Im Schlachthof für Rostlauben

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Sam Olukoya

Geschäftstüchtig: Akoye Kayode ist in wenigen Jahren vom Träger alter Autoteile zum Händler aufgestiegen. Heute beschäftigt er 15 Mitarbeiter.

Importierte Gebrauchtwagen
Auf dem vermutlich größten Schrottplatz Afrikas in der nigerianischen Metropole Lagos zerlegen Tausende Arbeiter kaputte Autos aus den Industrieländern. Damit lässt sich ordentlich Geld verdienen – allerdings auf Kosten der Gesundheit und der Umwelt.

Der Handel mit Gebrauchtwagen nach Nigeria und in andere afrikanische Länder boomt und hat Afrika zu einem Schrottplatz für alte Dreckschleudern aus Europa, Japan und den USA gemacht. Mehr als 90 Prozent aller Fahrzeugimporte nach Afrika sind Gebrauchtwagen, und eine der höchsten Raten weist Nigeria auf. Rob de Jong, der beim Umweltprogramm der Vereinten Nationen UNEP die Abteilung für Luftqualität und Mobilität leitet, sagte im März auf einer Konferenz in Nairobi zum Thema saubere Mobilität, 99 Prozent der nigerianischen Autoimporte stammten aus zweiter Hand.

Laut einem Bericht der Beraterfirma PricewaterhouseCoopers (PwC) sind von den jährlich geschätzten 400.000 nach Nigeria importierten Fahrzeugen rund zwei Drittel älter als elf Jahre. Damit entsprechen die meisten Autos nicht mehr den Vorgaben der UNEP, nach denen importierte Gebrauchtwagen jünger als fünf Jahre sein sollten, da sie günstiger zu reparieren sind und die Umwelt weniger schädigen.

Oft nur noch zum Ausschlachten zu gebrauchen

Der Automechaniker Aramide Rasaki in Lagos repariert importierte Gebrauchtwagen, bevor sie weiterverkauft werden. Er meint, viele Autos hätten gar nicht erst aus Europa oder den USA eingeführt werden sollen, da sie nicht verkehrstüchtig seien. „Einige Autos hatten schwere Verkehrsunfälle, andere haben ernsthafte technische Defekte, die entweder schwierig oder teuer zu reparieren sind.“

Da viele Nigerianer defekte Gebrauchtwagen kaufen, aber kein Geld haben, um sie zu reparieren, verfallen die Fahrzeuge schnell und sind nur noch zum Ausschlachten zu gebrauchen, meint Rasaki. Manche Besitzer lassen ihre kaputten Autos einfach am Straßenrand oder an anderen öffentlichen Plätzen stehen. Der rege Handel mit Schrottautos hat vielen nigerianischen Städten wie Lagos die Aufgabe aufgebürdet, sich um diese verlassenen Fahrzeuge zu kümmern.

Anders als westliche Länder hat Nigeria jedoch keine ordentliche Infrastruktur, um Autos zu recyceln; stattdessen findet die Wiederverwertung im informellen Sektor statt. Und nirgendwo ist dieses Gewerbe weiter verbreitet als in Nigerias Wirtschaftsmetropole Lagos. In der Stadt gibt es die meisten Autos in Nigeria, und in etlichen Stadtteilen verdienen Leute ihr Geld damit, alte Fahrzeuge auszuschlachten und ihre Teile wiederzuverwerten.

Auf dem am Stadtrand liegenden Schrottplatz Owode-Onirin werden die meisten Wracks in Lagos zerlegt. Er ist vermutlich der größte Schrottplatz Afrikas. Auf dem mehrere Fußballfelder großen Gelände arbeiten Tausende Menschen. Während der Öffnungszeiten kommt ein Abschleppwagen nach dem anderen an und liefert seine Fracht ab. Die alten Fahrzeuge enden in der Hand von Schrotthändlern wie Victor Onuchukwu. „Die Autos, die hierhergebracht werden, sind in so einem schlechten Zustand, dass kein Mechaniker sie mehr reparieren kann. Wir schlachten sie deshalb“, erzählt der 38-Jährige.

Gebrauchte Ersatzteile sind billiger als neue

Während Onuchukwu seine Arbeiter beaufsichtigt, die gerade einen alten Nissan Sunny zerlegen, erklärt er, dass zuerst die noch brauchbaren Teile ausgebaut, gereinigt und als Ersatzteile auf verschiedenen Märkten verkauft werden. Wertvolle Teile sind etwa Motoren, Reifen, Lichter, Stoßdämpfer, Motorkühler, Felgen, Karosserien, Windschutzscheiben, Lenkräder, elektrische Ersatzteile oder Stoßstangen. Viele Teile landen auf dem Markt Ladipo, dem größten Umschlagplatz für Ersatzteile in Nigeria. „Leute aus ganz Nigeria kommen hierher und kaufen Ersatzteile. Wir versorgen das ganze Land“, sagt Onuchukwu.

Komponenten aus alten Autos zu verkaufen, ist ein blühendes Geschäft in Nigeria. Die Nachfrage  ist groß, denn gebrauchte Ersatzteile sind billiger als neue. „Die Teile, die wir aus den Schrottautos ausbauen, helfen die große Nachfrage nach gebrauchten Teilen zu decken“, sagt Onuchukwu. Der Automechniker Rasaki teilt diese Meinung und sagt, Schrottplätze wie Owode-Onirin seien die besten Orte, Ersatzteile für sehr alte Autos zu bekommen, die nicht mehr hergestellt werden.

