„Zwischen allen Stühlen“

Gespräch mit Petra Dannecker

Immer mehr Frauen aus armen Ländern verlassen ihre Heimat und oft auch ihre Familien, um im reicheren Ausland Geld zu verdienen. Fast die Hälfte der rund 200 Millionen Migranten weltweit sind weiblich. Viele von ihnen erhoffen sich ein unabhängigeres Leben, vor allem wenn sie aus islamischen Gesellschaften mit traditionellem Rollenverständnis stammen. Bei der Rückkehr müssen sie mit erheblichen Schwierigkeiten kämpfen. Die Zahl der Migrantinnen innerhalb Asiens hat in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen. Wie kommt das?

In südostasiatischen Schwellenländern wie Südkorea, Taiwan und Malaysia ist in den letzten Jahrzehnten vor allem die exportorientierte Industrie, beispielsweise die Herstellung von Elektrogeräten, Textilien und Spielzeug stark gewachsen. Dort werden verstärkt Migranten aber zunehmend eben auch Migrantinnen aus Bangladesch, Indonesien und den Philippinen eingesetzt, weil ihre Arbeitskraft billiger ist als die einheimischer Arbeiterinnen und Arbeiter. Außerdem ist die Vorstellung weit verbreitet, dass Frauen für diese Form von Arbeit besonders geeignet und dass sie fügsamer sind. Zugleich steigt die Nachfrage nach Haushaltshilfen und Kindermädchen, weil immer mehr Frauen in Malaysia, Hongkong oder Singapur berufstätig sind.

Wie wird sich die Finanzkrise auf die Migrantinnen auswirken?

Zwei Richtungen sind denkbar. Zum einen werden viele exportorientierte Betriebe schließen und die Migrantinnen verlieren als erste ihre Arbeitsplätze. Zum anderen könnte sich ein Großteil der Produktion in den informellen Sektor verlagern. Dort sind die Arbeitsbedingungen schlechter und die Löhne geringer, deshalb könnten hier vor allem Migrantinnen beschäftigt werden.

Warum verlassen Frauen ihre Heimat, um im Ausland zu arbeiten?

Sie erhoffen sich Arbeit, bessere Arbeitsbedingungen und ein höheres Einkommen als in ihrem Herkunftsland, genau wie Männer. Aber das ist nur die eine Seite. Viele von ihnen wünschen sich auch eine Alternative zu ihrem bisherigen Leben: Sie möchten unabhängiger und selbstständiger werden, aus einer unglücklichen Ehe ausbrechen oder einer arrangierten Heirat entgehen. In Bangladesch haben mir Frauen gesagt, dass sie andere Länder kennenlernen wollten. Diese Wünsche werden verstärkt von den Bildern, die über Fernsehen und Internet vermittelt werden. Hinzu kommt die gestiegene Nachfrage nach ihrer Arbeitskraft.

Erfüllen sich die Hoffnungen der Frauen?

Den Frauen, die in Malaysia oder Singapur in Fabriken Arbeit finden, eröffnen sich eher Chancen als denen, die im Dienstleistungssektor arbeiten. Migrantinnen aus Bangladesch, mit denen ich gesprochen habe, haben ihre Erlebnisse viel positiver geschildert als ihre männlichen Kollegen. Sie hatten zum ersten Mal die Erfahrung gemacht, für ihre Arbeit respektiert zu werden. Auch das Zusammensein mit anderen Frauen in den Wohnheimen der Fabriken haben sie meist als angenehm erlebt. Aber natürlich besteht auch immer das Risiko, ausgebeutet oder zum Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt zu werden.

Die Aufenthaltsgenehmigungen für Länder in Südostasien sind befristet. Die Frauen müssen also nach einigen Jahren wieder in ihr Herkunftsland zurückkehren. Was erwartet sie dort?

Die Rückkehr in ein islamisches Land wie Bangladesch ist für Frauen sehr viel schwieriger als für Männer. Wir haben das Bild des jungen, abenteuerlustigen Mannes im Kopf, der in die Ferne zieht und dann erfolgreich wieder nach Hause kommt. Für Männer und ihre Familien bedeutet Migration daher meist einen Statusgewinn. Bei den Frauen ist das Gegenteil der Fall: Viele Familien versuchen es zu verheimlichen, wenn eine Frau ins Ausland geht. Die unabhängige  Migration ohne männlichen Beschützer entspricht nicht dem, was eine gute bangladeschische Frau tun darf. Nach der Rückkehr ist es schwierig für die Frauen, ihren Platz in der Familie oder in der lokalen Gemeinschaft wiederzufinden. Wenn sie verheiratet sind, haben sich die Männer möglicherweise eine zweite Ehefrau genommen. Unverheiratete Frauen haben es schwer, einen Mann zu finden, weil sie einen schlechten Ruf haben.

