Schwieriger Dienst an der Wahrheit

Journalisten im Kongo
Kein Geld, kein Internet, von Politikern bedroht: Einheimische Journalisten im Kongo müssen einiges aushalten können.

Als Journalist zu arbeiten bedeutet in der Demokratischen Republik Kongo, sein Leben und seine Berufsethik ständig aufs Spiel zu setzen. Schon ihr Finanzierungsmodell erschwert es den meisten Medien im Land, eine stabile Grundlage ihrer Arbeit zu finden. Allein in der Hauptstadt Kinshasa gibt es nicht weniger als 80 gedruckte Zeitungen und etwa 50 Fernseh- und Radiosender, die entweder Politikern oder den Kirchen gehören. Das durchschnittliche Einkommen der Journalisten liegt bei umgerechnet hundert US-Dollar im Monat – wenn sie denn bezahlt werden. Nur bestimmte Radiosender, wie jener der Mission der Vereinten Nationen im Kongo, sind in der Lage, ihre Beschäftigten anständig zu bezahlen. Die meisten Medien sind auf Werbung oder Anzeigen von Brauereien, Telekommunikationsunternehmen, Banken und anderen Unternehmen angewiesen.

Aufgrund dieser unsicheren Finanzierung werden Journalisten häufig von Politikern in Versuchung geführt – sei es von solchen der Regierungspartei oder der Opposition. Sie versuchen, Journalisten für ihre Zwecke einzuspannen, sie zu kaufen oder ihnen den vollen Zugang zu Informationen aus erster Hand zu versperren. Presseorgane, die frei sind und sich nicht mit protokollarischen Informationen abspeisen lassen müssen, sind eine Seltenheit. „Coupage“ ist im Jargon der Journalisten im Kongo zu einem stehenden Begriff geworden. Er bezeichnet den Vorgang, dass bestimmte  Politiker Journalisten dazu einladen, über eine Demonstration zu berichten und sie zu loben – im Tausch gegen eine Summe Geld. Diese Praxis korrumpiert die Presse.

Auch das derzeitige politische Klima im Land beeinflusst die journalistische Arbeit. Am 19. Dezember 2016 endete eigentlich die letzte Amtszeit des seit 2001 regierenden Präsidenten Joseph Kabila. Die Zivilgesellschaft, Bürgerbewegungen und die Opposition forderten, die Verfassung zu achten und die vorgesehenen Wahlen abzuhalten. Doch kurz vor dem schicksalhaften Datum hat die Regierung alle Räume der freien Meinungsäußerung eingeschränkt. Für die Medienschaffenden ist es infolgedessen schwierig, frei ihrer Arbeit nachzugehen.

Eine Internetkampagne als Lebensretter

Tchèques Bukasa ist Journalist bei der Zeitung „Le Phare à Kinshasa“. Er hat die Repression im Dezember 2016 am eigenen Leib erlebt. Als er am 4. Dezember gerade zum Frisör wollte, sprachen ihn zwei Männer an und forderten ihn mit Gewalt auf, in ihr Fahrzeug zu steigen. „Sie warfen mir vor, ein Flugblatt der Bürgerbewegung ‚Compte à rebours’ (Countdown) zu besitzen, das den Rücktritt von Joseph Kabila forderte“, sagt er. Eine rote Verkehrsampel rettet Tchèques Bukasa das Leben: Zwischen seinen Gefängniswächtern sitzend erkennt er draußen einen Freund und schreit ihm durch die Fensterscheibe zu, dass er gerade entführt werde. Kurz danach beginnt im Internet eine starke Kampagne für ihn. Tchèques wird noch am gleichen Tag freigelassen.

