Vom Regime in die Enge getrieben

Vor den angekündigten Wahlen wächst in Birma der Druck auf Minderheitenvölker

Autorin

Nicola Glass

lebt als Journalistin nahe Hamburg. Sie hat von 2002 bis 2015 als freie Südostasien-Korrespondentin in Bangkok gearbeitet und mehrfach in Malaysia recherchiert. 2018 erschien ihr Buch „Thailand. Ein Länderporträt“.

Der Brief ist ein eindringlicher Appell: „Wir haben nur vorübergehend um Asyl in Thailand gebeten. Unsere Absicht ist es, so schnell wie möglich wieder nach Hause zu gehen“, heißt es darin. Das von regionalen Medien veröffentlichte Schreiben haben Angehörige der ethnischen Minderheit der Karen aus Birma verfasst. Sie sind im vergangenen Jahr aus ihrer Heimat im Osten des Landes nach Thailand geflohen – und das nicht zum ersten Mal. Immer wieder sind sie in der Vergangenheit zurückgekehrt. Aber, so machen die Karen in ihrem Brief deutlich, „wir müssen die Gewissheit haben, dass die Bedingungen für unsere Heimkehr sicher sind“.

Eben diese Sicherheit gibt es nicht. Die Karen wissen, was sie erwartet: Etliche Gebiete sind vermint, auch die rund um ihre heimatlichen Dörfer. Der Karen-Staat umfasst einige der am meisten von Landminen verseuchten Flächen in Birma. Außerdem gibt es kaum genug zu essen und Birmas Junta attackiert weiterhin die ländliche Bevölkerung. Thailand hingegen will die Flüchtlinge möglichst schnell wieder loswerden – wenn nötig, auch gegen deren Willen. Mit enormem Druck haben Menschenrechtler und Politiker aus dem In- und Ausland dafür gesorgt, dass die Regierung in Bangkok die Zwangsrepatriierung im Februar zumindest zeitweilig gestoppt hat.

Geflohen waren die Menschen vor neuen Militäroffensiven im Mai und Juni 2009. Birmas Armee und die mit ihr verbündete Miliz „Democratic Karen Buddhist Army“ (DKBA) hatten Stellungen der „Karen National Liberation Army“ (KNLA) angegriffen. Die KNLA, der bewaffnete Arm der Widerstandsorganisation „Karen National Union“ (KNU), kämpft für die Interessen ihrer mehrheitlich christlichen Volksgruppe. Doch beide Gruppierungen geraten immer schärfer unter Druck. Diesseits der Grenze, in Thailand, haben Polizei und Armee kürzlich bei Razzien die Häuser führender KNU-Mitglieder durchsucht. Und jenseits der Grenze führt die KNLA einen mittlerweile nahezu aussichtslosen Kampf gegen Birmas Militärregime.

Einen echten Frieden hat Birma noch nie gekannt

Die Köpfe des Widerstands wie die KNU-Generalsekretärin Zipporah Sein müssen sich bedeckt halten. Das Haus, in dem sie zurzeit arbeitet, liegt versteckt in einer Siedlung außerhalb der Grenzstadt Mae Sot, die Einfahrt ist gänzlich mit einer Plane verdeckt. Zipporah Sein ist eine freundliche Frau mit einem sanften, runden Gesicht. Ihre Augen aber beginnen zu funkeln, wenn sie über die Militäroffensiven spricht: „Die Junta hat ihre Verbündeten für diese Angriffe benutzt, und wie so oft waren vor allem kleine Dörfer betroffen“, sagt Sein. „Die Bewohner, die sich eigentlich um ihre Höfe kümmern wollten, waren gezwungen, sie zu verlassen.“ Die Flucht ins Ungewisse sei damals wegen der Regenzeit besonders schwer gewesen.

Die Attacken vom Frühsommer 2009 kamen nicht von ungefähr. Birmas Militärs planen Wahlen für dieses Jahr – die ersten seit zwanzig Jahren. Dazu brauchen sie Ruhe in den Grenzregionen. Die Junta versucht, ihre Gegner entweder mit Waffengewalt auszuschalten oder auf andere Weise unter Kontrolle zu bringen. Rebellen von Volksgruppen, mit denen das Regime einst Waffenstillstände geschlossen hat, sollen sich zum Beispiel in so genannte Grenzschutztruppen unter Befehl der Junta umwandeln lassen. Die größeren und am besten bewaffneten Rebellengruppen haben sich diesen Forderungen in den vergangenen Monaten allerdings widersetzt.

