Mindanao: Vertrauen dringend gesucht

Im Süden der Philippinen wird 2016 die muslimische Autonomieregion Bangsamoro errichtet. Manche Christen sehen das mit Sorge.

Rund 30 Frauen und Männer haben sich im Kindergarten von Nalapaan in kleine Plastiksessel gezwängt. Sie sitzen hinter den niedrigen Tischen und hören gespannt zu, was Toto Gamboa und Maggie Laus zu erzählen haben. Denn ab 2016 wird ihr Heimatort im Süden der philippinischen Insel Mindanao in der neugegründeten autonomen Region Bangsamoro liegen – und Gamboa und Laus bemühen sich, ihnen den geschichtlichen Hintergrund dieser Entwicklung zu erklären.

Mindanao, die zweitgrößte Insel der Philippinen, sei doppelt so groß wie die Schweiz oder dreimal so groß wie Belgien, erfahren die Bauern, von denen die meisten bisher noch nie von diesen Ländern gehört haben. Noch vor weniger als hundert Jahren waren die Muslime auf Mindanao in der Mehrheit. Für die spanischen Eroberer, die die Inselgruppe 1565 im Namen des Habsburger-Königs Philipp II. als Kolonie in Besitz nahmen, waren sie Mauren – auf Spanisch „Moros“. Der Name blieb, doch unterwerfen konnten die Spanier diese von arabischen Händlern islamisierten Ureinwohner nicht. Sie mussten sich damit begnügen, die Inseln im Norden zu missionieren. Ihre Militärpräsenz auf Mindanao blieb auf die Festung El Pilar in der Stadt Zamboanga beschränkt.

In den 1950er Jahren förderte die Zentralregierung in Manila die Zuwanderung von Christen nach Mindanao; damit wurden die muslimischen Einwohner zur Minderheit. Die christlichen Zuwanderer beanspruchten immer mehr Land, was in den 1970er Jahren zum Widerstand der Muslime führte: Bis vor kurzem tobte ein blutiger Konflikt zwischen den Rebellen der Moro Islamischen Befreiungsfront (MILF), die für einen eigenen Staat kämpften und den Truppen der philippinischen Regierung. Im März 2014 unterzeichneten die Rebellen ein Friedensabkommen mit der Regierung von Präsident Benigno Aquino III, das den Muslimen weitgehende Autonomierechte überträgt.

Ein Teil von Zentralmindanao sowie die Inseln Basilan, Jolo, Sulu und Tawi-Tawi sollen ein autonom verwaltetes Gebiet mit muslimischer Mehrheit werden. Bei den Schulungen in den Dörfern erklären Toto Gamboa und Maggie Laus den Menschen, was auf sie zukommt und welche Rechte sie haben werden. Und sie versuchen, den Christen, die in einem muslimischen Autonomiegebiet leben werden, die Angst zu nehmen. 

So soll die Scharia, das traditionelle islamische Recht, nur für die muslimische Bevölkerung gelten. Christen sind als Minderheit geschützt, sie genießen Religionsfreiheit und das Recht auf Eigentum. Was sie mit legalen Mitteln erworben haben, wird nicht angetastet. So steht es im Bangsamoro-Grundgesetz, dem Autonomiestatut, das in diesem Jahr vom Kongress in Manila und durch ein regionales Referendum abgesegnet werden muss. Auch der Schutz der indigenen Stammesgebiete ist garantiert. 

Die Muslime sind in Nalapaan in der Mehrheit, auch einzelne christliche Familien leben hier. Der 60jährige Dionesio Catanus hat das Seminar im Kindergarten besucht. Der Christ blickt zuversichtlich in die Zukunft. Er verstehe sich gut mit den muslimischen Nachbarn. Das Seminar habe ihm geholfen, die Geschichte besser zu verstehen, sagt er. Doch die ist von Feindschaft zwischen Christen und Muslimen geprägt. Abdullah Gandewaly etwa hat in seinen 73 Jahren viel Leid erlebt. „Das Schlimmste war, als wir in den 1970er Jahren vor Ilaga fliehen mussten. Ständig waren wir auf der Flucht. Meine Rinder und mein Wasserbüffel wurden geraubt.“

Illaga war eine paramilitärische Organisation der christlichen Siedler. Sie vertrieben vor bald 50 Jahren muslimische Gemeinschaften von ihrem angestammten Land. In Nalapaan erinnert man sich an abgehackte Gliedmaßen und organisierten Raub. Auch die Moros setzten sich damals mit bewaffneten Gruppen zur Wehr. Die Barracudas und die Black Shirts leisteten Widerstand gegen organisierten Landraub. Das war während der Herrschaft von Diktator Ferdinand Marcos von 1965 bis 1986.