Das Internet dient in der DR Kongo nicht nur dazu, die Öffentlichkeit zu mobilisieren und Übergriffe aller Art anzuprangern. Es ist auch zu einem Raum der Meinungsfreiheit geworden sowie zu einem unverzichtbaren Werkzeug für zahlreiche Journalisten. Heutzutage ermöglichen Mobiltelefone es den Bürgern, einen Vorgang, der sich gerade in ihrer Stadt abspielt, zu filmen oder zumindest anderen mitzuteilen. Informationen verbreiten sich in der Folge immer schneller. Da das den Behörden klar ist, zögern sie nicht, entweder ohne jede Begründung die Preise für die Datenübermittlung zu erhöhen oder den Zugang zum Internet gleich ganz abzuschneiden. Dies passiert oft vor oder während sensibler Zeiträume – etwa bei Wahlen und wenn die Opposition oder Bürgerbewegungen zu Demonstrationen oder einem als „Villes mortes“, tote Stadt, bezeichneten Generalstreik aufgerufen haben.

Patient Ligodi, Journalist und Gründer der Website „www.actualite.cd“, betont, für ihn sei „das Internet das Beste, was Journalisten seit Erfindung des Buchdrucks passiert ist“. Ligodis Website gehört zu den am meisten gelesenen Online-Medien in der DR Kongo; sie zählt im Monat nicht weniger als 1,6 Millionen Besucher und hat bei Twitter 23.300 Follower sowie 160.000 Fans bei Facebook. Er will unbedingt Qualitätsinformationen liefern. Aber der junge Chef betont, dass es noch immer nicht selbstverständlich ist, an Informationen aus erster Hand zu kommen – vor allem nicht vonseiten der kongolesischen Behörden. „Unsere Behörden sehen auf ihren Mobiltelefonen lieber internationale Vorwahlnummern. Wenn es die +33 für Frankreich oder die +32 für Belgien ist, dann heben sie ab, weil sie international wahrgenommen werden müssen. Nach der Welle von Sanktionen gegen das Land sind die Behörden sehr um ihr Image im Ausland bemüht“, sagt Patient Ligodi.

Die Finanzierung ist die Achillesferse

Hinzu kommen die gewaltigen Kosten für das Internet. „Um eine Website wie unsere zu betreiben, brauchen wir normalerweise 53.000 Megabyte an Daten mit einer Gültigkeit von einem Monat. Wir kaufen diese Datenmenge für 100 Dollar“, erklärt Will Claes Nlemvo, der bei „actualite.cd“ für die redaktionellen  Inhalte verantwortlich ist. In dieser Redaktion, für die mehrheitlich freie Journalisten arbeiten, ist die Finanzierung die Achillesferse. „Uns ist es gelungen, den Anzeigenbereich, Stellenangebote und Ausschreibungen zu integrieren, und die Banner auf der Website werden mit Verträgen von mindestens sechs Monaten Laufzeit vergeben.“ Das bringe zwar noch nicht genug ein, sei aber schon eine Verbesserung, erklärt Patient Ligodi. Er ist stolz darauf, seinen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen ein Gehalt von 200 Dollar im Monat zahlen zu können.

Nicht nur das Geschäftsmodell ist unsicher. Die kongolesischen Journalisten müssen auch darum kämpfen, eine transparente Beziehung zu den Behörden des Landes zu unterhalten. Der Zugang zu Informationen ist ein großes Problem – zum Beispiel, was die Wirtschaftsdaten des Kongo betrifft. Eric Tshikuma, der Gründer der Website Zoom Eco, die sich mit der Wirtschaftslage des Landes beschäftigt, hält die angegebenen Daten für größtenteils verschlüsselt. „Jene, die über die wirklichen Zahlen verfügen, behalten sie vorsätzlich für sich und weigern sich, sie Journalisten zur Verfügung zu stellen.“ Tshikuma fährt fort: „Man mag da eine Verbesserung beobachten, aber die verantwortlichen Politiker sträuben sich in der Mehrzahl noch, Journalisten den Zugang zu Informationen zu ermöglichen. Unsere Kollegen von der internationalen Presse werden da ganz anders behandelt.“

Zudem stoßen Journalisten auf Hindernisse, wenn sie in bestimmte Gegenden wollen, die zu „roten Zonen“ erklärt wurden. Häufig kommt es vor, dass die zuständigen Behörden Journalisten den Zugang zu solchen Gebieten verweigern. Einige wissen sich zu helfen: Sie schließen sich einfach einem Team aus internationalen Journalisten an – das macht die Aufgabe manchmal einfacher.