Einen echten Frieden hat Birma ohnehin nie gekannt: Die Waffenstillstandsabkommen haben höchstens für eine gespannte Ruhe gesorgt, und die KNU hat, von Splittergruppen abgesehen, nie eine offizielle Vereinbarung unterzeichnet. Im Karen-Staat halten die blutigen Kämpfe bis heute an. Birmas Militärs morden, plündern und brandschatzen, und viele Bewohner werden zu Vertriebenen im eigenen Land. „Ein Dorfbewohner hat mir berichtet, sie müssten Zwangsarbeit und Erpressungen erdulden“, sagt Poe Shan von der „Karen Human Rights Group“. Die Junta habe ihre Verbündeten von der „Democratic Karen Buddhist Army“ gezwungen, mehr Soldaten zu rekrutieren. „Aber die Einwohner wollten sich nicht anwerben lassen“, berichtet der Aktivist. Stattdessen seien die Männer des Dorfes vorübergehend in den Dschungel geflohen. Das „Thai Burma Border Consortium“, ein Zusammenschluss internationaler nichtstaatlicher Organisationen, schätzt, dass es allein im Osten Birmas mindestens 470.000 intern Vertriebene gibt.

Die Menschenrechtsverletzungen haben seit Mitte der 1980er Jahre mehrere hunderttausend Menschen zur Flucht nach Thailand gezwungen. Noch heute leben dort entlang der Grenze mindestens 140.000 Birmesen in Flüchtlingslagern – die meisten Angehörige der Karen. Eine, die sich vor mehr als zwanzig Jahren bis an die Grenze durchgeschlagen hat, ist Cynthia Maung. Sie floh, nachdem Birmas Junta die Massendemonstrationen für Demokratie von 1988 blutig niedergeschlagen hatte. Kurz darauf baute die Ärztin, ebenfalls eine Karen, in der Nähe der thailändischen Grenzstadt Mae Sot ein Krankenhaus auf.

Die Generäle haben Aung San Suu Kyis Sieg nie anerkannt

Von der Hauptstraße führt eine Schotterpiste zum Eingang der Klinik. Schon in den frühen Morgenstunden stehen die Menschen dort Schlange – mittlerweile sind es bis zu 400 Hilfesuchende täglich. Die aus Spenden finanzierte Einrichtung behandelt ihre Patienten kostenlos, seien es Flüchtlinge, Arbeitsmigranten oder Dorfbewohner aus Birma. Der Strom nimmt zu: „Wir beobachten, dass nach und nach die Patienten nicht mehr allein, sondern oft mit der gesamten Familie nach Thailand kommen“, sagt Cynthia Maung besorgt. Oft gehe es nicht allein um die medizinische Behandlung, sondern um psychosoziale Hilfe und den Wiederaufbau von Gemeinschaften, erklärt die 50-jährige: „Dafür brauchen wir aber mehr Netzwerke, die uns unterstützen.“

Birma wird seit 1962 von Militärs regiert. Demonstrationen für Demokratie und bessere Lebensbedingungen in 1988 und 2007 hatte das Regime blutig unterdrückt. Die Junta investiert Milliarden in Waffen und Luxusgüter; das Gesundheitssystem dagegen ist eines der schlechtesten weltweit. Die letzten freien Wahlen von 1990, die das Regime nur auf internationalen Druck abhalten ließ, gewann die Partei „Nationale Liga für Demokratie“ (NLD) von Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi mit deutlicher Mehrheit. Aber die Generäle haben diesen Sieg nie anerkannt und schließlich Mitte März diese Wahlen offiziell annulliert.

Dieses Mal setzen sie alles daran, dass sich der Wahlerfolg der Opposition nicht wiederholt. In der neuen Verfassung ist festgelegt, dass ein Viertel der Parlamentssitze von vornherein Angehörigen der Armee vorbehalten bleibt. Wichtige politische Beschlüsse oder gar Verfassungsänderungen sind daher ohne Zustimmung des Militärs unmöglich. Der Entwurf war im Mai 2008 in einem grob manipulierten Referendum durchgedrückt worden. Etliche Dissidenten sitzen in Haft. Beobachter schätzen die Zahl der politischen Gefangenen auf etwa 2200, darunter die unter Hausarrest stehende Friedensnobelpreisträgerin Suu Kyi. Ihr Arrest war im August 2009 in einem als Farce kritisierten Gerichtsverfahren um weitere achtzehn Monate verlängert worden. Inzwischen wurde sie von den bevorstehenden Wahlen ausgeschlossen.

