München zeigt die Ausstellung „Decolonize“

Straßennamen erinnern in manchen Städten an die deutsche Kolonialgeschichte. Die Kommunen streiten über einen angemessenen Umgang mit dem schwierigen Erbe. Nach Hamburg und Berlin stellt sich jetzt auch München mit einer Ausstellung im Stadtmuseum der Diskussion.

Mit der Ausstellung „Decolonize München“ richtet die bayerische Landeshauptstadt den Blick auf die Zeit, in der Deutschland Kolonialmacht in Afrika war. Sie erläutert historische Hintergründe zu den belasteten Straßennamen und stellt wenig bekannte Widerstandskämpfer aus Kamerun und Tansania gegen die deutschen Kolonialherren vor. In Video-Clips kommen Afrikaner mit ihrer Einschätzung der deutschen Herrschaft zu Wort. Sie wollten „die vermeintlich banale Alltäglichkeit kolonialistischer Weltbilder“ an die Oberfläche holen, schreiben die Ausstellungsmacher.

Die Ausstellung  spiegelt das zunehmende Interesse am Umgang mit der kolonialen Vergangenheit im öffentlichen Raum wider. Organisationen von Migranten und der Black Community drängen darauf, dabei stärker als bislang die Perspektive Afrikas zu berücksichtigen. Initiativen stoßen sich daran, dass Straßennamen unkommentiert an ehemals eroberte Gebiete, an die Orte von Massakern durch deutsche Kolonialtruppen oder an gewalttätige Akteure des deutschen Kolonialismus erinnern.

Am meisten wurde bisher in Hamburg, Berlin und München diskutiert, aber auch in Bremen, Dortmund, Freiburg, Frankfurt, Köln, Rostock und Dresden engagieren sich Initiativen für die kritische Auseinandersetzung mit diesen kolonialen Spuren. Es gibt Kampagnen zur Rückforderung geraubter Kulturgüter, Forderungen nach Straßenumbenennungen und Aktionen im öffentlichen Raum, um das Bewusstsein für dieses Erbe zu schärfen. 

Christian Kopp von der Berliner „Initiative Postkolonial“, hält das gestiegene Interesse für mehr als eine Modererscheinung. Der Perspektivwechsel sei eine Folge der Migration nach Europa in den vergangenen Jahrzehnten, meint er. Die Einwanderer, vor allem aus Afrika, beteiligten sich heute stärker an der öffentlichen Diskussion. „Die Sicht auf die Geschichte wird globaler“, sagt Kopp. An den Universitäten öffnen sich Kultur- und Geschichtswissenschaften für die außereuropäische Perspektive.

Die Debatten werden häufig sehr emotional geführt

In München erhielten bisher zwei Straßen neue Namen. Unstrittig war die Umbenennung der Lothar-von-Trotha-Straße im sogenannten Kolonialviertel. Sie erinnerte an den Generalleutnant, der den  Genozid an den Herero in Namibia verantwortete, und heißt heute Herero-Straße. Der Ausländerbeirat forderte 2012, weitere zwölf Straßennamen in zwei Münchner Bezirken umzuändern. Bei vielen Anwohnern stößt dieses Ansinnen allerdings auf wenig Gegenliebe. In Berlin hat der Bezirk Mitte im Jahr 2011 beschlossen, das Afrikanische Viertel in einen Lern- und Erinnerungsort umzuwandeln. Dort haben alle Straßen Namen von Orten, die Deutschland als Kolonialbesitz beansprucht hat, oder von den Symbolfiguren dieses Eroberungswillens. In Hamburg hat der Kulturausschuss empfohlen, in Zusammenarbeit mit der Partnerstadt Daressalam, der Hauptstadt von Tansania, ein koloniales Erinnerungskonzept auszuarbeiten. Es soll noch in diesem Jahr vorgestellt werden.

Autorin

Claudia Mende

ist freie Journalistin in München und ständige Korrespondentin von „welt-sichten“. www.claudia-mende.de

Die deutschen Städte blicken dabei auch nach Großbritannien und Frankreich, wo die Aufarbeitung des unrühmlichen Kapitels seit Jahren ein wichtiges Thema ist. Die Stadt Liverpool hat mit ihrem 2007 eröffneten Anti-Sklaverei-Museum internationale Standards für die kritische Aufarbeitung gesetzt. Das weltweit einzigartige Museum informiert darüber, wie Liverpool im 18. Jahrhundert durch den transatlantischen Sklavenhandel zu Reichtum und Wohlstand gelangte. Ein Großteil der Schiffe, die Sklaven von Westafrika nach Amerika transportierten, wurde in der englischen Hafenstadt produziert. Ähnlich geht Nantes in Nordfrankreich vor. Die Stadt stellt sich ihrer Verstrickung in den Sklavenhandel mit einem Denkmal und einem Museum für die Abschaffung der Sklaverei. Die Ausstellung in München bleibt nicht in der Vergangenheit stehen. Auch heute noch sei der „weiße Blick“ auf die Welt die Norm, stellen die Ausstellungsmacher fest und bringen einige Beispiele aus dem Münchner Alltagsleben. In einer Reihe von Diskussionen geht es um Alltagsrassismus und ungerechte politische Strukturen. Als nächste Anwärterin für eine „Decolonize“-Ausstellung ist Bremen im Gespräch.Claudia Mende

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erschienen in Ausgabe 12 / 2013: Unser täglich Fleisch
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