Autorin

Wendy Bashi

ist freie Rundfunk- und Printjournalistin in Brüssel. Sie stammt aus dem Kongo und hat auch Dokumentarfilme über das Land gemacht, zuletzt 2017 „Chroniques Congolaises“ über die Arbeit von actualite.cd.
Sosthène Kambidi ist verantwortlich für Radio Télévision Chrétienne (RTC) in Kananga, einer Stadt mit über einer Million Einwohnern. Er ist seit fast 16 Jahren Journalist. In seinem Gemeinschaftsradio, das geschätzt 300.000 Zuhörer hat, arbeitet er vor allem zu allgemeinen und übergreifenden Themen. Sosthène ist also eine starke Stimme, der die Menschen in der kongolesischen Provinz Kasai zuhören. Der Journalist gehörte jenem Team an, das am 11. März 2017 die Massengräber von Tshimbulu entdeckte – gemeinsam mit zwei Kollegen internationaler Medien, wie er sagt. Sosthène erzählt, wie er kürzlich weitere Massengräber entdeckt hat: in Nganza, einer der fünf Gemeinden von Kananga, und in Matamba, 24 Kilometer von der Provinzhauptstadt entfernt: „Polizisten berichteten mir, dass sie Hunderte Menschen begraben mussten, unter dem Druck der Militärs.“ Sosthène Kambidi bekennt, dass er viele Drohungen erhalten hat. „Da sind schreckliche Dinge passiert, und sie passieren in der Provinz noch immer. Wir brauchen Zeugen. Um mich zu schützen, lege ich mein Schicksal in die Hände Gottes.“

Wenn Journalisten nicht bedroht werden, wirft man einige von ihnen einfach ins Gefängnis, weil der Gegenstand ihrer Berichterstattung als zu heikel beurteilt wird – oder weil Rechnungen unter Politikern beglichen werden. Das traf 2014 Stany Bujakera, als er sich in Gungu in der früheren Provinz Bandundu aufhielt, um über das 14. „Festival National de Gungu“ (FESNAG) zu berichten. „Ich war für eine Reportage unterwegs; die anwesenden Stammesführer wussten, dass ich da war. Die Gelegenheit haben sie genutzt und in einer Erklärung angeprangert, dass der amtierende Gouverneur die Provinz schlecht verwalte. Einige Stunden, nachdem mein Bericht in Radio RTVS1 gesendet worden war, hat der Gouverneur ein Team des Geheimdiensts geschickt, um mich festzunehmen. Es ist zum einen dem Druck der Gefangenen zu verdanken, dass ich wieder freigelassen wurde – für sie war ich ein Vorbild, ein Star. Zum anderen haben einige nationale Behörden des Kongo sich für meine Freilassung eingesetzt.“

Stany ist seit 2001 Journalist. Er erinnert sich auch an den Besuch von Geheimdienstlern im Jahr 2012, als ein Interview gesendet worden war, das er mit dem Sprecher der Rebellen-Bewegung M23 geführt hatte. Damals sorgte diese Bewegung, die heute einen politischen Arm hat, in der Region Kivu für Aufruhr.

Die nichtstaatliche Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) mit Sitz in Paris führt den Kongo in ihrer Weltrangliste der Pressefreiheit von Anfang 2017 auf Platz 154 von 180 Ländern. In dem Land, das sozial, politisch und wirtschaftlich zerfällt, haben Journalisten große Aufgaben: Über ihre eigentliche Arbeit hinaus sind sie gefordert, für Wahrheit und Erinnerung einzustehen.

Aus dem Französischen von Bernd Stößel.

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erschienen in Ausgabe 10 / 2017: Kongo: Das geschundene Herz Afrikas
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