Vor dem Büro der Organisation OMI-IRD in Pikit, für die auch Gambao und Laus arbeiten, weicht die Tageshitze den angenehmen Abendtemperaturen. In den Nachbargärten krähen die Kampfhähne, nebenan läuft im Fernsehen eine Telenovela. OMI steht für den Oblatenorden der Unbefleckten Jungfrau Maria, IRD für Interreligiösen Dialog. Robert Layson, den alle nur Father Bert nennen, kennt die Geschichte von Mindanao aus eigenem Erleben. „Anfangs begrüßten die muslimischen Bauern die Neuankömmlinge“, erzählt der Pater, der selbst als elfjähriges Kind mit den Eltern von der Insel Negros zuwanderte.

Die Stimmung schlug um, als die Siedler nicht mehr nur Brachland beanspruchten, sondern begannen, den Muslimen deren Ackerland durch Tricks und Gewalt wegzunehmen. Erst mit den Siedlern wurde das Grundbuch eingeführt. Und wer seinen Landtitel eintragen ließ, konnte den bisherigen Besitzer vertreiben. Diktator Marcos in Manila förderte das; und in den frühen 1970er Jahren eskalierte die Gewalt.

Dass heute ein Vertrauensverhältnis zwischen den einst verfeindeten Gruppen besteht, ist auch der Arbeit von Father Bert zu verdanken. Im Jahr 2000 beherbergte er monatelang muslimische Flüchtlinge in seiner Kirche in Pikit. Bei Nacht und Nebel half er, Tausende Frauen und Kinder vor einem drohenden Angriff der Armee zu evakuieren. „Wir sind unparteiisch“, stellt er klar: „Es geht uns nur darum, im Krieg die Menschlichkeit zu wahren und das Leben der Zivilbevölkerung zu schützen.“###Seite2###

Layson ist ein Pionier des interreligiösen Dialogs, der vor gut 20 Jahren von Pater Angel Calvo in Zamboanga ins Leben gerufen wurde. „Wir müssen erkennen, was uns eint und nicht was uns trennt. Wir glauben alle an einen Gott und sind für den Frieden“, sagt der Claretinerpater. Er  lebt seit 40 Jahren in der Region und versteht sich bestens mit aufgeklärten Muslimen wie dem Islamprofessor Ali Yacub. Der muss sich häufig mit fundamentalistischen Glaubensbrüdern auseinandersetzen. Viele hätten im Sudan studiert und seien mit radikalen Ansichten zurückgekehrt. „Sie predigen einen neuen Islam, der alle anderen Religionen ausschließt“, sagt Yacub. „Das ist falsch.“ Er begegne ihnen mit dem Koran – denn dieser belege, dass das Christentum dem Islam von allen Religionen am nächsten steht. Schwierigkeiten gibt es aber auch auf Seiten der Christen. Viele protestantische Pastoren hielten nichts vom interreligiösen Dialog, weil sie ihren Glauben als den allein richtigen betrachten, sagt der Presbyterianer Badi Alfaro von der Christian Missionary Alliance. Er selbst habe sich von Pater Angel Calov überzeugen lassen. Dennoch bleibt diese Offenheit eine Minderheitenposition unter christlichen wie muslimischen Geistlichen.

Und so seien viele Christen verunsichert, sagt Pilgrim Bliss Gayo, die Vertreterin des deutschen Kinderhilfswerks Terre des Hommes auf den Philippinen. Vor allem die Landfrage treibe sie um: Muss Land, das von den Vätern zu Unrecht erworben wurde, zurückgegeben werden? Außerdem sei in dem Bangsamoro-Abkommen nicht geregelt, wie Kriegsopfer entschädigt werden und was mit Kriegswaisen und Kindersoldaten geschehen soll.

Miriam Coronel-Ferrer, die Leiterin des Beratungsbüros des Präsidenten für den Friedensprozess, kann darin kein Problem erkennen. Jeder Landkonflikt müsse gesondert verhandelt werden: „Wir streben eine Justizverwaltung an, die die verschiedenen Rechtssysteme berücksichtigt. Da ist das säkulare nationale Recht neben dem Gewohnheitsrecht und der Scharia.“ Daneben gebe es noch verschiedene Mechanismen der außergerichtlichen Konfliktlösung.

Coronel-Ferrer ist optimistisch, dass mit dem Frieden Mindanao auch wirtschaftlich wieder auf die Beine kommt. Die Moro-Rebellen fordern keinen eigenen Staat mehr und bescheiden sich mit einer weitgehenden Autonomieregelung. Dafür konnten sie eine großzügige Lösung für den Reichtum der Region aushandeln. Der autonome Bangsamoro-Staat darf über die gesamten nichtmineralischen Rohstoffe verfügen, etwa über die Fischbestände, und über drei Viertel der metallischen Bodenschätze. An den Gewinnen aus der Förderung von Erdöl und Erdgas wird er zur Hälfte beteiligt.