Dieser schlechte Ruf wird maßgeblich von Migranten mitgeprägt, oder?

Ja, allerdings muss das in einem größeren Kontext gesehen werden. Viele entwicklungspolitische Projekte konzentrieren sich stark auf die Förderung von Frauen, beispielsweise bei der Vergabe von Mikrokrediten. Seit vielen Jahren sorgt das in ländlichen Gebieten für eine Veränderung der Geschlechterverhältnisse, die natürlich nicht ohne Konflikte verläuft. Nun müssen Männer auch noch mit Frauen um die Arbeitsplätze auf dem regionalen Markt konkurrieren, da geht es auch um Bilder von Männlichkeit. Hinzu kommt, dass sie die Migration von Frauen als Verletzung der nationalen Ehre betrachten. Davon möchten sie sich abgrenzen. Sie berichten zu Hause, dass die Frauen in Malaysia am Strand sitzen, sich mit Männern treffen, die Haare schneiden, sich also „schlecht“ verhalten. Die zurückkehrenden Migrantinnen müssen sich mit diesem Bild auseinandersetzen, obwohl es in Wirklichkeit eher die Männer sind, die einen „unislamischen“ Lebensstil pflegen.

Kann Migration aber nicht auch langfristig zu einer Öffnung der Gesellschaft beitragen?

Auf die Dauer gesehen schon. Lokale Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit verändern sich über Migration. Über diese Prozesse ist bislang wenig bekannt. Sie werden jedoch für die gesellschaftliche Entwicklung in Ländern wie Bangladesch relevant sein. Die Bedeutung von Migration darf deshalb nicht auf den Beitrag von Rücküberweisungen zur Wirtschaft eines Landes reduziert werden. Wenn es, wie in Sri Lanka oder auf den Philippinen, für Familien selbstverständlicher wird, dass eine Frau für einige Jahre ins Ausland geht, kann das zu einer Veränderung der traditionellen Geschlechterverhältnisse führen. Aber dazu bedarf es Organisationen, die Migrantinnen unterstützen. Die gibt es in Bangladesch bislang kaum.

Für Frauen ist es schwierig, sich zu organisieren?

Sie wohnen oft weit voneinander entfernt und sind nicht so mobil. In einem großen Slum am Rande der Hauptstadt Dhaka fangen Migrantinnen an, sich zu organisieren und geben Frauen, die weggehen wollen, Kredite. Dort entsteht ein Netzwerk, in dem Informationen ausgetauscht werden, welche Rekrutierungsorganisation vertrauenswürdig ist. Das ist aber nichts im Vergleich zu dem, was männliche Migranten in den vergangenen Jahrzehnten aufgebaut haben. Ein Beispiel aus Malaysia: Bei der Fabrikarbeit wird der monatliche Verdienst vorher ausgehandelt. Sehr häufig ist das Gehalt dann aber viel geringer. Ich habe Fabriken gesehen, die deshalb fast alle Migranten nach ein paar Wochen verlassen hatten, während die Frauen zu den schlechten Bedingungen geblieben sind. Die Männer verfügten über Kontakte, die ihnen bessere Jobs vermittelt haben. Da haben Frauen ein klares Defizit. Hinzu kommt, dass die bangladeschische Regierung immer wieder versucht, die unabhängige Migration von Frauen gesetzlich zu unterbinden.

Wie wirkt sich das aus?

Das offizielle Verbot macht für die Frauen die Migration unsicherer und teuerer. Sie müssen sich an Schlepperorganisationen wenden, die sie ohne Dokumente über die Grenze schmuggeln. Die machen sich das zunutze und verlangen höhere Provisionen. Männer hingegen könnten zu staatlichen Vermittlern gehen, die ein gewisses Maß an Sicherheit bieten. Bei der letzten Gesetzesänderung 1997 hat die Regierung argumentiert, dass das Gesetz die Frauen vor Menschenhandel und vor sexuellem Missbrauch im Ausland schützen soll. In der Tat ist Frauenhandel ein großes Problem. Jedes Jahr werden 15.000 Frauen und junge Mädchen in Bangladesch gekidnappt und enden in Bordellen in Pakistan und Indien. Aber das sind verschiedene Formen von Migration, die nicht vermischt werden sollten. Man braucht unterschiedliche nationale Regelungen, um sie zu kontrollieren. Frauen wandern und werden das weiter tun. Sie besser vorzubereiten und über ihre Rechte aufzuklären, wäre ein Weg, ihnen die Migration und die Rückkehr zu erleichtern.

Das Gespräch führte Gesine Wolfinger.

Petra Dannecker ist Professorin für Global Studies und Internationale Entwicklungen an der Universität Wien. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind unter anderem Gender und Migration.

 

 

 

erschienen in Ausgabe 2 / 2009: Migration: Zum Schuften in die Fremde
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