Die brutale Unterdrückung bekommen die Menschen auch weiterhin zu spüren. Aktivisten, darunter etliche Angehörige ethnischer Minderheiten, würden willkürlich festgenommen, gefoltert und ermordet, erklärt „Amnesty International“ in einem Bericht von Mitte Februar dieses Jahres. Die Minderheiten, die immerhin einen Anteil von 35 bis 40 Prozent an dem 50-Millionen-Volk ausmachen, spielen nach Angaben der Menschenrechtsorganisation eine wichtige, vom Ausland aber selten anerkannte Rolle in der Opposition. Zum Beispiel seien Mönche aus dem Rakhine-Staat an der Westküste Birmas die ersten gewesen, die sich im August und September 2007 an den friedlichen Massenprotesten gegen die Junta, der so genannten Safran-Revolution, beteiligt hätten, sagt der Birma-Experte von Amnesty, Benjamin Zawacki.

Konsequenzen, die ihre Macht schwächen könnten, brauchen Birmas Militärs vom Ausland nicht zu fürchten. Denn die Weltgemeinschaft ist gespalten in der Frage, wie sie mit der Junta verfahren soll. Länder wie China, Indien und Russland unterstützen die Generäle, während westliche Staaten wie die USA und die EU-Länder seit Jahren immer schärfere Wirtschaftssanktionen verhängen – allerdings ohne Erfolg.

Das hat Außenpolitiker ins Grübeln gebracht: Im vergangenen Jahr erklärte Washington, man wolle die Strategie gegenüber Birma überdenken und Sanktionen künftig mit mehr Dialog verbinden. Offenbar streben die USA auf diese Weise an, in der von ihnen jahrelang vernachlässigten südostasiatischen Region Boden gut zu machen, um nicht allein China das Feld zu überlassen. Unter anderem hatten Anfang November 2009 zwei ranghohe US-Gesandte Birma besucht. Doch welche Hoffnungen die USA auch immer hegen mögen: Eine Demokratisierung Birmas ist nicht in Sicht. Zumal die Wunden der Vergangenheit noch nicht verheilt sind und bereits neue Spannungen drohen. „Das Regime will die Wahlen gewinnen und schickt immer mehr Truppen in die von ethnischen Minderheiten bewohnten Gebiete“, sagt die KNU-Generalsekretärin Zipporah Sein. Das betreffe nicht nur den Karen-Staat.

Für China steht viel auf dem Spiel

Welch schwerwiegende Folgen neue Attacken haben können, hat sich bereits im August 2009 gezeigt. Damals hatten Truppen der Junta die Kokang angegriffen, eine Rebellenmiliz im Shan-Staat an der Grenze zu China. Mehrere zehntausend Menschen flohen nach China. Birmas Shan-Staat ist zugleich das Stammland der „United Wa State Army“ (UWSA), die mit bis zu 30.000 Soldaten als die stärkste und am besten bewaffnete Rebellengruppe gilt. Die UWSA, die 1989 ein Waffenstillstandsabkommen mit Birmas Militärs geschlossen hatte, gehört zu denen, die sich bislang geweigert haben, ihre Bataillone in eine dem Kommando der Junta unterstehende Grenzschutztruppe umzuwandeln. Das letzte Ultimatum von Ende Februar haben die Rebellen verstreichen lassen. Sie wollen weitere Verhandlungen.

Die Zukunft hängt nach Ansicht von Beobachtern allein von Birmas oberstem Machthaber ab. „Selbst die Chinesen haben erklärt, sie gingen davon aus, dass die meisten Generäle einen Krieg für nutzlos halten“, sagt Khuensai Jaiyen, der Herausgeber der „Shan Herald Agency for News“. „Allerdings ist man sich nicht sicher, was Juntachef Than Shwe im Sinn hat.“ Vor allem für China steht viel auf dem Spiel: Im Falle eines Bürgerkriegs in den Grenzregionen würde Birmas treuester Verbündeter nach Schätzungen von Experten Milliardeninvestitionen verlieren.

Für Zipporah Sein, die Generalsekretärin der KNU, ist eines klar: Ohne die ethnischen Minderheiten wird eine Demokratisierung und Befriedung Birmas nicht möglich sein. Sie fordert einen „Drei-Parteien-Dialog“, der die Junta, Suu Kyis NLD sowie die Repräsentanten der Volksgruppen einschließt. An all dem haben die Hardliner unter Birmas Generälen jedoch kein Interesse. Die Wahlen planen sie nur deshalb, weil sie dadurch ihren Machtanspruch für die Zukunft festigen wollen.

 

erschienen in Ausgabe 4 / 2010: Globale Eliten - Von Reichtum und Einfluss

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