Bislang ruhen viele dieser Schätze noch im Boden, da der Konflikt Explorationen verhindert hat. So wird nun mit steigenden Einnahmen aus Rohstofferlösen gerechnet. Die Zentralregierung in Manila und das autonome Bangsamoro würden gleichermaßen profitieren, meint Miriam Coronel-Ferrer. Und um die bewaffneten Gruppen, die manche Gegenden noch immer verunsichern, müsse sich die autonome Bangsamoro-Polizei kümmern, fügt sie hinzu.

Zu diesen Gruppen gehören die Bangsamoro Islamic Freedom Fighters (BIFF), eine vor allem von jungen Rebellen getragene Organisation, die sich mit den Zugeständnissen der Regierung im Friedens- und Autonomieabkommen nicht zufrieden gibt. Die BIFF haben Solidarität mit der Terrormiliz IS im Nahen Osten bekundet und wollen einen islamischen Staat auf Mindanao ausrufen. Die Anführer der MILF, Veteranen jenseits der 60, geben sich aber zuversichtlich, dass sie die rebellische Jugend zur Vernunft bringen werden. Schließlich ist auch die Bevölkerung kriegsmüde. 

Autor

Ralf Leonhard

war bis zu seinem plötzlichen Tod im Mai 2023 freier Journalist in Wien und ständiger Korrespondent von "welt-sichten".
Doch dann gibt es da noch die Moro National Liberation Front (MNLF). 1968 in Manila von muslimischen Studenten um Nur Misuari gegründet, stritt sie für ein unabhängiges Mindanao, allerdings unter sozialistischem, nicht unter islamischem Vorzeichen. Schon Diktator Marcos konnte 1976 ein Abkommen mit diesen Rebellen schließen. Seine demokratisch gewählte Nachfolgerin Corazon Aquino unterzeichnete eine weitere Vereinbarung, laut der die Anführer der MNLF wichtige Verwaltungsposten erhielten. Diese Regelung provozierte die Abspaltung der radikaleren MILF, die mehr wollte und den alten Kameraden Korruption vorwarf.

MNLF-Chef Nur Misuari dürfte sich vom Abkommen der MILF mit der Regierung übergangen gefühlt haben. Ein halbes Jahr bevor der Autonomiedeal unterzeichnet wurde, marschierte er mit fünf Hundertschaften bewaffneter Kämpfer in der Stadt Zamboanga ein. Angeblich wollten sie nur ihre Fahne auf dem Rathaus hissen, um Präsenz zu zeigen. Es folgte ein dreiwöchiges Blutbad, dem Dutzende Rebellen und zahlreiche Zivilisten zum Opfer fielen. Mehr als 100.000 Menschen verloren ihr Heim, weil die philippinische Armee die auf Stelzen errichteten Holzhäuser muslimischer Familien abfackelte. 

Noch immer werden nach der blutigen Schlacht vor mehr als einem Jahr Straßen repariert, kaputte Häuser wieder instandgesetzt. An vielen Fassaden sind noch die Einschusslöcher zu sehen. Die Obdachlosen wurden auf mehrere Massenlager verteilt. Im Stadion von Zamboanga leben mehr als 1400 Familien in primitiven Unterkünften; zwischen den Bretterbuden versickert das Abwasser. „Etwas Vergleichbares habe ich in keinem der Lager für die Opfer des Taifuns Hayan gesehen“, sagt Bliss Goyo von Terre des Hommes. Ob und wann die Obdachlosen neue Häuser erhalten, sei völlig unklar.

Das Blutbad von Zamboanga war für die MNLF-Rebellen nicht nur eine militärische, sondern auch eine politische Schlappe. Über 200 Kämpfer sitzen in Manila im Gefängnis. Anführer Nur Misuari ist auf Basilan oder Jolo untergetaucht. Doch immerhin hat die Führung der MNLF mit den Kommandanten der MILF das Gespräch gesucht. Im vergangenen November trafen sie sich in Manila und stimmten in den meisten Punkten überein. Das Abkommen mit der Regierung soll schließlich für alle gelten.

Die Zukunft Bangsamoros bleibt dennoch von mehreren Unbekannten überschattet: Werden die Moros imstande sein, ihren Autonomiestaat zum Modell zu machen – oder setzen sich die alten, von Korruption und den Interessen von Familienclans geprägten Strukturen wieder durch? Und wie wird die christliche Mehrheit der Philippinen mit Bangsamoro umgehen? Präsident Aquino drückt jedenfalls aufs Tempo. Bevor er im Juni 2016 aus dem Amt scheidet, will er vollendete Tatsachen schaffen.

 

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erschienen in Ausgabe 2 / 2015: Wohnen: Alle ab ins Hochhaus?
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