Auch der Handel mit Altmetall blüht. In einer Ecke von Owode-Onirin betreibt Akoye Kayode sein Geschäft. Er ist einer von mehreren Händlern auf dem Schrottplatz, die das Metall der zerlegten Autos kaufen, nachdem die brauchbaren Ersatzteile ausgebaut wurden. Kayode kauft seine Ware bei Schrottsammlern, die Metalle aus ausrangierten Autos auf Owode-Onirin und anderen Deponien in Lagos sammeln. Die meisten sind Jugendliche, einige von ihnen Schulkinder, die auf diese Weise schnelles Geld verdienen. „Ich komme hierher, um Metall zu sammeln. Das Geld ist für meine Ausbildung“, erzählt der 16-jährige Emmanuel Adetayo. Da seine Familie arm sei, müsse er Geld verdienen, um für sich selbst zu sorgen.

Der Handel mit Altmetall aus den ausgeschlachteten Autos ist in Owode-Onirin genauso lukrativ wie der Handel mit gebrauchten Ersatzteilen. „Man kann schnell viel Geld damit verdienen“, erzählt Kayode. Vor wenigen Jahren war Kayode noch Träger für ausgeschlachtete Autoteile – sein rascher Aufstieg zum Altmetallhändler ist ein Beweis für die vielen Geschäftsmöglichkeiten auf dem Schrottplatz Owode-Onirin.

Die dunkle Seite des Geschäfts mit Autoteilen

Kayode beschäftigt mittlerweile 15 Mitarbeiter in Vollzeit, darunter einen Aufseher, Verkäufer, Arbeiter, die die Fahrzeugteile zerlegen, und Leute, die das Altmetall wiegen, wenn es angekauft oder verkauft wird. Das Metall von Kayode, hauptsächlich alte Karosserien, wird normalerweise in Lastwagen verladen und an verschiedene, meist chinesische Unternehmen verkauft.

Die Unternehmen sind in den vergangenen Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen, um den großen Vorrat an Altmetall in Nigeria anzuzapfen. Gewöhnlich recyceln sie  das Metall und produzieren daraus verschiedene Eisen- und Stahlprodukte. Andere Firmen wiederum kaufen die Aluminiumteile der Fahrzeuge, um daraus Produkte wie Töpfe herzustellen.

Der informelle Weg, Autoteile zu recyceln oder zu verkaufen, hat jedoch eine dunkle Seite. Da in Nigeria die angemessene Technik fehlt, werden nicht wiederverwertbare Autoteile in Anlagen wie Owode-Onirin nicht ordnungsgemäß entsorgt. Ausgediente Reifen etwa werden einfach auf Deponien verbrannt. Der dicke, dunkle Rauch, der dabei entsteht, enthält potenziell krebserregende Schadstoffe.

Genauso gefährlich für die Gesundheit ist das Recycling von Komponenten wie Kupferdrähten, die in den elektrischen Systemen von Autos verarbeitet sind. „Wir gehen mit den Drähten in den Busch und brennen die Ummantelung weg, um so das Kupfer freizulegen“, erklärt Onuchukwu, der nebenbei auch Kupferdrahthändler ist. Wie bei den Reifen entstehen bei der Verbrennung der Gummiisolierungen schädliche Substanzen für die Umwelt und den Menschen.

Diese schädlichen Folgen der Beseitigung von Fahrzeugteilen ist teilweise dem Fehlen einer ordentlichen Recyclinganlage geschuldet sowie dem Fehlen politischer Vorgaben, wie am besten mit dem Schrott umzugehen ist. Die Situation in Nigeria steht in scharfem Kontrast zu der in der Europäischen Union oder in den USA, wo es Richtlinien gibt, um die Verwertung von Altautos umweltfreundlicher zu gestalten.

Autor

Sam Olukoya

ist freier Journalist im nigerianischen Lagos.
Rob de Jong vom UN-Umweltprogramm sagt, dass afrikanische Länder den Import von Gebrauchtwagen stärker regulieren sollten. „Man muss politische Leitlinien vorgeben, um die Einfuhr zu steuern und von den Importeuren nicht betrogen zu werden“, sagt er. „Außerdem müssen die Länder, die Autos  exportieren, damit aufhören, auf diese Weise unsichere und dreckige Fahrzeuge loszuwerden. Sie sollten stattdessen damit anfangen, den afrikanischen Ländern beim Aufbau sauberer und sicherer Technologien zu helfen.“ Morris Alagoa von der nigerianischen Umweltorganisation Environmental Rights Action sieht das genauso: „Wenn westliche Staaten ihre Schrottautos nicht länger brauchen, sollen sie diese lieber bei sich recyceln und nicht in Länder wie Nigeria ausführen, wo es keine Recyclinganlagen gibt.“

Automechaniker Aramide Rasaki fürchtet allerdings, dass in Zukunft noch mehr unsichere und dreckige Autos in afrikanischen Ländern wie Nigeria verscherbelt werden, da westliche Staaten den Umstieg auf Elektroautos in ihren Ländern unterstützen. „Die Folge wird sein, dass die dreckigen Auslaufmodelle in afrikanischen Staaten wie Nigeria abgeladen werden“, sagt er. „Weil die Zahl der Dreckschleudern wahrscheinlich noch wachsen wird, wäre es für Nigeria ziemlich sinnvoll, jetzt eine Recyclinganlage zu bauen.“

Doch das ist nicht in Sicht, und deshalb werden die Schrottautos weiter informell beseitigt werden – von Arbeitern und Geschäftsleuten wie auf dem Schlachthof für Rostlauben in Owode-Onirin.

Aus dem Englischen von Johanna Greuter.

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erschienen in Ausgabe 5 / 2018: Müllberge als Goldgruben
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