Hilfswerke: Schweizer Politik ist widersprüchlich

Unter Vorsitz von Alt-Bundesrat Joseph Deiss wird die UN-Generalversammlung vom 20. bis 22. September die Fortschritte bei der Erreichung der Millenniumsziele (MDGs) zur Halbierung der Armut weltweit bis 2015 bilanzieren. Die Schweiz könne und müsse mehr leisten, kritisieren Entwicklungsorganisationen. Die Schweizer Politik gegenüber dem Süden sei nicht kohärent.

Fachleute bewerten die Qualität der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit als relativ gut. Sie habe ihre Programme in der Landwirtschaft weitergeführt, während andere Geber diese vernachlässigt haben. Die Zusammenarbeit mit lokalen Behörden und der Bevölkerung vor Ort zeitige etwa im Wassersektor Erfolge, sagt Michèle Laubscher von Alliance Sud, der Arbeitsgemeinschaft der großen Hilfswerke.

Autorin

Viera Malach

arbeitet für die Presseagentur InfoSüd.

Der Qualität steht indes der niedrige finanzielle Beitrag gegenüber: „Es braucht deutlich mehr Mittel. Vordringlich ist eine rasche Erhöhung der Entwicklungszusammenarbeit auf 0,5 Prozent des Bruttonationaleinkommens“, sagt Laubscher. Zudem müsse die Schweizer Hilfe stärker auf die ärmsten Länder konzentriert werden. Heute kommt Laubescher zufolge nur ein Viertel der gesamten öffentlichen Hilfe den ärmsten Ländern zugute. Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) investiere weit weniger in ihre bilateralen Schwerpunktländer als angekündigt. Und das für die wirtschaftliche Entwicklungszusammenarbeit zuständige Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) steige aus den ärmsten Ländern aus, um sich auf fortgeschrittene Entwicklungsländer wie Peru oder Kolumbien zu konzentrieren, mit denen die Schweiz vertiefte Handelsbeziehungen sucht.

Die Armutsbekämpfung rückt in den Hintergrund

Grundlage für diese Politik bildet die 2008 vom Bundesrat (Regierung) formulierte Gesamtstrategie der Schweizer Entwicklungspolitik mit den drei Pfeilern Armutsminderung, Förderung der menschlichen Sicherheit und entwicklungsfreundliche Globalisierung. Die Strategie sollte die Schweizer Entwicklungspolitik kohärenter machen, wie es das Parlament gefordert hatte. Unter dem Titel „entwicklungsfördernde Globalisierung“ sei die Zusammenarbeit mit Schwellenländern wie China oder Brasilien verstärkt worden, konstatiert Laubscher. Dies rücke die Armutsbekämpfung in den Hintergrund. Zudem klammere das Wirtschaftsministerium beim Abschluss von Freihandelsverträgen die Menschenrechte aus, weil es sich nicht für zuständig halte.

Auch in anderen Bereichen steht die Schweizer Politik aus Sicht nichtstaatlicher Organisationen in Widerspruch zu den Zielen der Entwicklungspolitik – etwa beim Patentschutz, bei Rüstungsexporten und der Finanzplatzpolitik. Schweizer NGOs sehen zwar Fortschritte bei der Rückerstattung von Potentatengeldern und der internationalen Steuerpolitik. Doch während die Schweiz reichen OECD-Ländern wie den USA und Deutschland bei der Amtshilfe in Steuer(flucht)fragen entgegengekommen ist, hat sie es jüngst abgelehnt, ein entsprechendes Abkommen der OECD mit Entwicklungs- und Schwellenländern zu unterzeichnen.

Die Schweiz müsse bei ihrer Politik gegenüber armen Ländern die Widersprüche ausräumen, fordert Alliance Sud. „Schweden hat ein Gesetz zur Kohärenz aller Ministerien, Norwegen eine unabhängige Kommission, und in den Niederlanden ist es ein Amt, das die nationale Politik und die der EU auf die Auswirkungen für Entwicklungsländer überprüft“, erklärt Laubscher. Die Schweiz kenne einen Mechanismus zur Prüfung der Vereinbarkeit ihrer Gesetze mit der EU-Politik und könnte nach diesem Vorbild eine Prüfung der „Entwicklungsverträglichkeit“ einführen.

erschienen in Ausgabe 9 / 2010: Korruption: Geld, Amt und Macht
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