In Chinas Banken tickt eine Schuldenbombe

In der Volksrepublik droht die nächste Finanzkrise, weil Banken über Jahre leichtfertig Geld verliehen haben. Das hat zwar in der weltweiten Rezession das Wirtschaftswachstum hoch gehalten. Aber die Geldschwemme hat eine Immobilienblase hervorgebracht, unsinnige öffentliche Investitionen ermöglicht und verschwenderische Staatsunternehmen finanziert. Wenn die Kredite fällig werden, droht ein Zahlungsausfall in Milliardenhöhe.

Banken brechen aus unterschiedlichen Gründen zusammen, aber der Ursprung ist stets derselbe: eine explosionsartige Ausweitung der Kredite. Angesichts dieses Gesetzes der Finanzkatastrophen sollten wir uns große Sorgen über die leichtfertige Kreditvergabe in China in den vergangenen Jahren machen. Von Anfang 2009 bis Ende Juni 2012 haben chinesische Banken ungefähr 35 Billionen Yuan – umgerechnet etwa 4,3 Billionen oder  4300 Milliarden Euro – an neuen Krediten vergeben. Das entspricht fast drei Viertel des chinesischen Bruttosozialprodukts von 2011. Etwa zwei Drittel dieser Darlehen wurden 2009 und 2010 als Teil des staatlichen Pakets zur Stimulierung der Wirtschaft vergeben. Es wurde zu mindestens 60 Prozent mit Bankkrediten finanziert – anders als die Konjunkturprogramme im Westen, die hauptsächlich über Staatsdefizite, also mit Kreditaufnahme des Staates, finanziert wurden.

Chinas Regierung hat mit dieser Kreditschwemme ihr Hauptziel erreicht: mitten in einer weltweiten Rezession das Wirtschaftswachstum hoch zu halten. Rund um die Welt erntete sie Beifall für ihre Entschiedenheit und ihren ökonomischen Erfolg. Doch die umfangreichen Kredite haben die Grundstückspreise hochgetrieben, die Verschwendung in staatlichen Unternehmen finanziert und Lokalregierungen Investitionen in schlecht durchdachte Infrastruktur-Projekte ermöglicht. Das Ergebnis war vorhersehbar: Die jahrelangen, schmerzhaften Anstrengungen, das chinesische Bankensystem zu stärken, wurden von einer Flut sorgloser Darlehen zunichte gemacht – neue faule Kredite begannen sich aufzutürmen.

Autor

Minxin Pei

lehrt Politikwissen- schaften am Claremont McKenna College und ist Gastwissenschaftler beim German Marshall Fund of the United States.

Als Chinas Notenbank und die Bankenaufsicht Ende 2010 Alarm schlugen, war es schon zu spät. Lokalregierungen hatten die Chance auf lockere Kredite genutzt, um einen Schuldenberg anzuhäufen; das meiste Geld hatten sie für Prestigeprojekte oder unwirtschaftliche Investitionen verschwendet. Der Nationale Rechnungshof Chinas stellte im Juni 2011 fest, dass die Schulden der Lokalregierungen Ende 2010 sich auf insgesamt 10,7 Billionen Yuan summierten. Doch der Politikwissenschaftler Victor Shih von der Northwestern University in den USA schätzt, dass die Summe in Wahrheit zwischen 15,4 und 20,1 Billionen Yuan lag, das heißt zwischen 40 und 50 Prozent des Sozialprodukts. Davon, so Shih weiter, entfielen Ende 2010 zwischen 9,7 und 14,4 Billionen Yuan Schulden auf die so genannten kommunalen Finanzierungsvehikel – das sind Finanzinstrumente, die Lokalregierungen geschaffen haben, um in Infrastruktur und andere Projekte zu investieren.

Diese Zahlen sollten jeden schaudern lassen, der ein bisschen über den Zustand dieser kommunalen Finanzierungsvehikel weiß. Sie sind in China bekannt dafür, gutes Geld ins Nichts zu versenken. Dass sie einen solchen Berg Schulden aufnehmen, kann nur eins bedeuten: Eine Welle von Zahlungsausfällen steht bevor, sobald die Projekte, in denen die Vehikel große Summen angelegt haben, keine echten Erträge erbringen. Wenn ein Zehntel der Darlehen notleidend wird – eine sehr vorsichtige Schätzung –, sprechen wir über faule Kredite von 1 bis 1,4 Billionen Yuan. Sollte der Anteil ein Fünftel erreichen, was viel wahrscheinlicher ist, dann müssten Chinas Banken 2 bis 2,8 Billionen Yuan abschreiben. Das würde mit Sicherheit ihre Bilanzen ruinieren.

Man muss der chinesischen Regierung zugutehalten, dass ihr die Gefahr dieser tickenden Schulden-Zeitbombe bewusst war. Leider hat sie zu einer Lösung gegriffen, die das Unvermeidliche nur verzögert. In der ersten Hälfte 2012 ermächtigte Peking die Banken, den Termin, zu dem die Lokalregierungen fällige Bankkredite zurückzahlen müssen, um ein weiteres Jahr hinauszuschieben. Sehr wahrscheinlich sollte so das schwelende Problem im Finanzsektor für das Jahr, in dem die Staatsführung wechselt, verborgen werden.

