Springer-Verlag, Heidelberg 2012, 
307 Seiten, 24,95 Euro

Zwei Drittel der Menschheit sind laut Biesalski nicht ausreichend mit lebenswichtigen Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen versorgt – sie leiden an verborgenem Hunger. Er tritt auch in Industrieländern auf, aber in armen Ländern ist er ein gravierenderes Problem. Denn er behindert die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung.  Ursache ist die Armut: Sie verhindert, dass die Menschen sich mit quantitativ und qualitativ ausreichender Nahrung versorgen können. 

In seinen Ausführungen beleuchtet der Ernährungswissenschaftler den Zusammenhang zwischen Mangel an Mikronährstoffen wie Vitamin A, Jod, Zink und Eisen und der Entwicklung der Kinder. Im Blick hat er dabei sowohl die Zeit im Mutterleib als auch die nach der Geburt bis zum fünften Lebensjahr. Anhand zahlreicher Studien macht er deutlich, dass verborgener Hunger die geistigen und körperlichen Fähigkeiten der Kinder massiv beeinträchtigt. Und als Erwachsene sind einst mangelernährte Kinder weniger leistungsfähig und verdienen damit weniger.

Verborgener Hunger wird von Generation zu Generation weitervererbt. Eine mangelernährte Mutter kann ihr heranwachsendes Kind nicht im nötigen Umfang mit den lebensnotwendigen Mikronährstoffen versorgen. Der neuen Generation wird das Defizit bereits in die Wiege gelegt. Das ist auch der Fall, wenn die Mutter genug Kalorien zu sich nimmt. „Satt sein ist nicht genug“, betont Biesalski. Er kritisiert die Hunger-Berechnungen der Welternährungsorganisation FAO und der Weltgesundheitsorganisation WHO, die auf rein quantitativen Annahmen beruhen, und kommt zu dem Schluss, dass die Welternährung im Jahr 2050 keinesfalls gesichert ist. Nur die Steigerung der Erträge sei, so der Autor, nicht ausreichend, um den verborgenen Hunger zu bekämpfen.

Unzählige Studien werden zitiert und ausgewertet, die den Zusammenhang zwischen Armut und ihren Ursachen, aber auch zwischen Börsenspekulationen mit Grundnahrungsmitteln oder der Biospritherstellung und dem verborgenen Hunger belegen. Ebenso beleuchtet der Autor die gängigen Bekämpfungsstrategien gegen den verborgenen Hunger. Allein die Diversifizierung der Nahrung sei langfristig Erfolg versprechend. Daher plädiert Biesalski in seinem Buch auch für die Förderung von  Subsistenzlandwirtschaft und Ernährungssouveränität.

In dem Buch gibt es keine Seite ohne Zahlen, und das ist gleichzeitig einer seiner Schwachpunkte. Man verliert sich schnell in den Einzelheiten und läuft Gefahr, den roten Faden zu verlieren. Diese Detailverliebtheit macht das Werk zu einer schweren Kost für Leser, die mit der Materie nicht so vertraut sind und sich einen Überblick verschaffen wollen. Eine  Zusammenfassung mit den wichtigsten Zahlen und Argumentationssträngen hätte dem Buch gut getan. Auch wer neue Strategien und Konzepte erwartet, wird enttäuscht sein. Es wird lediglich Bekanntes referiert und bewertet.

Trotz dieser Mängel ist es ein lesenswertes Buch. Denn dem Autor ist es gelungen, den Zusammenhang zwischen Armut und Ernährung oder, besser gesagt, Mangelernährung klar und eindeutig herauszuarbeiten. Und er schlägt eine Brücke zwischen uns in Deutschland und den Menschen in den Entwicklungsländern. Hunger, verborgener Hunger, geht uns alle an. (Beate Wörner)

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