Doch die Lokalregierungen sind nicht die einzigen Schuldigen an der Kreditblase. Auch andere haben sich an der Orgie von Leihen und Ausgeben beteiligt. Zum Beispiel müssen Immobilienentwickler, die im Verhältnis zum Eigenkapital mit zu viel geliehenem Kapital arbeiten, nun darum kämpfen, dem Bankrott zu entkommen. Die Medien in China haben über mehrere Selbstmorde von bankrotten Immobilieninvestoren berichtet. Einige sind auch einfach verschwunden. Laut einem Bericht in der „South China Morning Post“ vom Mai 2012 sind 47 Eigentümer im Jahr 2011 abgetaucht, um der Rückzahlung von Bankkrediten in Milliardenhöhe zu entgehen.

Chinesische Industrieunternehmen, private wie staatliche, könnten als nächste betroffen sein. Ihre Profitmargen sind notorisch niedrig. Aufgrund der Überkapazitäten in der chinesischen Wirtschaft wird ein Rückgang des Wirtschaftswachstums zu schnell wachsenden Lagerbeständen und einem Überangebot an unverkäuflichen Gütern in allen Industriezweigen führen. Wenn die Unternehmen sie mit Preisnachlass verkaufen, um die Lager zu leeren, werden sie Verluste einfahren. Ein Teil der Kredite, die sie in guten Zeiten bekommen haben, wird mit Sicherheit faul werden.

Um der Bankenaufsicht zu entgehen, tauchen Finanzprodukte, die vermögenden Chinesen mehr Rendite bieten, nicht in den Bankbilanzen auf

Die Gefahr eines Finanz-Tsunamis ist jedoch am größten in Chinas System der Schattenbanken. Spareinlagen bringen in Chinas Banken kaum Zinsen, denn die Raten sind staatlich reguliert. Die Banken konkurrieren aber um Spareinlagen der Chinesen und um neue Geschäftsfelder, auf denen sie Gebühren einnehmen können. Infolge dessen ist in China ein komplexes und unreguliertes System von Schattenbanken entstanden und in den vergangenen paar Jahren erheblich gewachsen. Typischerweise bieten Schattenbanken sogenannte Produkte zur Reichtumsverwaltung an – das sind kurzfristige Finanzanlagen, die eine wesentlich höhere Rendite versprechen als Spareinlagen. Um der Bankenaufsicht zu entgehen, tauchen diese Produkte nicht in den Bankbilanzen auf. Laut Charles Chu, einem angesehenen Bankanalysten der Ratingagentur Fitch, waren in China Ende Juni 2012 etwa 10,4 Billionen Yuan in Produkten zur Reichtumsverwaltung angelegt, etwa 11,5 Prozent aller Bankeinlagen.

Dieses Kapital wird dann wieder als Kredite vergeben, zu einem Gutteil an Privatunternehmer oder Immobilienentwickler, die im offiziellen Bankwesen keine Darlehen bekommen. Sie müssen deshalb höhere Renditen versprechen. Das bedeutet offensichtlich auch höhere Risiken. Wie viele dieser Kredite notleidend sind, ist unmöglich abzuschätzen, aber wenn man zurückhaltend von zehn Prozent ausgeht, bedeutet das eine weitere Billion möglicher Verluste für Banken.

Das Schattenbankensystem hat noch eine andere Funktion: Geld an Kreditnehmer oder in Tätigkeiten zu leiten, die offiziell nicht zugelassen sind. In den vergangenen beiden Jahren hat der chinesische Staatsrat versucht, aus der Immobilienblase Luft abzulassen, indem er den Umfang der Bankdarlehen an Immobilienentwickler begrenzte. Doch Banken können diese Regeln umgehen, indem sie Geld vorgeblich untereinander verleihen, es aber in Wahrheit an klamme Immobilienentwickler leiten. Sie tun dies aus einem Überlebensinstinkt: Wenn sie Firmen, die große Kredite erhalten haben und praktisch im Zahlungsrückstand sind, kein neues Geld leihen würden, dann müssten sie ihre alten Kredite als notleidend deklarieren und Verluste hinnehmen. Die neuen Kredite erscheinen in den Büchern der chinesischen Banken als Forderungen gegen andere Finanzinstitute. Die machen laut einem Bericht im „Wall Street Journal“ heute 43 Prozent der offenen Forderungen aus, 70 Prozent mehr als Ende 2009.

Es beunruhigt, dass keines dieser enormen Risiken in den Finanzerklärungen der chinesischen Banken erscheint. Die größten staatseigenen Banken haben zuletzt alle solide Erträge, hohe Eigenkapitalanteile und ein geringes Maß an notleidenden Krediten ausgewiesen. Deren Anteil an den ausstehenden Darlehen im Bankensektor insgesamt beträgt nur ein Prozent. Wenn nicht alles täuscht, versuchen die chinesischen Banken, die Mutter aller Schuldenbomben zu verbergen.

(Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung von http://thediplomat.com.)

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erschienen in Ausgabe 10 / 2012: Spuren des Terrors
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